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Blutdunst. Sascha Nathan (Macbeth) und Thilo Nest (Banquo), dahinter Niklas Kohrt, Kathrin Wehlisch, Ingo Hülsmann.

© imago/Martin Müller

"Macbeth" von Michael Thalheimer: Killer sind auch nur Schmuddelkinder

Mechanik der Macht: Michael Thalheimer inszeniert Heiner Müllers Shakespeare-„Macbeth“ im Berliner Ensemble.

Dunkel war’s und neblig auch. Ein metallisch musikalisches Dröhnen, ein Wabern, viel Bühnensmog weht ins Parkett, und im abgedimmten Gegenlicht einer Scheinwerferbatterie schälen sich immer mal wieder schattenhaft Figuren aus der Düsternis. Rufen heisere Laute. „Heil Macbeth!“ zum Beispiel.

Meist sind sie blutverschmiert, manchmal auch nackt oder halbnackt. So gehen sie nicht, sondern schreiten der Rampe entgegen, aus der Tiefe des sonst leeren Raums. Wie auf einem unsichtbaren Laufsteg. Wie Monster der Macht und des Mordes. Mannequins des Todes. Spätestens, wenn sie frontal zum vernebelten Publikum stehen, deklamieren sie. Oder schreien, brüllen, selten auch flüstern sie. Im Blutrausch von Heiner Müllers Shakespeare-Konzentration „Macbeth“.

War da was? Also sonst noch etwas?

Sechs Personen suchen ein Theater der Grausamkeit. Im Berliner Ensemble hat Michael Thalheimer auf der Bühne von Olaf Altmann mit einem halben Dutzend Akteuren das Drama um Rebellion und Usurpation, um schottische Schlachten (und das universelle Schlachten), um Macbeths Karriere als Krieger, Königsmörder und Mörderkönig mitsamt seiner ehrgeizigen Ehelady inszeniert. Ausnahmsweise gibt es keine Text-„Aktualisierungen“, keine Heute-Show, nicht einmal die sonst fast unvermeidlich eingestreuten Heiner-Müller-Zitate. Der Haupttext ist ja schon von Müller.

Dieser 1971 geschriebene „Macbeth“ ist ein dunkles Glanzstück aus Heiner Müllers legendärer „Shakespeare- Factory“. Brechts Diktum, man könne Shakespeare verändern, wenn man es kann, trifft bei ihm zu. So hat Müller den märchenhaften Spuk fast völlig fortgeblasen. Die Hexen, die Macbeths Weg beschreiben, erscheinen nur noch als Hellseher einer nachtschwarzen History. Diese Version wird zur Verdichtung.

Hier wird eine Ästhetik des Schreckens zum Klingen gebracht

Aus den ursprünglich nobleren Mit- und Gegenspielern des Feldherren Macbeth macht Müller kaum bessere Menschen. Heldische Ritterkämpfe sind zum feudalen Staatsterror gegenüber aufständischen Bauern geworden, hier spricht der moderne, materialistische Poet. Im Übrigen aber lautet das Schlag- und Schlachtwort in Müllers Geschichtsphilosophie: Apocalypse now and ever. Gestern, heute, morgen. Das moralische Psychodrama des Titelhelden ist fast ausgelöscht, Macbeth ein Geistesbruder des absolut bösen Dritten Richard – die Fabel zugespitzt auf die Darstellung des eisigen, absoluten Mechanismus der Macht. Der Machtgier und Machterhaltung. Kurz vor dem Finale, das auch im Führerbunker spielen könnte, ruft der belagerte Mörder M. dann aus: „Ich will die Häute meiner Toten anziehn / In Fäulnis kleiden mein hinfälliges Fleisch .../ Ein Wall aus Leichen gegen meinen Tod.“

Das ist die Ästhetik des Schreckens, die Michael Thalheimer im BE anklingen lässt. Allein, der Klang, nach spätestens zehn von 110 Aufführungsminuten begriffen, wirkt ziemlich monoton. Müller wollte statt Metaphysik die Physik der Machtkriegspolitik. Doch die Physik auf der Bühne, die Verkörperung des Gedachten weist hier kaum über die pure Technik und simple Handgreiflichkeit hinaus.

Zum Exempel die nackte, theaterblutverschmierte Schauspielerin Kathrin Wehlisch in wechselnden Rollen, von der Hexe bis zum Macbeth-getreuen Höfling Seyton: Kommt sie dem künftigen Königsmörder oder seiner Lady zum ersten Mal nah, dann streich sie dem Macbeth-Darsteller Sascha Nathan mit der roten Hand übers Gesicht, als müsse die Blutspur das Gesehene und Geschehende eigens markieren. Worauf die Hand, wie erwartet, tiefer hinabfährt und den womöglich noch zaudernden Mann kräftig ermunternd bei den Eiern packt. Gegenüber der Lady, gespielt von Constanze Becker, geht der entsprechende Griff dann in den Schoß. Weil bei Lady Macbeth, die ihren schwankenden Mann zum Mord treibt, eben auch die tieferen Triebkräfte der sonst zu wenig befriedigten Kriegergattin im Spiel sind. Thalheimer folgt so gleichermaßen Shakespeare-Müllers Macho-Ästhetik wie den Abziehbildern der Trivialpsychologie. Zudem wird hier von Frauen offenbar gerne Männerblut geleckt, und alle schnippeln und metzgern immer wieder an den abgeschnittenen Gummipimmeln der diversen Macbeth- Opfer. Was aber tragen die Mörder, unterhalb der Königsklasse? Blutige Gummischürzen wie aus der Bühnenfleischerinnung (Kostüme Nehle Balkhausen).

Selten also wirkte eine Thalheimer-Inszenierung einfältiger

Selten also wirkte eine Thalheimer-Inszenierung einfältiger. Vermutlich hatten Regie und Dramaturgie (Bernd Stegemann) noch an die Schauerdramen des Grand Guignol gedacht, um den von Müller so geschätzten „Humor“ der Schlächter herbei zu zitieren. Doch dann hätten die Schauspieler auf der haarscharfen Schneide zwischen Tragödie und Kasperletheater tanzen müssen. Ihnen blieb indes fast nur das Stelzen und Taumeln in die umnebelte Pathetik. Sascha Nathans stämmiger Macbeth trägt dazu den halben Abend lang vor allem seinen nackten Bauch spazieren und trifft beim Wechseln zwischen Kommandogebrüll, fisteligem Greinen und infantilem Jammern kaum einen eigenen Ton. Die Botschaft: Killermänner sind auch bloß große Kinder. Nur Thilo Nest als Banquo und Ingo Hülsmanns Duncan und Macduff haben hier Zwischentöne – und die sonst so fabelhafte Constanze Becker zeigt als Lady M. immerhin für Augenblicke mit einem Zwinkern und sarkastischen Nosferatu-Grinsen (hey, bin ich nicht hexy?), dass sie die ganze Mechanik durchschaut.

Banquos Sohn Malcolm (wiederum Thilo Nest) stürzt Macbeth und setzt sich am Ende die Krone auf. Dazu quillt ihm wie dem neuen Herrscher-Vampir viel schwarzes Blut aus dem Mund und er streckt seine dunkle Zunge raus. Halb Göttin Kali, halb Rolling Stone. Und noch einmal statt Horrorkunst nur der kleine, künstliche Schreck.

wieder am 3., 6., 26. 12. und 7. 1.

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