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Ganz oldschool. Lutz Hübner und Sarah Nemitz. 30 Stücke des Autorenpaares sind jährlich auf deutschen Bühnen zu sehen.

© Uli Deck/dpa

Lutz Hübner und Sarah Nemitz im Porträt: Warum zwei Autorenstars keine Corona-Stücke sehen wollen

Lutz Hübner und Sarah Nemitz gehören als Paar zu den meistgespielten deutschen Bühnenautoren. Wie arbeiten sie ohne den Echoraum der Theater? Eine Begegnung.

Eigentlich wollten sie sich endlich mal eine Auszeit gönnen. Seit einem Vierteljahrhundert veröffentlichen Sarah Nemitz und Lutz Hübner ein Theaterstück nach dem andern, sie sind damit äußerst erfolgreich, haben Hits gelandet wie „Das Herz eines Boxers“, „Frau Müller muss weg“ und „Willkommen“, in der Aufführungsstatistik des Deutschen Bühnenvereins tauchen sie regelmäßig direkt hinter Goethe und Schiller auf.

„Für die kommende Spielzeit hatten wir mal keinen Auftrag angenommen“, erzählt Hübner beim Treffen im Garten des Einstein-Cafés in der Kurfürstenstraße. „Weil wir dachten: Wir brauchen mal ein Sabbatical. Das erwies sich dann allerdings als ziemlich schräges Timing.“

Im März kam der Lockdown, und plötzlich war ihr Resonanzraum weg. Normalerweise sind pro Saison 30 verschiedene Inszenierungen der Stücke von Sarah Nemitz und Lutz Hübner auf bundesdeutschen Bühnen zu sehen. „Jetzt waren die Theater zu und unsere Arbeit hatte kein Echo mehr“, sagt der Autor. „Von 100 auf null, das fühlte sich zunächst komplett irreal an.“

Anfangs erlebten sie eine kurze Phase des Poetischen: In ihrem Kreuzberger Chamissokiez war es plötzlich geradezu dörflich still. „Und beim Radeln durch die Stadt wurde plötzlich wieder Architektur sichtbar: Unter den Linden fühlte ich mich ohne die Touristen wie in einem Eduard-Gärtner-Bild.“

Doch bald trieb es Hübner und seine Frau zurück an die Schreibtische, zu ihrem gewohnten Arbeitsrhythmus. Der nach dem Thomas-Mann-Prinzip organisiert ist: Jeden Tag verlässlich zur selben Zeit arbeiten, eine erste Runde am Vormittag, eine zweite nachmittags.

Sie machen traditionelles Theater

Wobei „arbeiten“ für das Duo vor allem eins bedeutet: miteinander reden. Über die Recherchen, die sie zum gesellschaftlichen Thema gemacht haben, das sie gerade umtreibt. Und über die Charaktere, die sie für das Stück erfinden wollen. Auch wenn die privaten Vorgeschichten, die sie sich dafür ausdenken, in den Dialogen kaum vorkommen, sind sie enorm wichtig, weil sich damit entscheidet, welche Sprechhaltung die Figuren in den Dialogen einnehmen.

„Je dialektischer uns eine Figur gelingt, desto interessanter ist sie fürs Publikum“, findet Hübner. „Idealerweise bleiben selbst die Positionen jener Charaktere, die sich im Laufe des Stückes unangenehm entwickeln, mindestens in ein, zwei Szenen für die Zuschauer nachvollziehbar.“

Lutz Hübner und Sarah Nemitz machen traditionelles Theater. Das, was im englischen Sprachraum als „well made play“ bezeichnet wird. Stücke, die funktionieren, weil die Handlung stringent aufgebaut ist. In der Berliner Szene ist diese Form gerade nicht so angesagt.

Wer Avantgarde sein will, dekonstruiert die Klassiker oder macht Dokumentar- oder Diskurstheater. Emotionen sind nur dann zugelassen, wenn sie von den Schauspielern umgehend selbst kommentiert werden können. Lutz Hübner hat durchaus etwas für solche postdramatischen Positionen übrig. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu erzählen“, sagt er. Und: „Ich komme mir mit René Pollesch ja nicht ins Gehege.“

Sie sammeln Material zur aktuellen Lage

Gerade zu Beginn seiner Karriere allerdings, das gibt er offen zu, hat es ihn schon gewurmt, dass immer die anderen im Feuilletondiskurs die Hauptrollen spielten. Inzwischen lebt er in „friedlicher Koexistenz“ mit seinen Kritikern. Und nennt seine Arbeitsweise offensiv oldschool: „Solange es eine Nachfrage gibt, bin ich in meiner windstillen Ecke ganz zufrieden.“

Am wichtigsten ist ihm und Sarah Nemitz sowieso das Publikum. Dessen Wahrnehmung der Welt wollen sie schärfen mit ihrer Arbeit. „Politisch relevant zu sein, das ist absolut unser Anspruch. Die Zuschauer sollen merken: Das hat mit meiner Situation zu tun.“

Was läge jetzt also näher, als über die Pandemie zu schreiben? „Weltweit entstehen gerade unheimlich viele Corona-Stücke“, mutmaßt der Autor. „Doch wie sich ein Paar im Lockdown das Leben zur Hölle macht, will wahrscheinlich kein Mensch sehen, wenn es vorbei ist.“ Lutz Hübner und Sarah Nemitz jedenfalls nicht.

Dennoch sammeln die beiden natürlich Material zur aktuellen Lage, so wie sie es gewohnt sind. Mehr als das Anekdotische interessiert sie dabei der soziologische Blick. „Herfried Münklers Formulierung, unsere Gesellschaft habe ihre strategischen Fähigkeiten verloren, weil sie so lange nicht mehr auf Katastrophen reagieren musste, fasziniert mich“, sagt Hübner.

„Gehen Menschen, die 1945 bewusst miterlebt haben, anders mit Corona um als junge Leute? Und wie ist es mit den Kriegsenkeln? Haben sie unbewusst Muster von der Elterngeneration übernommen?“

Sie werden überall gefeiert - nur nicht in Berlin

Dass viele Schauspielerinnen und Schauspieler nach der ersten Resilienz-Phase mit improvisierten Videoperformances in der heimischen Küche mittlerweile kurz vor dem Durchdrehen sind, können Sarah Nemitz und Lutz Hübner gut nachvollziehen. Schließlich waren sie beide selber mal welche. In Neuss, bei einem Engagement am Rheinischen Landestheater, haben sie sich einst kennengelernt – und sind dann nach Berlin gegangen, um hier ihr Glück zu versuchen.

Gewissermaßen als Visitenkarte für die Hauptstadt schrieb Hübner 1994 sein erstes Stück, „Tränen der Heimat“, und Sarah Nemitz spielte es in einem winzigen Off-Theaterchen in Mitte. Dort sah es Grips-Gründer Volker Ludwig und holte es an seine Bühne. So begann die Zweitkarriere des Paares.

Am Hansaplatz werden ihre Stücke bis heute regelmäßig gespielt, ebenso am Renaissancetheater sowie am Potsdamer Hans Otto Theater. Auch im Rest der Republik. Nur die großen Berliner Häuser halten in einem Akt von kollektivem Snobismus ihre Türen für Nemitz und Hübner weiterhin verschlossen.

Solange nichts gespielt wird, verdienen sie keinen Cent

Was sie zumindest finanziell eigentlich nicht kümmern muss. Für die übernächste Spielzeit gibt es zwei Theater-Aufträge, eine Produktionsfirma hat das Konzept für eine TV-Serie angefragt, der Deutschlandfunk ein Hörspiel bestellt. Andererseits spürt auch das Erfolgsduo schmerzhaft die Corona-Auswirkungen. „Wir bekommen unsere Tantiemen vierteljährlich ausbezahlt“, erklärt Lutz Hübner. „Die Überweisung aus dem ersten Quartal war wahrscheinlich unser Jahresgehalt für 2020.“

Denn solange keine Stücke gespielt werden, erhalten die Autoren auch keinen Cent. Und wenn die Häuser wegen der Hygieneregeln nur ein Viertel der Sitzplätze verkaufen können, kommen bei Lutz Hübner und Sarah Nemitz dann eben auch nur 25 Prozent der üblichen Summen an. „Wir Autorinnen und Autoren sind die Einzigen beim Theater, die erfolgsabhängig arbeiten.“

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