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Mal wieder, eine Frau als männliche Projektionsfläche. Lilith Stangenberg als "Lulu".

© Julian Röder

"Lulu" an der Volksbühne: MeToo und die Monster

Regisseur Stefan Pucher erklärt mit Frank Wedekinds „Lulu“ die modernen Geschlechterverhältnisse. Aber versteht er sie auch?

Auftritt Jack the Ripper als Freier, er sticht die Prostituierte Lulu ab. Bei Frank Wedekind ist es das Ende einer Passion, einer Sturzflut von Männerfantasien über die femme fatale, halb Kind, halb wildes Tier. Aber diese „Monstretragödie“, die eigentlich aus zwei Stücken besteht, dem „Erdgeist“ und der „Büchse der Pandora“, ist über hundert Jahre alt, und in dieser Ausführlichkeit spielt man das nicht mehr. Die Zeit der Theaterskandale ist lange vorbei. Der Regisseur Stefan Pucher stellt hier den Mord an den Anfang seiner „Lulu“. Da liegt sie, sehr malerisch hingestreckt, und jetzt soll etwas Neues beginnen. Jetzt soll es einen Anti-Wedekind geben, voll in der Zeit, ein MeToo-Stück in der „alten Klapperkiste Theater“, wie das Programmheft der Volksbühne kämpferisch ankündigt: „Theater, eine Kultur von Männern, für Männer entworfen und gepflegt“.

Offensichtlich geht es um Bilder. Das legt Barbara Ehnes’ Szenografie nahe. Bewegliche Rahmen, nach hinten und nach vorne ausfahrbar, schaffen Bühnen auf der Bühne. Darauf werden Videos projiziert, Stummfilmästhetik, King Kong und die schöne Frau, ein Reigen von Gespenstern des traditionellen Dramas. Die will Pucher austreiben und steckt doch bald drei Stunden fest in einer Kunstwelt, in der die Männer sich lustvoll erniedrigen und die Ansagen machen. Dabei bleibt es. Da können die Musikerinnen, die aus dem Orchestergraben hochfahren wie rächende Furien, noch so laut loslegen. Die Wedekind’sche Männerbande wehrt sich. Der Kampf um ein anderes Bild von Mann und Frau geht an diesem Theaterabend früh verloren.

Poser schuften an der Rampe

Seit einigen Jahren ist Brüllen ein vorherrschendes Stilmittel des Theaters. Das neue Ensemble an der Volksbühne schreit sich die arme Seele aus dem Leib, die Männer heftiger noch als die Frauen. Ob die Regisseure Michael Thalheimer heißen, Ulrich Rasche, Sebastian Hartmann oder eben Stefan Pucher: Das Brülltheater ist ein männliches. Hinzu kommt eine biologistische Sicht der Geschlechter: Lulu gehört dann doch wieder in die Opferrolle, und die Kerle sind komplett schwanzfixiert. Lilith Stangenberg, die Hauptdarstellerin, hat sich in Interviews vor der Premiere dazu differenzierter geäußert. Es gehe dieser Lulu um ihre Lust und Selbstbestimmung, ihr Begehren sei frei, nicht von männlicher Macht geleitet.

Davon ist nichts zu sehen. Lilith Stangenberg wechselt zwar ständig das Kostüm, aber nie die Stimmlage. Sie deklamiert durchweg laut und aufgekratzt, steht ungeschickt herum. Das Problem haben alle: Es wird nicht gespielt, sondern trotzig ausgestellt. Poser schuften an der Rampe. Aber auch das liegt bereits im Stück. Wedekinds Figuren haben oft Abziehbildcharakter. Die männlichen Stützen der Gesellschaft um 1900, die er nackt gemacht hat, stehen irgendwo immer noch an ihrem Platz. Daran ändern die aktuellen Einlagen nichts. Neben dem Rest-Wedekind gibt es Texte der französischen Schriftstellerin und Regisseurin Virginie Despentes („Baise-moi“) und aus dem Berliner Kunstszene-Porno „M“ von Anna Gien und Marlene Stark. Es wirkt alles recht hilflos, wenn nicht peinlich.

Hoffentlich ist das kein Trend

Man muss diese „Lulu“ als feministischen Inszenierungsversuch verstehen. Allerdings ist es ein Feminismus alter Schule, durchdekliniert von einem Mann. Pucher scheint aber nicht unbequem in dieser Falle zu sitzen. Er denkt sich einen neuen Schluss aus, schön kitschig erotisch. Lulu und die lesbische Gräfin Geschwitz schießen die Männer nieder, fantasieren davon, die Volksbühne in Brand zu stecken, hauen ab ins nächtliche Berlin, endlich frei, wie einst Thelma und Louise im Kino. Dem Western-Finale geht ein starker Auftritt der Geschwitz voraus (ein hässlicher Name, eine Bosheit von Frank Wedekind). Die Schauspielerin Sandra Gerling schafft es, sich aus dem allgemeinen Krampf zu befreien, sie findet einen Ton, der ihr gehört: aggressiv, lustig, ironisch und selbstbewusst, fern vom Genöle und Geschrei.

Preisfrage unter älteren Premierengästen: Wann war die berühmte „Lulu“ von Peter Zadek? Es ist über 30 Jahre her. 1988, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Auftritt Susanne Lothar, nackt. Das Saallicht blieb an. Wann stand je eine stärkere Frau auf der Bühne, wann hätte man je wieder eine solche Demonstration über Schauspielkunst und Voyeurismus, Sex und Macht bekommen?

Seltsamer Befund: In der Gesellschaft hat sich seither manches zwischen den Geschlechtern verändert, jedenfalls lässt sich die Zeit nicht mehr so ohne Weiteres zurückdrehen. Im Theater scheint das nicht unbedingt der Fall zu sein. Ausgerechnet im Raum des freien Denkens und Ausprobierens halten sich die alten Muster. Alternde Regisseure entdecken und erklären in Vorwärtsverteidigung Metoo, mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen. Hoffentlich ist das kein Trend.

Wieder am 1., 6. und 13. Juni

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