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Wir & ihr. Beim Revival von Lucinda Childs’ „Dance“ begegnen die Tänzer von heute ihren Kollegen von der Uraufführung 1979. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Lucinda Childs eröffnet „Tanz im August“: Dreh dein Ding

Mit einem Klassiker eröffnet Lucinda Childs das Festival „Tanz im August“

Von Sandra Luzina

Sobald die Musik von Philip Glass zu kreiseln beginnt, sobald das erste weiß gekleidete Tänzerpaar von links nach rechts die Bühne durchmisst, hat man auch schon das Gefühl, abzuheben und zu schweben. Als befände man sich in einem Raumschiff, das alle irdischen Dimensionen hinter sich lässt. „Dance“ von Lucinda Childs entführt in eine Sphäre des reinen Tanzes: Wie sie aus einfachem Schrittmaterial komplexe Bewegungsmuster generiert, ist faszinierend.

Eine Ikone der Avantgarde eröffnet in diesem Jahre das Festival „Tanz im August“ und beglückt die Zuschauer mit einem Siebziger-Revival. „Dance“ entstand 1979 – und mutet doch alles andere als museal an. Vor zwei Jahren hat die Amerikanerin die Choreografie neu einstudiert, mit einem jungen Ensemble, das eigens für das Remake gegründet wurde. Seitdem tourt die Lucinda Childs Dance Company durch Europa und die USA. „Als ,Dance’ damals herauskam“, erzählt sie amüsiert, „lauteten die Reaktionen: Das ist doch kein Vokabular! Das kann doch jeder!“ Die große Resonanz freut die Choreografin: „Das gibt dem Stück eine Zukunft.“

In „Dance“ hat Lucinda Childs ihre Methode des minimal dance voll entwickelt. Grundlage ist ein ausgetüfteltes mathematisches Kompositionsverfahren. Die Bewegungsfolgen basieren auf simplen Schritten, kleinen Sprüngen und Drehungen. Die Phrasen wiederholen sich unentwegt, doch der aufmerksame Betrachter kann die minimalen Variationen erkennen, die durch Veränderungen in Rhythmus und Dynamik und durch Richtungswechsel und räumliche Verschiebungen entstehen. Dieser repetitive Tanz entfaltet eine geradezu hypnotische Qualität.

„Dance“ ist aber auch deshalb ein prägendes Werk der jüngeren Tanzgeschichte, weil hier drei wichtige Vertreter der amerikanischen Avantgarde zusammengearbeitet haben, auch wenn die Komposition von Philip Glass dem heutigen Hörer zwar ziemlich schwülstig oder abgenudelt vorkommen mag. Der Schwarz-Weiß-Film des Konzeptkünstlers Sol LeWitt, der als Projektion das Bühnenbild bestimmt, fügt dem Bühnengeschehen eine weitere Dimension hinzu. Der Film zeigt denselben Tanz wie auf der Bühne, freilich aus wechselnden Blickwinkeln aufgenommen. Damals wurden die Tänzer mit ihren filmischen Alter Egos konfrontiert. Heute begegnen sie ihren Vorgängern aus den Siebzigern, die – auf Gaze projiziert – wie Geistererscheinungen anmuten. Sie schweben schon mal über den Köpfen der Heutigen, überlebensgroß, was dem ganzen einen surrealen Touch gibt.

Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich in „Dance“ in jedem Moment – was natürlich auch den Vergleich provoziert. Die Differenzen fallen gleich ins Auge. Die Tänzer aus den Siebzigern haben zwar nicht die bestechende Präzision der heutigen Tänzer, wirken aber lässiger und lockerer. Bei den Tänzern von heute tritt das durchstrukturierte Bewegungs- Design klarer zu Tage, sie akzentuieren sehr scharf die Rhythmen, in Reibung mit der Musik, und entwickeln in ihren ständigen Loops einen enormen Drive. Im Mittelteil spinnt sich die fabelhafte Anne Lewis in einen Drehrausch und legt dabei doch eine heitere Wachheit und Geistesklarheit an den Tag. Die riesige Lucinda Childs auf der Leinwand wirkt ungleich cooler und strenger, wie sie da unbeirrbar ihre Bahnen zieht, wie ein Pfeil in den Raum schießt.

„Dance“ entwickelt einen wunderbaren flow: Man hat den Eindruck, dass der Tanz schon loslegte, bevor die Aufführung begonnen hat, und dass er ewig weitergeht. Trotz seiner mathematischen Strenge wirkt „Dance“ fast heiter und spielerisch, auch dank der Interpretation der tollen Tänzer. Dieses überaus frische Revival setzt Maßstäbe, an denen sich die Newcomer beim „Tanz im August“ messen lassen müssen.

Noch einmal heute, 19.30 Uhr, im HAU 1.

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