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Chillen muss auch mal sein. Karin Hanczewski in einer Filmszene aus "Lotte".

© Martin Neumeyer/promo

"Lotte" auf der Berlinale: Alles Schweine, auch die Mutti

Sie spielt mit einer brodelnden Aggressivität: Karin Hanczewski ist „Lotte“ im Perspektive-Debüt von Julius Schultheiß. Eine Begegnung mit dem Duo.

Kinder, ist das schön. Eine Frau, die sich breitmacht, die pampig ist, die nicht um jeden Preis gefallen, nicht unbedingt von allen geliebt werden will. Eine, die sich um nichts und niemanden kümmert. Die rauchend und saufend durch Tage und Nächte pflügt, wie das im Film – und im Leben - sonst eigentlich nur Männern verziehen wird.

Und wie großartig Karin Hanczewski diesen im deutschen Kino viel zu selten zu findenden Typus spielt: mit einer brodelnden Aggressivität, die die ihr zugrunde liegende Wunde immer ein wenig durchschimmern lässt. Das macht aus Julius Schultheiß’ lakonischem Familiendrama in den ersten zwei Dritteln ein überzeugendes und überraschendes Debüt. Geschenkt, dass im letzten Drittel, wenn Lottes Geheimnis aufgedröselt und „therapiert“ wird, die erzählerische Kraft etwas nachlässt und dafür das Knistern das Drehbuchs hörbar wird. Dies ist die Perspektive Deutsches Kino. Und eine Nachwuchssektion muss nach Mut fragen, nicht nur nach Perfektion.

Rein privat finanziert

Den hat Regisseur, Autor und Produzent Julius Schultheiß, 1985 in Marburg an der Lahn geboren und Absolvent der Kunsthochschule Kassel, schon im Vorfeld bewiesen. „Lotte“ ist rein privat finanziert, wie er beim Treffen in einem Café am S-Bahnhof Sonnenallee erzählt, das in „Lotte“ auch als Location eine Rolle spielt. „Ich habe dafür meinen Bausparvertrag geschlachtet.“ Rund 8000 Euro hat er lockergemacht und dann noch mal 3500 per Crowdfunding gesammelt. Das funktioniert nur, weil er seine Miete mit Brotjobs in der Filmbranche verdient.

Einfach machen. Schauspielerin Karin Hanczewski und Regisseur Julius Schultheiß.
Einfach machen. Schauspielerin Karin Hanczewski und Regisseur Julius Schultheiß.

© Kai-Uwe Heinrich

Die 1981 in Berlin geborene Karin Hanczewski hat auf Rückstellung, also Gewinnbeteiligung gearbeitet, wie das Schauspieler und Technikdepartment häufig bei No-Budget-Produktionen tun. Im Gegensatz zum Newcomer Schultheiß ist sie allerdings schon eine Weile gut im Geschäft. Im vergangenen Jahr war sie in Tom Sommerlattes viel gelobtem Perspektive-Beitrag „Im Sommer wohnt er unten“ zu erleben. Nach der Ausbildung am Europäischen Theaterinstitut Berlin gehörte sie mehrere Jahre zum Ensemble des Jungen Theaters Göttingen. Seit 2009 spielt sie Fernsehrollen und bildet jetzt sogar zusammen mit Alwara Höfels, Jella Haase und Martin Brambach das neue Ermittlerteam des MDR-„Tatort“ Dresden.

Die Rolle: Ein Geschenk des Himmels

Gerade deshalb erscheint Karin Hanczewski eine Rolle wie Lotte, die Schultheiß ihr schon 2013 in der Stoffentwicklungsphase angeboten hat, als Geschenk des Himmels. „Da liegt so viel Freiheit drin.“ Mit keiner Figur habe sie sich bisher intensiver auseinandergesetzt – inklusive nächtlicher Telefonate mit dem Regisseur. Schauspielerisch habe sie noch nie so viel zeigen können. „Lotte animiert ihre Tochter zum Rülpsen, zum Koksen – so was gibt es sonst nicht zu sehen.“

Zumindest nicht im deutschen Kino, merkt Julius Schultheiß an, im US-Kino schon. Da fallen ihm weibliche Desperados wie Charlize Theron in „Young Adult“ oder Tilda Swinton als Alkoholikerin „Julia“ ein. Sein selbst erfundener Fachterminus dafür lautet: „wasted-woman-style“.

Tatsächlich mutet die Krankenschwester Lotte ihrer Umgebung einiges zu. Sie packt nach einem Streit mit ihrem Freund sofort den Koffer, zecht die Nächte durch, erschnorrt sich Schlafgelegenheiten, ist auf Station dauernd zu spät dran und trudelt unstet durch Berlin. Als sich dann die junge Patientin Greta, die die ebenfalls hoffnungsvolle Zita Aretz in ihrer ersten Kinorolle spielt, an Lottes Fersen heftet, ist sie alles andere als scharf auf den Kontakt. Erst recht nicht, als Greta sich als ihre Tochter offenbart, die, wie es aussieht, von der Mutter ignoriert und beim Vater aufgewachsen ist.

Abbild eines hedonistischen Lebensentwurfs

Extreme austesten, Bindungen negieren, Dauerjugendliche sein – „Lotte“ ist auch ein Abbild des hedonistischen Lebensentwurfs der Thirtysomethings in Berlin. Julius Schultheiß nickt. Diese ewige Unverbindlichkeit nerve manchmal. Lottes Rastlosigkeit setzen er und der meist nah an der physisch kraftvollen Hauptdarstellerin klebende Kameramann Martin Neumeyer auch ganz direkt ins Bild – durch Fahren mit der Ringbahn. „Das kannst du so endlos nur in Berlin umsetzen, dieses Gefühl wollte ich drin haben.“ Und auch nur hier kann man so abtauchen, sich unangreifbar machen, glaubt Karin Hanczewski.

Wobei Lottes Verweigerung, erwachsen zu werden, dann angesichts ihres Nachwuchses allmählich zerbröselt. Eine Wende, eine Auflösung, die fast ein wenig wehmütig stimmt, markiert sie doch den Abschied vom erfrischend rabiaten Ego. Da können Schultheiß und Hanczewski nur mit den Schultern zucken. Für so ein Verhalten müsse nun mal ein Grund her, finden sie. „Ich hätte auf Dauer keine Lust, einer Alles-egal-Type zuzugucken“, sagt die Schauspielerin. Und eine zu spielen schon gar nicht. Da haben sie leider recht, zumindest nach dem Pschyrembel der Kinopsychologie. Gunda Bartels

15.2., 14 Uhr (Cinemaxx 5) u. 19.30 Uhr (Cinemaxx 3), 16.2., 12 Uhr (Colosseum 1) u. 21 Uhr (Cinemaxx 1)

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