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Dan Reynolds, Sänger der US-amerikanischen Rock-Band Imagine Dragons beim Lollapalooza-Festival 2018

© Britta Pedersen/dpa

Lollapalooza-Festival: Das Leben feiern, forever

Rock-Vergangenheit trifft Pop-Gegenwart: Der zweite Tag des Berliner Lollapalooza-Festivals mit SXTN, Imagine Dragons, Liam Gallagher - und Kraftwerk.

Es ist eine prachtvolle Ansicht, die sich da an diesem zweiten Lollapalooza-Festivaltag am frühen Abend bietet: Die irgendwo ganz tief im Westen untergehende Sonne schickt ihre letzten violetten Strahlen in den schon tief-dunkelblauen Himmel, und der Glockenturm des Maifelds wird von unten, dort, wo sich die VIP-Tribüne befindet, künstlich grünrot angestrahlt. Was wiederum schön korrespondiert mit der Choreografie von Kraftwerk auf einer der zwei Hauptbühnen: den grünen Gittern ihrer Pulte und Ganzkörperanzüge. Das Wörtchen „Zukunft“ leuchtet auf der Leinwand hinter Kraftwerk auf, bei ihrem Stück „Computerwelt“. Was natürlich nicht darüber hinwegtäuscht, dass diese Band als prominentester Act, als der das zweitägige Festival abschließende Haupt-Act, wirklich die tiefste, entlegenste Vergangenheit darstellt. Überhaupt fragt man sich, was Perry Farrell und seine Lollapalooza-Programmdirektion dazu veranlasst hat, Kraftwerk noch einmal aus dem Museum zu holen, dem ja inzwischen tatsächlich angestammten Spielfeld der Düsseldorfer Elektropioniere?

SXTN sind das Gegenmodell zum männlich dominierten deutschsprachigen Rap

Wie üblich passiert bei Kraftwerk nicht viel, läuft das Programm mechanisch, ohne Störung. Wer es einmal gehört hat, ist höchstens noch daran interessiert, wie die Mischung dieses Mal ausfallen wird. Die Zukunft des Pop, die ja in der Regel die reine Gegenwart ist, hatte es kurz vor dem Auftritt von Kraftwerk gegeben: zum Beispiel auf der anderen Bühne anderthalb Stunden lang mit der US-Band Imagine Dragons. Und auf der sogenannten Perry´s Stage inmitten des Olympiastadions mit SXTN, einem Frauenduo aus Berlin, bei dem es urplötzlich fast so rappelvoll im Stadion ist wie am Abend zuvor bei David Guetta. SXTN sind die Rapperinnen Judith Wessendorf, die früher mal bei Freundeskreis mitgemacht hat, und Nura Habib Omer, die Mitglied der Toten Crackhuren im Kofferraum war. Sie beide sind das weibliche Gegenmodell zum männlich dominierten deutschsprachigen Rap, was, wie man an diesem Abend sieht, nötiger denn je zu sein scheint. „Die Fotzen sind wieder da“, „Frischfleisch“, „Deine Mutter“ oder „Ich bin schwarz“ - eine „Ich-will-Spaß“-Markus-Coverversion - heißen die von donnernden Elektrobeats unterlegten Stücke von SXTN, die einfach mal die Rollen tauschen und damit gegen den oft subtil von Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Homophobie unterlegten Rap ihrer männlichen Kollegen zu Felde ziehen. Tausende da unten im Olympia-Rund können Zeile für Zeile nachsingen und skandieren dann irgendwann, ganz im Einverständnis mit SXTN:„Ausziehen, ausziehen!“.

Die Musik von Imagine Dragons ist faszinierend in ihrer gefühligen Schlimmheit

Derweil absolviert der Sänger der Imagine Dragons, Dan Reynolds, seinen Auftritt tatsächlich halb ausgezogen: freier Oberkörper, kurze schwarze Hose, weiße Socken, weiße Sneakers. Solcherart gewandet sieht Reynolds super aus. Auch seine Performance ist super und seine Ansagen sind gut und korrekt, wenn gleich mit leicht eskapistischem Anflug. Politik, Religionen und all das sollen doch bitte schön draußen vor bleiben, sagt er, um Liebe, Frieden und Musik gehe es an diesem Abend. „Celebrating Life“ nennt er es, um später noch einmal zu betonen, dass das Auseinanderdividiere durch Race, Class, Money und Gender mit ihm und seiner Band nicht zu machen sei. Es gehe hier um die Musik, darum, dass wir alle gleich, wir alle Menschen seien. Woraufhin Reynolds sich gleich noch eine Regenbogenflagge schnappt und diese einen Song lang über seinen Oberkörper legt.

Nicht so super ist die seltsam schlimme Pop-Rock-Musik von Imagine Dragons. Wenngleich sie die Worte von Reynolds und dessen Sinn für das Gemeinschaftsstiftende seiner Band aufs Beste unterstreicht. Viele Aufs und Abs, viel Laut und Leise, viel Spannungsaufbau, damit Erlösung und Entladung noch schöner geraten, viel Pathos und noch mehr Gefühle. Dagegen sind die miesesten Emo-Grunger der mittleren neunziger Jahre oder eine Band wie die Editors der reine Punk, der geradeste Rock’n’Roll. Häufig muss man sich während des Sets der Imagine Dragons den Schweiß abwischen, die Tränen aus dem Gesicht, den Kitsch aus Poren und Gefühlslagen. Es regiert die künstlich generierte Freude über soviel Leben und so viel Liebe. „Wir lieben Euch“, immer wieder sagt Reynolds das, "wir lieben Lollapalooza", "wir lieben Berlin". Ach, so viel Liebe, so viel Come Together!

Rag'n'Bone man wird etwas unter Wert verkauft

Aber so sieht sie aus, die Gegenwart des Pop, des Rocks: wie die Imagine Dragons wie SXTN. Das Programm dieses vierten Lollapalooza-Festivals ist gar nicht so schlecht, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Es ist eben ein ziemlich zeitgemäßes, den Mainstream gut abbildendes Line-Up. Zum Beispiel ist auch der Superstar des Jahres 2016 da, der britische Blues- und- Soulsänger Rag’n’Bone Man. Der wird am Mittag unter einer immer noch schön heiß brennenden Frühseptember-Sonne etwas unter Wert verkauft, auch weil es bei ihm kaum Fan-Überschneidungen mit dem zuvor auf der anderen Bühne auftretenden Deutschrapper Rin gibt. „Dieser Rag’n’Bone Man, der kann mich mal“, gibt ein Jungmann nach dem Set von Rin einem anderen zum besten. Tatsächlich ist der mitunter mit so einigen Hip-Hop-und noch mehr Soul–Sprengseln versehene Röhrblues-Sound von Rag’n’Bone Man mehr was für die Sportschau-Vattis, von denen allerdings an diesem Sonntagnachmittag nicht so viele hier sind, (gibt ja abends Länderspiel), die meisten mit ihren Kindern. Und die sie sind ganz aus dem Häuschen bei der gleichfalls ziemlich schlimmen, so gar nichts sagenden Party-Sommer-Gute-Laune-Musik von Dua Lipa mit ihren diversen Mittänzerinnen und einer Begleitband, die an den Stränden Spaniens oder Bulgariens eine noch bessere Figur machen würde.

Liam Gallagher spielt "Live Forever"

Wie gut, dass es daraufhin wieder Rock’n’Roll gibt, zumindest dieser explizit behauptet wird: von Liam Gallagher und seiner Band. Hier treibt sie wieder ihr Wesen, die Vergangenheit. Liam Gallagher ist eine coole Sau, so wie er (und auch seine Band) ganz in einem matten Schwarz gekleidet wie gehabt am Mikro steht (so leicht in der Beuge, Hintern und Oberkörper leicht nach hinten, die Arme darüber verschränkt, Kopf von unten nach vorn oben), in seinem kaum zu verstehenden Nordenglisch seine Späßchen macht und eine Mischung aus eigenen Songs und einigen von Oasis singt, so wie „Some Might Say“, das wunderschöne „Champagne Supernova“ oder „Supersonic“. Rock’n’ Roll ist das nicht. Den kann Liam Gallagher nur leben, aber nicht spielen, dafür ist er zu sehr Beatles-Verehrer, zu sehr Brite und Lad, dafür kommt ihm viel zu sehr sein Sinn für gut vorbereitete Melodien in die Quere. Aber umso besser. Am Ende stimmt er mit „Maybe I don't really wanna know“ einen der größten Hits von Oasis an, „Live Forever“. Was ein schönes Statement zum aktuellen Popgeschehen mit Dua Lipa, Imagine Dragons oder SXTN ist. Mit so einem Song ist Liam Gallagher die ewige Pop-Gegenwart gewiss.

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