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Das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy haben Bühnenbild und Kostüme der neuen Bayreuther "Lohengrin"-Inszenierung ganz in Delfter Blau getaucht.

© Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

"Lohengrin"-Premiere in Bayreuth: Der Schwanenheld im Blaumann

Solides Bayreuth: Neo Rauch und Rosa Loy statten den neuen „Lohengrin“ der Wagner-Festspiele aus. Und Regisseur Yuval Sharon lässt interpretatorisch lichte Momente vermissen.

Lohengrin und Lenin – der 39-jährige amerikanische Regisseur Yuval Sharon spricht einen gewagten Vergleich gelassen aus. Beide, der Held aus Richard Wagners Oper wie der russische Revolutionär, seien „visionäre Führer, die ein Ideal verkörpern und doch von Widersprüchen zerrissen werden". Das Ziel einer sozialen Gleichberechtigung von Frau und Mann, führt der Bayreuth-Debütant im Programmheft zur diesjährigen Neuinszenierung aus, „konnten weder Lenin noch Lohengrin in ihrem Privatleben realisieren“.

Man muss schon ziemlich von Wagners Gedankendunst benebelt sein, um auf solche Analogien zu kommen. In der Oper geht es schließlich nicht darum, die bestehende Weltordnung umzustürzen und dem Kapitalismus eine Alternative entgegenzusetzen, sondern ein Gralsritter wird nach Brabant entsandt, um dort die Ehre einer unschuldig Verurteilten zu retten, und muss sich an die Regel seiner Sekte halten, dass Heldentaten lediglich inkognito ausgeführt werden dürfen.

Sei's drum, die Schlussfolgerung, die Yuval Sharon für seine Interpretation zieht, ist nicht uninteressant. Der Versager in dem Stück ist für ihn nämlich nicht Elsa, die das „Nie sollst du mich befragen“-Gebot bricht, sondern Lohengrin. Einen „tragischen Exponenten der Unvollkommenheit“ nennt ihn der Regisseur, weil er sowohl vom Volk wie von seiner Ehefrau Elsa unbedingten Gehorsam fordert. Mit dem Argument, dass man ihm eben einfach vertrauen müsse, lässt er keine Fragen nach seiner Herkunft oder seiner Legitimation zu.

Liebesbeziehungen können ohne Offenheit auf beiden Seiten nicht funktionieren. Die fordert Elsa ein, wenn sie die verbotene Frage stellt - und emanzipiert sich damit, befreit sich aus der Rolle der Gefährtin, die ihrem Herrn blind folgt. So gesehen, postuliert Sharon, ist „Lohengrin“ die Geschichte von zwei starken Frauen. Denn auch Ortrud, Elsas Gegenspielerin, will nicht im Schatten ihres Mannes Telramund stehen. Nachdem er im Gotteskampf gegen Lohengrin verloren hat, ergreift Ortrud die Initiative, ja sie verhilft Elsa mit ihrem Racheplan erst zur geistigen Erweckung, gibt ihr die Kraft, auf Augenhöhe mit Lohengrin zu verhandeln.

Das Premierenpublikum feiert Piotr Beczala und Anja Harteros

Schade nur, dass dieser Interpretationsansatz während des langen Eröffnungs-Premierenabends der diesjährigen Bayreuther Festspiele lediglich einmal aufblitzt. Wenn nämlich Lohengrin im Brautgemach versucht, die wissbegierige Elsa nicht mehr nur mit Worten, sondern ganz konkret mit einem Seil an sich zu fesseln. Wie sie sich wehrt und windet, wenn sie insistiert, sich schließlich frei machen kann, das ist eine starke Szene. Auch, weil Anja Harteros stimmlich keine „junge Naive“ ist, die sich mit jungfräulicher Reinheit verströmt. Deutlich hörbar hat diese Elsa schon viel erlebt. Die Vielfarbigkeit von Anja Harteros' Sopran kennt auch Schattenseiten, kündet von früheren Verletzungen.

Piotr Beczala dagegen, der die Titelpartie kurzfristig von Roberto Alagna übernommen hat, wirbt mit weichem Tenor um das Vertrauen, das er für seine Mission braucht, umgarnt Elsa mit einschmeichelnden Tönen, eleganter Phrasierung, ja geradezu belcantistischer Klangschönheit. Hier steht einer, der es richtig machen will und der doch an der Gesellschaft scheitert, deren Repräsentant er ist. Im Finalbild, bei der Gralserzählung, wenn Lohengrin endlich von sich und dem „fernen Land, unnahbar euren Schritten“ berichtet, wird bei Beczala keine Wut zu hören sein, sondern ehrliche Trauer. Dafür wird er vom Premierenpublikum ebenso gefeiert wie Anja Harteros.

Zwei interpretatorisch lichte Momente sind das in einer Inszenierung, die ansonsten in der Personenführung so konventionell daher kommt, als sei hier der legendär altfränkische Bayreuth-Prinzipal Wolfgang Wagner noch einmal am Werk gewesen. Da werden Hände gerungen wie anno dazumal, da wird hoheitsvoll geschritten, da streuen Blumenmädchen minutenlang Papierschnipsel, während der Chor seitlich im symmetrischen Arrangement verharrt.

Piotr Beczala als Lohengrin.
Piotr Beczala als Lohengrin.

© Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

Sicher, Yuval Sharon hatte es nicht leicht. Die letzte Bayreuther "Lohengrin"-Inszenierung von Hans Neuenfels wurde erst wild ausgebuht, dann wurde Neuenfels' rättisch-gesellschaftskritische Lesart bald Kult. Und Sharon ist erst 2016 zum Inszenierungsteam gestoßen, als Ersatz für den ursprünglich engagierten Alvis Hermanis. Da hatte sich Neo Rauch bereits vier Jahre lang in den „Lohengrin“ eingehört - und festgelegt, dass die Oper blau ist. Bei den Kostümen, den Dekorationselementen, dem Rundprospekt im Hintergrund, überall dominieren Blautöne. Als einzige Kontrastfarbe ist ein giftiges Orange zugelassen, dass an bleihaltiges Rostschutzmittel erinnert. 

Den Malerstar der Neuen Leipziger Schule zusammen mit seiner Frau Rosa Loy für die Ausstattung zu verpflichten, war ein medienwirksamer Coup von Festivalchefin Katharina Wagner, die Neugier auf Rauch-Zeichen aus Bayreuth auch bei Nicht-Wagnerianern groß. Doch wie so oft, wenn Bildende Künstler als Bühnenbildner dilettieren, will es so recht nicht klappen mit dem Sprung ins Dreidimensionale. Sie hätten sich „beizeiten auf ein klassisches Kulissentheater kapriziert“, erklärte das Ehepaar im Interview mit der „Zeit“, und dabei bewusst das Risiko in Kauf genommen, „etwas Vorstadtbühnenhaftes zu elaborieren“.

Neo Rauch und Rosa Loy tauchen die Szenerie in Delfter Blau

Sehr puppenstubig sieht das kleine Häuschen mit der Antenne auf dem Dach in der Tat aus, in dem Elsa und Lohengrin ihre Hochzeitsnacht verbringen sollen. Noch putziger als die Transformatorenstation samt meterhohen Strommasten und gerippten Keramikisolatoren ist nur die Erklärung, die Yuval Sharon für die Aufbauten eingefallen ist. Das Volk von Brabant hat seine Energie verloren und muss darum von Lohengrin neu elektrisiert werden. Prompt zucken bei seinem Auftritt blitzende Stromstöße durch die Leitungskabel, so wie man das aus der Kinder-Experimente-Abteilung von Naturkundemuseen kennt.

Das Delfter Blau der Dekorationen hat Rosa Loy und Neo Rauch dazu inspiriert, für die Kostüme altniederländische Hauben und Krägen à la van Dyck zu kreieren - die als Hinweis auf die Überzeitlichkeit des Geschehens wiederum mit Chucks und Doc Martens an den Füßen der Choristen kontrastiert werden. Und als wäre das noch nicht des Plunders genug, müssen die Protagonisten zusätzlich Flügel tragen – weil das historische Brabant doch eine Sumpflandschaft war, in der sich so manches Getier herumschwirrte.

Wie Peter Pans Fee Tinker Bell sehen die Frauen aus, während den Herren ihre Motten-Schwingen am Rücken herunterhängen wie riesige Schlappohren. Telramund wird einen Flügel im Duell mit Lohengrin verlieren – der hier ein Luftkampf ist, ausgeführt von zwei Stuntmännern, die aussehen wie Harry-Potter-Doubles. 

Piotr Beczala als Lohengrin (ganz links) und seine sängerischen Mitstreiter Waltraud Meier (Ortrud), Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund), Georg Zeppenfeld (König Heinrich), Egils Silins (Heerrufer) und Anja Harteros (Elsa von Brabant).
Piotr Beczala als Lohengrin (ganz links) und seine sängerischen Mitstreiter Waltraud Meier (Ortrud), Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund), Georg Zeppenfeld (König Heinrich), Egils Silins (Heerrufer) und Anja Harteros (Elsa von Brabant).

© Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

Unter diesen szenischen Umständen Haltung zu bewahren, fordert große darstellerische Souveränität. Waltraud Meier besitzt sie: Ihre Ortrud ist eine antike Tragödienfigur, kontrolliert in jeder Bewegung, auratisch, furchteinflößend. Nach 18 Jahren Bayreuth-Abstinenz ist sie für eine letzte Saison zurückgekehrt an die Stätte ihrer Triumphe als Kundry (ab 1983!) und Isolde (im „Tristan“ von Heiner Müller). Die Bravo-Rufe beim Schlussapplaus sind also auch als Würdigung für ihr Lebenswerk zu verstehen. Ihre herausgeschleuderten hohen Töne gehen zwar mittlerweile durch Mark und Bein, wenn sie aber leise wird, als sänge sie ein Schubert-Lied, während sie ihren Mitspielern das Gedankengift einträufelt, dann ist das großes Musiktheater.

Nächsten Sommer kommen Anna Netrebko und Valery Gergiev

Ihr zur Seite steht mit Tomasz Konieczny ein Telramund von wilder Kraft – dem es sogar gelingt, Christian Thielemann zur packenden Leidenschaftlichkeit mitzureißen und für Momente von seiner goldschmiedhaften Ziselierarbeit abzulassen. Thielemann trägt nicht nur den Ehrentitel des Bayreuther Musikdirektors, er hat als erster Maestro seit Felix Mottl hier auch alle zehn großen Wagnerwerke dirigiert. Er lebt mit diesen Partituren, seit er ein Teenager ist, und er vermag ihnen immer wieder neue Details abzulauschen, das Altvertraute so zu wenden, dass auch Kenner und Liebhaber der Werke über diese und jene bislang nie wahrgenommene Nebenstimme staunen.

Dass mit ihm ausschließlich Musiker im gedeckelten Orchestergraben schwitzen, die freiwillig ihre Sommerferien drangeben, um in Bayreuth ausführlich zu proben, ermöglicht es Thielemann allerdings auch, über das rein Didaktische hinaus einen fantastischen Sound zu erschaffen.

Im kommenden Sommer wird er sich übrigens auf einen weiteren Star einstellen müssen, denn dann tritt Anna Netrebko in zwei Vorstellungen als Elsa auf. Valery Gergiev steht jetzt als Dirigent der 2019er Neuproduktion des „Tannhäuser“ fest, bei der Stephen Gould die Titelpartie singt und Tobias Kratzer Regie führt. Wie sich 2020 das Kreativteam beim nächsten Bayreuther „Ring des Nibelungen“ zusammensetzten wird, will – oder kann – Festspielchefin Katharina Wagner dagegen immer noch nicht verraten.  

3sat zeigt am 28.7. um 19.20 Uhr eine Dokumentation über die Bayreuther Festspiele, um 20.15 Uhr folgt eine Aufzeichnung des „Lohengrin“.

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