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Souverän. Elena Pankratova begeistert als Ortrud.

© Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath

"Lohengrin" in Bayreuth: Energie und Zauberfeuer

Bayreuther Festspiele: Yuval Sharons Wiederaufnahme des „Lohengrin“ wird zum Fest der Frauen

Sage noch mal einer, Bayreuth sei nicht wandlungsfähig. Während das Medienecho auf Tobias Kratzers wildverrückte Regie beim neuen „Tannhäuser“ überwiegend positiv ausfällt („genialisch“, schreibt die „FAZ“, „intelligent und herzzerreißend“ die „New York Times“), stößt das Dirigat von Maestro Valery Gergiev unisono auf Kritik. Gewöhnlich ist es auf dem Hügel umgekehrt: Das Regietheater kommt schlecht weg, und die Musiker werden gefeiert.

Auch dass die Festspiele auf den Facebook-Post der Dragqueen Le Gateau Chocolat, die ihrem Erschrecken über das sie ausbuhende Publikum Ausdruck verlieh, mit einem offiziellen Tweet reagierte, hat Neuigkeitswert. „George, we love you, als Mensch und Künstler!“: Bayreuth twittert, cool und auch noch schnell. Willkommen in der Gegenwart.

Unsauberkeiten der Holzbläser

Wobei es irgendwie auch schade ist, wenn diese aus der Zeit gefallene Wagner-Weihestätte sich normalisiert. Wenn Yuval Sharons maue „Lohengrin“-Regie mit statuarisch-biederen Tableaus auch im zweiten Jahr nicht mit Buhs quittiert, sondern freundlich durchgewinkt wird.

Wenn Christian Thielemann die himmlischen Geigen im „Lohengrin“-Vorspiel zu erden versucht und der aphrodisisch-hypnotische Zauber ihm einmal nicht gelingen will, vor lauter kammermusikalischer Transparenz. Auch Musiker schwitzen: Vielleicht liegt es ja an den 34 Grad Außentemperatur, dass die Unsauberkeiten etwa der Holzbläser und asynchrone Einsätze sich häufen an diesem Abend.

Nichts gegen Thielemann. Klänge modellieren, den Chor mit seinen fast magischen A-cappella-Einsätzen (Einstudierung: Eberhard Friedrich) danach in Watte betten, die Elemente mit züngelnd auffahrenden Streichern und wütenden Trompeten über energischen Bässen entfesseln und überhaupt tolle Crescendi auffahren – all das macht Thielemann im akustisch vertrackten „mystischen Abgrund“ des schallbedeckelten Orchestergrabens derzeit keiner nach.

„Lohengrin“ im Jahr zwei wird jedoch vor allem ein Fest der Frauen. Die Regie propagiert das ja nur: dass die Männer ausgedient haben, Lohengrin mit seinem Pochen auf bedingungslosen Gehorsam in der Liebe genauso wie Telramund mit seiner Machtgier. Was alberne Banalitäten zur Folge hat, neben dem Luftduell der geflügelten Widersacher vor allem die wiederholte Fesselung der widerspenstigen Damen.

Neckische Blitze

Auch der Zusammenhang zwischen dem Regiekonzept nach dem Motto „Die Zukunft ist weiblich“ (Elsa und Ortrud sinken am Ende nicht tot zu Boden) und den die Inszenierung dominierenden gemalten Wolken-Prospekten von Neo Rauch und Rosa Loy erschließt sich erneut nicht. Ebenso wenig die Elektrifizierung von Trabant per Umspannwerk und sich wiederholt in neckischen Blitzen entladender Hochspannung.

2018 hatten Anja Harteros als Elsa und Waltraud Meier, die mit der Ortrud-Partie ihren Bayreuther Bühnen-Abschied gab, das Publikum nicht überzeugen können. Camilla Nylund und Elena Pankratova lösen diesmal Begeisterung aus, können sie das von der Regie so vordergründig Behauptete doch mit ihrem Gesang einlösen.

Camilla Nylund, die kurzfristig für Krassimira Stoyanova einsprang, ist eine verhaltene Elsa. Wobei die finnische Kammersängerin ihr fehlendes Volumen mit Ausdrucksintensität wettmacht. Die anderen poltern (allen voran Tomasz Konieczny als Telramund). Was für ein Kraftakt, mit leiser Stimme dagegenzuhalten. Die Frau, die zweifelt und daraus ihre Stärke gewinnt, die Tabus bricht und als Einzige zu fragen wagt: Nylunds feinsinniges Mezzoforte macht diese stille, zögerliche, letztlich unabwendbare Selbstbefreiung fast physisch nachvollziehbar.

Verführerisch giftender Gesang

Die Russin Pankratova – die Bayreuther Kundry von 2016 – verkörpert in gewisser Weise das Gegenteil. Mit souveränen Spitzentönen, bebender Wut und verführerisch vergiftetem Gesang wird sie zur veritablen Lady Macbeth. Das Duett von Elsa und Ortrud im 2. Akt zeigt die beiden auf Augenhöhe, mit zwei denkbar verschiedenen aber ebenbürtigen Arten weiblicher Selbstermächtigung.

Dabei gelingt es den Sängerinnen, ihre so unterschiedlichen Stimmen und Lautstärken wundersam in Einklang zu bringen. Kaum zu glauben, dass Yuval Sharon die beiden weitgehend sich selbst überlässt, noch dazu auf einer düster verschatteten Bühne.

So kommt auch Klaus Florian Vogt nicht recht zum Zug. Der gefeierte Titelheld schon in Hans Neuenfels’ erst umkämpftem, dann kultigem letzten „Lohengrin“ in Bayreuth betört wieder mit glockenreinem Tenor und zeitlos jugendlicher Unschuld in der Stimme, durchsetzt sie jedoch mit dem schneidend autoritären Duktus des „Nie sollst du mich befragen“.

Und er sorgt bei seinem Outing als Parzifal-Sohn für den musikalischen Höhepunkt des Abends, mit einem atemstockenden Moment purer Schönheit, als die berühmte „Taube“ sich vom Himmel nähert. Aber warum darf dieser widersprüchliche Mann, der zwar aufrichtig liebt, aber alles falsch macht, nach seiner Landung im Schwanen-Ufo nur noch im Piloten-Blaumann auf der Bühne herumstehen, irgendwo, irgendwie?

Bayreuth nennt sich gern eine Werkstatt. Yuval Sharon hat, soweit erkennbar, kein Detail verändert. Die Sänger müssen’s richten: Im August übernimmt Anna Netrebko die Partie der Elsa, an der Seite von Piotr Beczala, dem Vorjahres-Lohengrin. Andere Stimmen, andere Chemie, anderer „Lohengrin“.

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