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Nicht störrisch, nur vorsichtig. Eine Szene aus der französischen Komödie "Mein Liebhaber, der Esel & ich" von Caroline Vignal.

© Wild Bunch

Literaturtipps für die Sommerferien (6): Lange Ohren, großes Herz

Von Schiller über Bresson bis Dostojewski: Vielleicht ist doch der Esel der beste Freund des Menschen. Eine Liebeserklärung an eine oft missverstandene Kreatur.

Ein Urlaub ohne Lektüre wäre keiner. Doch welche Titel kommen ins Gepäck – und warum? In unserer Sommerserie werden neue Reisebekanntschaften gemacht. Darunter sind manchmal auch gute Bekannte.

Mit einem Esel wandern, das wäre schön. Wenn etwas einen innerlich zappeligen Menschen beruhigen kann, dann sind es große graue Tiere. Leider ist unser Versuch in Brandenburg fehlgeschlagen. Wir machten eine kleine Anzahlung für einen Eselausflug, und dann kam nie eine Antwort. Der Eselbauernhof hat seine Arbeit eingestellt, so sieht es aus. Hoffentlich ist den Tieren nichts geschehen.

Natürlich bereitet man sich auf eine solche Exkursion vor. Andy Merrifield, geboren 1960, ein britischer Marxist und Urbanist, hat über seine Flucht aus der Großstadt und der akademischen Welt ein wunderbares Buch geschrieben. „Die Weisheit der Esel. Ruhe finden in einer chaotischen Welt“. Der Ratgeber-Untertitel macht misstrauisch, aber davon soll man sich nicht abschrecken lassen. Auch nicht von Merrifields Bildungsgepäck, das er nach und nach abwirft auf dem langen Weg mit dem Esel Gribouille durch die Auvergne.

Sogleich will er Schuberts Klaviersonate Nr. 20, die ihm im Kopf herumgeht, mit dem Eselsschrei in Einklang bringen. Und es fällt ihm auch – wem nicht? – Robert Bressons herzzerreißender Film „Zum Beispiel Balthasar“ ein, der Klassiker der Eselfreunde, und auch noch Dostojewskis tödlich melancholischer Fürst Myschkin. Aber bald kann er „nicht aufhören, an Esel zu denken, an ihren Blick, an das Gefühl, das sie vermitteln.“ Es ist, um es abzukürzen, eine glückliche und lange Reise. Und wenn es eine Therapie ist, so ist es auch ein Abenteuer, eine folgenreiche Wanderung durch nicht nur freundliche Natur, und abends Einkehr in französischen Landgasthöfen.

Ein Esel namens Platero

„In Gribouilles Gegenwart“, schreibt er zum Ende, das einem Neubeginn gleicht, „ist mein Leben wie ein Film vor meinem inneren Auge abgelaufen. Mit ihm hatte ich die Chance, vielleicht meine glückliche zweite Chance, die Vergangenheit noch einmal zu durchleben, zu analysieren, alten Ballast abzuwerfen, die Toten zu begraben und mein Leben fortzusetzen.“ Anderswo.

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Das wird hier jetzt keine Esel-Anthologie. Aber auf die größte Liebeserklärung, die diesem oft so missverstandenen und misshandelten Tier je gemacht wurde, kann nicht verzichtet werden. Wer ist schon mit Juan Ramón Jimenéz vertraut? 1881 kam er in Moguer/Huelva zur Welt, er starb 1958 in Puerto Rico. 1956 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet für sein lyrisches Werk.

Sein berühmtestes Buch trägt den Titel „Platero und ich“. Platero, so heißt der Esel. Mit ihm zieht der Dichter durch Andalusien, mit diesen beiden lernt man Land und Menschen kennen; Stierkampf, Ernte, Wallfahrt, Flüsse und Gärten, Jahreszeiten. 138 Skizzen, Passagen, Kapitelchen: Man liest es nicht am Stück, stößt an beliebiger Stelle dazu, begleitet Dichter und Vierbeiner eine Weile und legt es wieder beiseite, das stille Buch. Bei einem Urlaub in Südspanien genoss ich abends ein paar Seiten und am nächsten Morgen noch einmal. Dazwischen hofft man auf guten Schlaf mit der Klimaanlage, die es zu Zeiten von Jimenez noch nicht gab.

Das Buch erschien erstmals 1914, allerdings in einer um mehr als die Hälfte gekürzten Ausgabe. „Platero“ hatte gewaltigen Erfolg – als Kinderbuch. Dem schüchternen Autor haftete lange der Ruf des niedlichen Eselchens an. Er fühlte sich von der Verlagswelt betrogen.

Eine vollständige Ausgabe kam 1917 heraus und hatte es schwer, als das wahrgenommen zu werden, was „Platero y yo“ ist: innerer Monolog, autobiografisches Experiment eines Dichters, der in den Anbruch der Moderne hineinreitet. Ein einsamer, scharfer Beobachter: „Platero, vielleicht ist sie fortgereist – wohin? – in jenem schwarzen, sonnenbegleißten Zug, der auf dem hohen Bahndamm droben, scharf sich abzeichnend vor den weißen Gewitterwolken, nach Norden entfloh?“

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