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Doppelspitze. Sonja Longolius (links) und Janika Gelinek.

© Nina Zimmermann

Literaturhaus Berlin: Die Kraft der zwei Herzen

Amtswechsel und Neustart: Die Leiterinnen des Berliner Literaturhauses stellen ihr Programm vor.

Von Gregor Dotzauer

Was die Villa in der Berliner Fasanenstraße 23 in den vergangenen 130 Jahren nicht alles war: erst die Heimat des Korvettenkapitäns Richard Hildebrandt, der an beiden deutschen Nordpolabenteuern teilgenommen hatte und mit seiner Frau Louise einen Salon für Künstler und Wissenschaftler unterhielt. Im Ersten Weltkrieg ein Reservelazarett, dann eine Volksküche, später ein Refugium für die ausländischen Studenten der Humboldt- Gesellschaft, ein Café und in den 60er Jahren ein Strip-Club, in dessen Keller ein Elefant gehalten worden sein soll, der den Damen beim Entkleiden half.

Seit 1986 ist sie der Sitz des ersten deutschen, von Herbert Wiesner initiierten Literaturhauses, das zahlreiche ähnliche Gründungen nach sich zog und heute zu einem Netzwerk gehört, das sich bis nach Österreich und in die Schweiz erstreckt. Ein 2014 erschienenes Hausbuch dokumentiert die wechselvolle Geschichte des Ortes und wie er sich in die literarische Topografie ringsum einfügt.

Zum Frühlingsbeginn am 20. März wird dort mit einem zweitägigen Fest ein neues Kapitel aufgeschlagen. Nach 14 Jahren, in denen der aus Altersgründen ausscheidende Ernest Wichner die Leitung des Hauses innehatte, ist zum Jahresbeginn eine weibliche Doppelspitze eingezogen. In Gestalt von Janika Gelinek, einer 1979 geborenen Literaturwissenschaftlerin, und Sonja Longolius, einer 1978 geborenen Kunsthistorikerin, wird zugleich ein Generationswechsel Programm. Die beiden, die sich vor 18 Jahren in einer Kreuzberger WG kennenlernten, sehen sich, wie sie bei einem Pressegespräch erzählen, als Teil der „Generation Erasmus“. Daraus beziehen sie auch einen besonderen europäischen Auftrag. „Reservelazarett“ nennt sich einer von sechs Schwerpunkten, mit denen sie assoziativ an die Metamorphosen der Villa anknüpfen wollen. Zu Beginn soll der Patient Europa im Rahmen eines „Europäischen Feiertags“, den die in Berlin lebende englische Schriftstellerin Priya Basil ausrichtet, zumindest kulturell wieder auf die Beine kommen.

Ein "Baumhaus" für Kinder

Unter dem Stichwort „Wohnhaus“ wollen sie ortsansässigen Autoren Raum geben, wobei in Verbindung mit der „Garküche“ eine internationale Mischung entstehen soll, die den Migrationsbewegungen Rechnung trägt. In der Abteilung „Clubhaus“ soll vor allem die Kooperation mit den Universitäten gestärkt und ein studentisches Publikum gebunden werden. So veranstaltet das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in guter Wichner‘scher Tradition wieder eine Tagung, diesmal unter dem Motto „Sonderlinge“, unter anderem mit Kat Kaufmann, Heinz Strunk und Esther Kinsky. Im Juni folgt ein Marx-Symposion zur „Ästhetik und Poetik des ,Kapitals‘ “. Ein Gespräch zwischen Jürgen Neffe und Gregor Gysi soll der Höhepunkt werden. „Freudenhaus“ dient als multimediale Spielwiese, und mit „Baumhaus“ wollen die beiden Kinder und Jugendliche gewinnen. Die Ausstellungskooperation mit dem Marbacher Literaturarchiv, das mit Sandra Richter 2019 auch eine Chefin erhält, soll ausgebaut werden.

Einige Formate, um die Konzepthüllen auszufüllen, stehen bereits fest. Der Germanist Daniel Medin, ein in Paris lehrender Amerikaner, der die wunderbare Zeitschrift „Music & Literature“ redigiert, lädt zu der Reihe „Berlin als Schaffensort“ ein. Der syrisch-palästinensische Lyriker Ramy Al-Asheq, Jahrgang 1989, wählt die Gäste von „My Favorite Book“ aus, und die Journalistin und Schriftstellerin Bettina Hartz kuratiert „Revolution in Europa: 1968–1989“. Florian Werner lädt ein zu der „Scheibe meines Lebens“. Zum Auftakt spricht Helene Hegemann über Patti Smith, weitere Gäste sind Ronja von Rönne und Benedict Wells. Der nigerianische Erzähler und Satiriker Elnathan Jones verlegt seine vierteljährliche Gesprächsreihe „Elnathan’s #BOAT“ über afrikanische Literatur von der Buchhandlung am Moritzplatz ins Literaturhaus, wo man sich zum 250. Todestag des wunderlichen Laurence Sterne vom 23. bis 25. März in die entsprechend umgestaltete „Shandy Hall“ begeben kann.

Zuvor aber wird eine neue Tonanlage eingebaut. Auch das macht die Musik der Stunde.

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