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Literaturdebatte: Die Pornobrillen von morgen

Eigentlich ist der Hipster eine erledigte Figur, ein ästhetisches Auslaufmodell - doch in der Person des Schriftstellers Christian Kracht hat der Hipster noch einmal ein erstaunliches Comeback gefeiert. Ein Nachtrag zu zwei Debatten der letzten Wochen.

Der Typ ist erledigt, in ästhetischer, in ökonomischer und in moralischer Hinsicht. Der Hipster ist bestenfalls peinlich und schlimmstenfalls bedenklich. Bedrohte er einst in Röhrenjeans die Bewohner kleinbürgerlicher Stadtteile, läuft er längst als neoliberaler Tiger mit einem Betäubungspfeil im Fell herum – abgeschossen von einem Occupy-Demonstranten oder einer weiteren existenzbedrohenden Firmenpleite. Das jedenfalls haben die letzten Wochen gezeigt, als der Hipster plötzlich wieder Thema war. Der Suhrkamp Verlag veröffentlichte das Buch „Hipster“ und ließ sogleich auch den hauptsächlich Verantwortlichen dafür durch die Lande touren: Mark Greif, den Mitherausgeber der New Yorker Zeitschrift "n+1".
Ausgerechnet im Schutzraum der Literatur feierte jedoch das hohle Hipster-Subjekt doch noch ein Comeback. Christian Kracht ist nicht, wie gerne behauptet wird, der Dandy der Stunde, sondern der Hipster eines jeden ihrer Augenblicke. Vorausgesetzt wir interpretieren ihn als Symptom einer zwischen Jugendkultur und Konsumzwang, zwischen Negation und Affirmation eingeklemmten Generation, die noch immer von der großen, kreativwirtschaftlich errungenen Freiheit träumt.
Der Urhipster jedoch war gar kein weißer Trendsetter, sondern eine afroamerikanische Erfindung der vierziger Jahre. Damals, so erfährt man aus Greifs Buch, verfügte der Hipster über jazzige Blackness und damit über ein ihm körperlich eingeschriebenes Geheimwissen, von dem der weiße Aspirant nur träumen konnte – etwa Norman Mailers „white negro“. Das Klischee vom sexuell und musikalisch potenten Jazzer entfaltete natürlich seine eigene rassistische Logik – und trotzdem handelte es sich bei der ersten Hipsterisierungswelle um eine widerständische soziale Geste.
Mit dem heutigen Hipster hat diese soziale Figur nur wenig zu tun. Die Bedeutung der Zeichen des Hipsterismus, ja die Zeichen selbst haben sich verändert. Geblieben ist die Logik der Distinktion. Und das Karussel dreht sich immer schneller. Waren Pornobrillen gestern noch mit dem schlechten Geschmack des Vorstadt-Proleten assoziiert, mit dessen rührend selbstbewusster Trendresistenz, und deshalb der neuste Ironie-Schrei auf den Straßen von Manhattan, galten sie bald schon als Konsumgut, dessen ursprüngliche Bedeutung (das hemdsärmelige Ego des "selfmade man") von einer neuen überlagert werden sollte: der der Angepasstheit.
Mit anderen Worten: Der Hipster ist ein derart polyvalentes Zeichensystem, dass man ihm noch nicht einmal mehr mit dem ideologiekritischen Theoriebesteck des alten Mythenjägers Roland Barthes beikommt. Was er bedeutet, womit er uns blendet und in wessen Auftrag, lässt sich allenfalls dynamisch beantworten. Der Hipster fasziniert vor allem durch seine Substanzlosigkeit. Er ist ein menschliches Gefäß, in das sich hineinfüllen lässt, was symbolischen Vorsprung vor den Auswüchsen des Massengeschmacks verspricht – nur um kurz darauf selbst vollständig in diesem aufzugehen. Nicht um Nachhaltigkeit geht es, sondern um wunderkerzenkurze Brenndauer. Ironie ist dabei wiederum der unangefochtene rhetorische Dauerbrenner.
Christian Kracht, gegen den ein sehr naiver oder einfach böswilliger „Spiegel“-Kritiker eben noch die rechte Keule geschwungen hat, erkannte das schon 1995 mit seinem Debütroman „Faserland“. Darin warf ein aus dem Weltzusammenhang gefallener Ich-Erzähler mit Marken-Fetischen nur so um sich. Das war natürlich tragische Ironie und ein krasser Fall von Ich-Verlust, um den es dann auch in allen folgenden Kracht-Romanen ging. Bereitete dem dekadenten Protagonisten aus „Faserland“ der Besuch am Grab Thomas Manns noch ein kleines Erhabenheitsgefühl, so hat sich der Erzähler aus Krachts jetzt so umstrittenen jüngsten Roman „Imperium“ den großen Toten gleich ganz einverleibt. Im 21. Jahrhundert zu schreiben wie Thomas Mann ist natürlich parodistisch gemeint. Großmannsphantastische Nazifallen auszulegen, indem man die gute alte Lebensreformbewegung in Gestalt des Sonnenordensbegründers und späteren Antisemiten August Engelhardt aufleben lässt, ist natürlich ironisch, und zwar auf eine selbstverleumderische, also Ernst fingierende Weise ironisch.
Überhaupt das Kokettieren mit Stil, Ideologie und Kolonialgeographie des vergangenen Jahrhunderts, der still erteilte Auftrag an die Kritiker, das Werk nach seinen kleinen, aber feinen Distinktionsmomenten abzusuchen, die den Autor weit über seine Zeit hinausweisen lassen: Kracht ist der Hipster unter den zeitgenössischen Schriftstellern, weil Mimikry und Fake die ästhetischen Mittel sind, derer er sich virtuoser als jeder andere Autor seiner Generation bedient. Drei weitere Merkmale des Hipsterismus treffen auf Kracht zu. Da ist seine symbiotische Beziehung zum Kapitalismus. Vielleicht hat er seine gedrechselte Sprache aus fernen Zeiten nicht nur aus purer Zitierlust gewählt, sondern auch, weil sich eine solide geschriebene Abenteuergeschichte sogar beim ironieresistenten Publikum gut verkauft. Dann ist die Kracht-Exegese auf Kennerschaft und Insiderwissen begründet. Nur wer den Code hat, erhält Zutritt in sein Reich der Zeichen, was man an der aktuell aufgeputschten Diskussion gut beobachten konnte. Und schließlich neigt Kracht als Identifikationsfigur ebenso zur Jüngerbildung wie die von Mark Greif beschriebene Pornobrillenfraktion der westlichen Großstädte. Ist der moderne, warenförmige Hipster eine Erscheinung der neunziger Jahre, also aus heutiger Sicht ein ästhetisches Auslaufmodell, so wird sich auch in den Wahrnehmungsveränderungen des Phänomens Christian Kracht erst noch zeigen, ob seine Literatur ihrer Zeit voraus ist oder eben nur hoffnungslos retro.
Die semiotische Kette spielt in der Zwischenzeit verrückt – zwischen Nazikitsch und Kitschsimulation, zwischen Aktion und Reaktion. Wer weiß das schon so genau? Und vor allem: Ist es wichtig, das zu wissen? Der Hipster ist eine Figur des Augenblicks, der sich aus der Vergangenheit speist. Der Augenblick aber gehört, wie es gerade scheint, der Occupy-Bewegung. Möglicherweise ist sie ein Projekt der Zukunft.

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