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Adolf Hitler als Redner.

© dpa/p-a

Wolfram Pytas Herrschaftsanalyse des "Dritten Reichs": Klangkörper und Architekt

Hitler konnte sich so lange an der Macht halten, weil er ein Künstler-Politiker war, schreibt Wolfram Pyta in seinem Buch. Eine Rezension

Nachdem schon seit den 1930er Jahren zahlreiche Biografien über Adolf Hitler von Zeitgenossen, Publizisten und Historikern verfasst worden waren und in der Nachkriegszeit Joachim Fest lange Zeit das Feld beherrschte, erschien 1998/2000 die zweibändige Biografie des britischen Historikers Ian Kershaw, die bis heute gültige Maßstäbe gesetzt hat. 2003 kam die zu Recht wenig beachtete Hitler-Biografie von Ralf Georg Reuth heraus, 2013 der erste Band von Volker Ullrichs Biografie, dem noch ein zweiter folgen wird und schon bald werden auch die Arbeiten von Peter Longerich, Brendan Simms und Hans-Ulrich Thamer vorliegen. Angesichts dieser biografischen Abundanz betont Wolfram Pyta gleich im ersten Satz seines Buches, dass er keine Bio-, sondern eine Monografie vorlegt.

Hitlers akusmatische Performativität

Wolfram Pyta schreitet nicht ein weiteres Mal den Lebensweg des Diktators ab, von der freudlosen Jugend in Braunau am Inn bis zum Selbstmord im Führerbunker. Sein Anspruch ist es, eine Herrschaftsanalyse zu liefern und auf weiten Strecken löst er diesen Anspruch überzeugend ein. Sein Ausgangspunkt ist Max Webers Begriff der charismatischen Herrschaft, der unter anderen durch Ludolf Herbst, Hans-Ulrich Wehler und Ian Kershaw Eingang in die NS-Historiografie gefunden hat. Hinter die Arbeiten dieser „sozialhistorisch sensiblen Historiker“ dürfe die Hitler-Forschung nicht zurückfallen. Nun könnte man kritisch einwenden, dass ein sozialhistorisch sensibler Historiker noch ganz andere Dinge in den Blick nehmen könnte als es Pyta tut, bei dem der Kreis der dramatis personae sehr überschaubar bleibt. Gleichwohl ist die Lektüre seines Buches ein wirklicher Gewinn.

Pytas Analyse hat zwei Teile. Im ersten geht es um den Politiker, im zweiten, sehr viel umfangreicheren um den Kriegsherrn. Adolf Hitler schafft sich selbst als geniale Künstlerexistenz. Die Basis seiner Wirkungsmacht ist seine akusmatische Performativität: „Erst die Überführung von Text, Klang und Bild in ein raumzeitliches Geschehen, das Aufführende und Publikum zu einer interaktiven Entität verschmelzen lässt, erzeugt jene affektiven Energien, die für die Stiftung von Gemeinschaft unerlässlich sind.“ Solche gespreizten Sätze finden sich gelegentlich in dem im Großen und Ganzen aber doch sehr lesbaren Buch. Der Begriff der Akusmatik ist der Musikwissenschaft entlehnt und meint eigentlich eine Aufführungspraxis, bei der die Instrumente, die den Klang erzeugen, unsichtbar und so auch nicht identifizierbar sind. Der Klang emanzipiert sich gewissermaßen von seiner Quelle. Das ist nun bei Hitler gerade nicht der Fall.

Pyta verwendet den Begriff anders: „Die besondere charismatische Beziehung zwischen Hitler und seinen Anhängern war daher in ihren Anfängen so sehr auf die Macht seiner Rede gebaut, dass man von einer akusmatischen Beziehung sprechen kann.“ Es ist zweifellos richtig, dass dem Rhetorischen bei der Ausbildung von Hitlers Performativität eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Und hier war, wie Pyta überzeugend nachweist, alles bis ins Detail genau geplant. Adolf Hitler wurde zum „Klangkörper“, der bei einer entscheidenden Etappe seiner politischen Karriere, bei der Reichspräsidentenwahl 1932, sogar Sprechunterricht nimmt. Ohne die Unterweisungen des Opernsängers Paul Sieber-Walter hätte Hitler die enormen stimmlichen Strapazen dieses Wahlkampfs mit bis zu drei Auftritten täglich gar nicht durchgehalten.

Kritisch ist anzumerken, dass Pyta sich bei der Analyse der engen Verbindung zwischen dem „Künstler-Politiker Hitler“ ganz auf den Redner konzentriert, während man über sein Auditorium fast nichts erfährt. Wie das deutsche Volk Hitler „entgegengearbeitet“ hat, ein zentrales Motiv in Kershaws magistraler Biografie, ist hier kein Thema. Konsequent konzentriert sich Pyta auf die Entwicklung Hitlers zum Politiker, vom Trommler zum Führer der nationalsozialistischen Bewegung, während die gleichzeitige Entwicklung der NSDAP und Hitlers Rolle als ihr Vorsitzender kaum thematisiert werden.

Die Rolle des Feldherrn war für den Diktator eine außerordentliche Herausforderung

Adolf Hitler war ein Redner, kein Schriftsteller. Die Rede stiftete die charismatische Beziehung zu seinen Anhängern. Wolfram Pyta zeigt, wie „Rhythmus, Melodik, Sprechtempo, Stimmlage und Stimmfärbung seiner Rede in den Text einflossen“, als Hitler in der erzwungenen Muße der Festungshaft 1924 „Mein Kampf“ schrieb, das einzige Buch, das er je veröffentlicht hat. (Das sogenannte „Zweite Buch“ erschien erst nach seinem Tod.) Das genaue Gegenteil war sein Chefideologe Alfred Rosenberg, der ohne Unterlass Schriftliches in kaum zu überschauender Masse produzierte, aber als Redner wegen seiner stocksteifen Art ein völliger Ausfall war, weshalb er in der „Kampfzeit“ vor 1933 als Redner außerhalb von Parteitagen auch nicht eingesetzt wurde.

Ian Kershaw hat zu Recht festgestellt, dass das, was Hitler in seinen unzähligen Propagandareden von sich gegeben hat, sich nicht wesentlich unterschied von den Parolen anderer nationalistischer Führer jener Tage. Entscheidend war nicht, was er sagte, sondern wie er es sagte. Ein ganz wesentliches Element seiner langen Reden war stets die sogenannte Parteierzählung, die Geschichte, wie die von Hitler geführte Partei sich aus kleinsten Anfängen unter widrigsten Umständen langsam emporgearbeitet habe. Dies ist der wesentliche Inhalt des ersten Bandes von „Mein Kampf“, eine sorgfältig stilisierte, mit vielen Erfindungen angereicherte und in ihrer Wirkung optimierte Autobiografie. Der Kriegserzählung mit Hitlers Erlebnissen als angeblicher Frontkämpfer kam dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie war die Voraussetzung dafür, dass er sich zum Sprecher der Generation der Frontsoldaten machen konnte, zum Erlöser des deutschen Volkes, zum messias militans, der durch den Kampf gegen den Vertrag von Versailles dem Tod von zwei Millionen deutschen Soldaten nachträglich einen Sinn verlieh.

Die Rolle des Feldherrn war für den Diktator eine außerordentliche Herausforderung. Wie sollte der Gefreite des Ersten Weltkriegs gegenüber Generälen und Feldmarschällen seine militärische Autorität legitimieren? Und wie sollte er verhindern, dass, wie Hindenburg im Ersten Weltkrieg, einer der Heerführer zu solcher Autorität und Machtfülle aufstieg, dass er den politischen Kriegsherrn beiseiteschob? Hitler trat nach Kriegsausbruch kaum noch öffentlich auf, er scheute die Konfrontation mit den zerstörten deutschen Städten ebenso wie die Nähe des Schlachtfelds: „Diese Entperformativierung des Krieges stellte Hitler vor die Kardinalfrage, wie er seine Führungsfunktion so wahrnehmen konnte, dass er dabei zugleich seine ästhetische Expertise einbrachte.“

Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler Verlag, München 2015. 846 Seiten, 39,99 Euro.
Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler Verlag, München 2015. 846 Seiten, 39,99 Euro.

© Siedler Verlag

Dabei half ihm die Architektur, für ihn die Königsdisziplin unter den Künsten. Pyta spricht von einer „künstlerisch inspirierten Kriegsführung“. Der verhinderte Theaterarchitekt und Wagner-Bewunderer Hitler, der anhand von Operninszenierungen studiert hatte, mit welchen Mitteln man Emotionen erzeugt, wird angesichts des Krieges „zum größten Festungsbauer aller Zeiten“, zum „Architekten der Festung Europa“. Hitler sucht die Realität des Krieges nicht an der Front, sondern in den militärischen Lagekarten. Hitler versucht, „die Kriegshandlung in ein Kartenformat einzuzwängen, ihr quasi eine Textform zu geben“. So will er den Krieg lesbar und dadurch beherrschbar machen. Zugleich gewinnt er militärische Autorität und kann so gegen seine Generäle Veränderungen bei der Kriegsführung im Osten durchsetzen. Und Generalfeldmarschall Erich von Manstein, der als Einziger den Mut hatte, Hitler zu widersprechen und ihm durch seine geistige Unabhängigkeit hätte gefährlich werden können, wurde im Frühjahr 1944 entlassen.

Pytas Gang durch die Kriegsgeschichte gerät manchmal etwas sehr ausführlich, ist aber spannend zu lesen. Der Autor zeigt, wie der Geniediskurs selbst den Herausforderungen, die die Niederlage bei Stalingrad mit sich brachte, gewachsen war. Wirklich schwierig wurde es erst nach dem 20. Juli, als die auratische Kraft der akusmatischen Beziehung zwischen „Führer“ und „Volk“ aufgebraucht war.

Wer dieses Buch zur Hand nimmt, muss ein gesteigertes Interesse an der Frage mitbringen, wie es Hitler gelang, sich zwölf Jahre lang an der Spitze der nationalsozialistischen Weltanschauungsdiktatur zu halten. Über das Wesen der Diktatur erfährt man wenig, der Holocaust ist kein Thema, aber über Herrschaftstechniken viel. Das ist es, was der Autor zeigen wollte, und das ist ihm gelungen.

– Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler Verlag, München 2015. 846 Seiten, 39,99 Euro.

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