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Wie das Regime der Mullahs seinen Ausgang nahm: Nur die Masse zählt

Amir Hassan Cheheltan blickt zurück auf die iranische Revolution des Jahres 1979.

Anfang 1979 steigen überall in Teheran Menschen auf die Dächer ihrer Häuser, um Zeuge eines bemerkenswerten Naturereignisses zu werden: Im Mond ist das Gesicht des Ajatollah Khomeini zu sehen. Sie erkennen nicht nur den Bart des Religionsführers, die Augen und den Mund, sondern auch die Sorgenfalte auf seiner Stirn. Der Mann, so viel scheint klar zu sein, ist auserwählt, um die Iraner in eine bessere Zukunft zu führen.

Als einige Tage später bekannt gegeben wird, dass Schah Reza Pahlavi das Land verlassen habe, sorgt das in der ganzen Stadt für Jubel und Freudentaumel. „Nie zuvor hatten die Menschen solche Begeisterungsstürme erlebt“, schreibt Amir Hassan Cheheltan in seinem Buch „Der standhafte Papagei“, in dem er sich an den Umsturz vor vierzig Jahren erinnert. Hunderttausende strömen auf die Straßen, sie skandieren „Allahu Akbar“ und stürzen Denkmäler. Bald werden Polizeireviere angegriffen; die Bevölkerung bewaffnet sich. Eine Revolution hat begonnen, die sich als islamisch versteht.

Schneidern statt Sex

Zu den ersten Opfern gehören Teherans Prostituierte. Der von einer Mauer umgebende Stadtteil Schahr-e Now, in dem Hunderte gearbeitet haben, wird in Brand gesetzt. Einige Monate später werden viele obdachlos gewordene Sexarbeiterinnen eine neue Aufgaben finden: Sie nähen Uniformen für den Krieg gegen den Irak.

Khomeini kehrt am 1. Februar 1979 in einer Air-France-Maschine aus seinem Pariser Exil nach Teheran zurück. Der damals 76-jährige Geistliche begibt sich vom Flughafen aus direkt zum Beheschte-Zahre-Friedhof, auf dem Hunderte Opfer beigesetzt wurden, die in den Monaten zuvor bei Demonstrationen gegen das Schah-Regime gestorben waren. Viele Anhänger des Königshauses sind bereits ins Ausland geflohen, doch die Generäle leisten noch Widerstand. Aber überall, wo Soldaten ausrücken, werden sie von Zivilisten umringt, die sie herzen und küssen, ihnen Blumenkränze umhängen und Botschaften Khomeinis vorlesen. Als junge Luftwaffenoffiziere gegen ihre Vorgesetzten meutern, hat die Revolution gesiegt.

Der kurze Sommer der Euphorie

Es sind euphorische Wochen. Cheheltan, der die Zeitenwende als 22-jähriger Student erlebt, spricht vom Gefühl einer „grenzenlosen Freiheit“. Zeitungen erscheinen drei Mal täglich und werden den Verkäufern aus den Händen gerissen. In den wenigen Monaten zwischen der alten und der neuen Diktatur, in denen die Zensur abgeschafft ist, werden mehr als zwei Millionen Bücher gedruckt und verkauft. Allerdings arbeiten Khomeinis Anhänger zielstrebig daran, die ganze Macht zu erobern. Für Demokratie und Gewaltenteilung haben sie nur Verachtung übrig.

Intellektuelle, die sich für Säkularität und gegen eine von Klerikern dominierte Regierung aussprechen, stehen auf verlorenem Posten. „Nach und nach wurde deutlich, dass nur die Politik der Straße Einfluss hatte, dass allein derjenige, der Millionen Menschen auf die Straße bringen konnte, über jeden anderen triumphieren würde“, schreibt Cheheltan. Ausschlaggebend für Khomeinis Erfolg sind die „Barfüßigen“, verarmte Angehörige der Unterschicht, die sich der Revolution anschließen, weil sie sich von ihr Aufstieg und Wohlstand erhoffen. Bei einem Volksentscheid stimmen 98 Prozent der Wähler am 30. März für die Schaffung einer Islamischen Republik.

Wie immer: Angriffe auf die freien Medien

Die Medien werden zügig muslimifiziert. Rundfunksprecherinnen verschwinden aus den Programmen, und im Fernsehen sind bald nur noch verschleierte Frauen zu sehen. Khomeini warnt die Presse: „Sie ist zwar frei, aber wir gestatten ihr keinesfalls, sich gegen uns zu verschwören.“ Seine Worte wirken als Aufruf zur Gewalt. Die Tageszeitung „Ajandegan“, bei den Imamen wegen ihrer kritischen Berichterstattung verhasst, wird angegriffen und bald darauf, wie vierzig weitere Blätter, verboten. Junge Radikale schließen sich zu einer Gruppierung zusammen, die sich Hisbollah, Partei Gottes, nennt, politische Veranstaltungen stürmt, Buchhandlungen anzündet und Oppositionelle verprügelt. Im Herbst, konstatiert Cheheltan, ist vom „Gefühl der Brüderlichkeit und Hilfsbereitschaft“, von dem das Land zu Beginn der Revolution erfüllt war, nichts mehr zu spüren.

In Cheheltans Buch wechseln dokumentarische mit romanhaften Passagen. Wie die Revolution die Gesellschaft des Iran aufwühlt und verwandelt, das beschreibt er aus dem Mikrokosmos des unweit der Universität gelegenen Stadtteils heraus, in dem er aufgewachsen ist. Dort sind es die Söhne, die sich gegen ihre Väter erheben. Als das Spirituosengeschäft von Herrn Firuz attackiert wird, Schaufenster und Flaschen zertrümmert werden, wirft Sohn Homajun den ersten Stein. Ein anderer junger Mann, Schahin, desertiert aus der Armee des Schahs und bringt den Nachbarn bei, wie man mit einem Gewehr umgeht. Und irgendwann taucht ein Papagei auf, der immer wieder „Lang lebe der Schah!“ krächzt. Alle Umerziehungsversuche scheitern.

Der nützliche Teufel USA

Diktaturen brauchen Feindbilder. Das Feindbild der Islamischen Republik Iran stand von Anfang an fest: Amerika. Schließlich war es der US-Geheimdienst CIA, mit dessen Hilfe sich der Schah 1953 an die Macht geputscht hatte. „Marg bar Amrika!“, Tod Amerika!, lautete der Schlachtruf der Studenten, die im November 1979 in die US-Botschaft in Teheran eindrangen und 52 Diplomaten als Geiseln nahmen. Amir Hassan Cheheltan, der nach Aufenthalten in Großbritannien, Italien und Deutschland inzwischen wieder im Iran lebt, macht kein Hehl daraus, dass er den Gottesstaat für gescheitert hält. Die „Marg bar Amrika!“-Rufe, klagt er, wurden so laut, dass die Stimmen derer, die Presse- und Versammlungsfreiheit forderten, bald nicht mehr zu hören waren. Aber verstummt sind sie nie.

Amir Hassan Cheheltan: Der standhafte Papagei. Erinnerungen an Teheran 1979. Aus dem Persischen von Jutta Himmelreich. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2018. 197 S., 22 €

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