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Theodor W. Adornos Vorträge: Der Tradition treu bleiben

Adorno hielt zahlreiche Vorträge im Radio

Weniger mit seinen Hauptwerken wie der „Negativen Dialektik“ als vor allem durch Vorträge war der 1969 verstorbene Theodor W. Adorno im intellektuellen Leben der Bundesrepublik präsent. Die Vorträge waren teils ausgearbeitet, teils improvisiert; doch in der Diktion stets anders, vor allem zugänglicher als die hochverdichtete Prosa. Die Berliner Akademie der Künste, die ihn mehrfach einlud, ermahnte er einmal, „dass nicht etwa der improvisierte Vortrag gedruckt wird, da ich zwischen gedrucktem und gesprochenem Wort sehr streng unterscheide“.

Eine Auswahl

Nun liegen die Vorträge doch gedruckt vor; wobei es sich bei dem vorliegenden Band um eine Auswahl von 20 Vorträgen aus den zwei Jahrzehnten seit Adornos Rückkehr aus dem Exil nach Deutschland 1949 handelt. Weitere sind bereits anderenorts veröffentlicht worden; man müsste also zwischen verschiedenen Editionen hin- und herspringen, um Adornos reichhaltige Vortragstätigkeit vollständig zu erfassen. Der neue Band, herausgegeben und mit ausführlichen Anmerkungen versehen von Michael Schwarz, deckt jedenfalls das Spektrum der Vortragstätigkeit ab, in dem die Vorträge zur Musik den Schwerpunkt bilden.

Wiederaufbau, ja oder nein

Den Auftakt seiner Vortragstätigkeit nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil in die soeben gegründete Bundesrepublik bildete ein ganz anderes, brennend aktuelles Thema: der Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Krieges. „Wir stehen einer Welt gegenüber, einer realen Welt, die den Charakter eines Angsttraumes angenommen hat“, führte er 1949 aus, nachdem er erstmals die Ruinen Frankfurts gesehen hatte. Adorno warnt vor einem Wiederaufbau „im Sinne des Historismus“, er sah darin den „Wiederholungszwang“, der sich bemerkbar macht „überall da, wo wir unter Schock stehen“. Er spricht dann auch über Tradition und wie sie zu bewahren wäre: „dass wir vielleicht den zerstörten Städten bessere Treue halten, wenn wir sie nicht in ihrer gewesenen Form wieder aufbauen, als wenn wir es tun würden.“

Konservative Zuhörer - begeistert

Dieser Traditionsbezug stellt sich als wiederkehrendes Motiv jedenfalls der frühen Vorträge heraus. Erstaunlich, aber zugleich verständlich war so die Resonanz, die der Linksintellektuelle bei seinem durchweg konservativen Publikum fand. Adorno wurde zu einer öffentlichen und wirkmächtigen Figur, zumal zahlreiche Vorträge im Radio übertragen oder gleich fürs Radio verfasst wurden, wie etwa „Erziehung nach Auschwitz“ vom April 1966. Es war die Zeit, da die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit eine breitere Öffentlichkeit zu bewegen begann und zugleich ein neuer Rechtsradikalismus virulent wurde. Adorno glaubte ihm „mit einer wirklich durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit (...) entgegenarbeiten“ zu können.

Theodor W. Adorno: Vorträge 1949-1968. Hrsg. v. Michael Schwarz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 786 S., 58 €.

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