zum Hauptinhalt
Alfred Rosenberg, der Chefideologe der NSDAP, um 1939.

© Reuters

Prozess um die „Protokolle der Weisen von Zion“: Erstunken und erlogen

Michael Hagemeister rollt den Berner Prozess um die „Protokolle der Weisen von Zion“ auf. Das Buch stammt von der russischen Geheimpolizei.

Am 26. Juni 1933 stellten der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Israelitische Kultusgemeinde Bern Strafanzeige gegen die Verbreiter der berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“. Das einflussreichste Pamphlet des modernen Antisemitismus war womöglich, Genaues weiß man bis heute nicht, kurz nach der Jahrhundertwende von Agenten der russischen Geheimpolizei in Paris angefertigt worden.

Nach zwei Jahren intensiver Verhandlungen wurden zwei Schweizer Nationalsozialisten wegen Verstoß gegen das kantonale „Schundliteraturgesetz“ zu geringen Geldstrafen verurteilt. Doch im Grunde waren die beiden Angeklagten in diesem Verfahren nur Randfiguren. Die Kläger wollten in erster Linie vor aller Öffentlichkeit den Beweis führen, dass es sich bei den Protokollen um eine perfide Fälschung handelte. Wenn ein Gericht das offiziell bestätigte, sollte es, so die Hoffnung der Kläger, eine große Wirkung im Kampf gegen den Antisemitismus haben.

NS-Chefideologe Rosenberg verfolgte den Prozess sehr genau

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, zumal das Urteil aus formalen Gründen in zweiter Instanz aufgehoben wurde. Der Berner Prozess geriet bald in Vergessenheit. Umso verdienstvoller, dass der Historiker und Slawist Michael Hagemeister dieses „Denkmal des antifaschistischen und antirassistischen Widerstands in der Schweiz“ der Vergessenheit entrissen hat. Er hat eine vorzügliche Dokumentation vorgelegt, die mit einem Überblick über Forschungsgeschichte und Quellenlage beginnt. Ihr schließt sich eine umfangreiche Einleitung an, die einen historischen Überblick über die Protokolle und den Prozess gibt.

Den Hauptteil des Buches macht eine umfangreiche Chronik aus. In ihr wird nicht nur der Prozess selbst dokumentiert, sondern auch die Aktivitäten derjenigen, die nicht unmittelbar an dem Gerichtsverfahren beteiligt waren. So verfolgte beispielsweise der nationalsozialistische Chefideologe Alfred Rosenberg, der in Deutschland maßgeblich an der Popularisierung der Protokolle beteiligt war, den Verlauf des Prozesses sehr aufmerksam und sorgte sich unter anderem um die Finanzierung der Verteidigung. Beschlossen wird der eindrucksvolle Band durch einen Anhang mit Dokumenten sowie Kurzbiografien von mehr als 200 Personen, die im Kontext der Protokolle, bei ihrer Entstehung und Verbreitung oder aber bei dem Prozess eine Rolle gespielt haben.

Die Kläger setzten alle Hebel in Bewegung, um nachzuweisen, dass die Protokolle eine plumpe Fälschung waren, und arbeiteten dabei zum Teil mit fragwürdigen Methoden. Die Verteidigung, der bewusst war, dass es mit der Authentizität des Textes nicht weit her war, hob auf die „innere Wahrheit“ der Protokolle ab, die sie durch die angeblich von „jüdisch-bolschewistischen“ Kräften gelenkte Russische Revolution als erwiesen ansah.

Noch heute sind die "Protokolle" zu erwerben

Bis heute kann man die Protokolle ohne Probleme überall kaufen, nicht nur in arabischen Ländern, sondern auch bei uns. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb 1935 nach dem Ende des Prozesses, „Der wirkliche Schutz des angegriffenen Judentums liegt in der Gemeinschaft von Bürgern, die unerbittlich den Zustand des Rechtsstaates beibehalten wollen.“ Das ist heute so aktuell wie damals.

Michael Hagemeister: Die „Protokolle der Weisen von Zion“ vor Gericht. Der Berner Prozess 1933–1937 und die „antisemitische Internationale“. Chronos Verlag, Zürich 2017. 645 S. m. 39 Abb., 54 €.

Zur Startseite