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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© Angelos Tzortzinis/dpa

Politik braucht Kommunikation: Keine Angst vor Kontroversen

Astrid Séville sieht in der vermeintlichen „Alternativlosigkeit“ ein Gift für die Demokratie.

Eine der größten Gefahren für die liberale Demokratie trägt einen Mädchennamen: „Tina“. Tina klingt zwar freundlich, lässt neben sich aber keinen Raum für andere. Tina steht für: „There is no alternative“. Ein politisches Totschlagargument, das darauf hinweist, dass bestimmte Entscheidungen aufgrund verschiedener Sachzwänge nun einmal „alternativlos“ seien. Und damit basta.

Die an der Universität München lehrende Politikwissenschaftlerin Astrid Séville nimmt sich in ihrem gleichnamigen Essay diesen „Sound der Macht“ vor und analysiert die Gefahr, die von ihm ausgeht. Ihr geht es dabei nicht nur um eine Entblößung der Rhetorik führender Politikerinnen und Politiker: Für Séville ist der Verfall der politischen Sprache ein Zeichen für einen dahinterliegenden, ganz konkreten Verfall demokratischer Strukturen.

Die Rhetorik der Alternativlosigkeit geht zurück auf die Regierungsjahre Margaret Thatchers in Großbritannien. Ab Ende 1979 verordnete die „Eiserne Lady“ dem Land eine einmalige, neoliberale Rosskur, die sie sowohl parteiintern als auch öffentlich als einzig möglichen Weg aus der gravierenden Wirtschaftskrise der damaligen Jahre hinstellte – eben als alternativlos.

Mit Margaret Thatcher begann die Politik des "so und nicht anders"

Die große Tina-Politikerin unserer Tage ist die deutsche Bundeskanzlerin, die die „fatale Floskel“ vor allem in der Euro-Krise zur Rechtfertigung ihrer Politik verwendet hat. Séville kritisiert an Angela Merkels Rhetorik zweierlei: Vor allem verschleiere der Verweis auf die Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen, dass es in demokratischen Gesellschaften selbstverständlich immer auch andere Möglichkeiten – oder anderes Personal – gebe, um Politik zu machen.

In Merkels Fall komme hinzu, dass sie ihre Entscheidungen kaum je begründet hat – warum auch, wenn es angeblich keine Alternative gibt. Damit einher gehe ihr Stil, in ihrer Regierungszeit die verschiedensten Gegenpositionen vereinnahmt zu haben, vom Atomausstieg bis zur Ehe für alle. Séville fragt zu Recht, ob dieses „politische Gelegenheitsmanagement“ nicht eigentlich im Widerspruch zur Rhetorik der Alternativlosigkeit stehe. Mit anderen Worten, durch ihre Kurswechsel nimmt die Kanzlerin vor allem den politischen Gegnern den Wind aus den Segeln: „Alternatives never die, indeed“ – „Andi“ statt „Tina“.

Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher im Jahr 2007.
Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher im Jahr 2007.

© EPA/Andy Rain

Beides ist gefährlich. Séville bezeichnet den Regierungsstil der „begnadeten Technokratin“ Merkel dementsprechend als „halbtransparentes, reaktives Durchwurschteln“, das zu erhöhter Politikverdrossenheit in der Bevölkerung führe. Das „Kommunikationsdesaster“ und die damit einhergehende fehlende demokratische Legitimation der Euro-Rettungspolitik habe konsequenterweise zur Geburt einer politischen Kraft geführt, die ihren Kampf gegen den Tina-Slogan bereits im Namen trägt, der Alternative für Deutschland (AfD).

"Wir sind das Volk"

Diese habe nichts anderes getan, als in das entstandene kommunikative Vakuum einzudringen und alternative Szenarien zur europäischen Finanz- und Währungskrise vorzulegen. Für Séville ist die AfD damit zwar grundsätzlich eine legitime Reaktion sowohl auf die politische Rhetorik der Regierungen Merkel als auch auf die daraus entstandene politische Lethargie. Allerdings weist die Populismus-Expertin im zweiten Teil ihres Buches nach, dass und inwiefern der „vulgärdemokratische Sound“ der Rechtspopulisten selbst jene Art von Dissonanz produziert, die die Demokratie gefährdet.

An oberster Stelle steht dabei die Phrase „Wir sind das Volk“, den Dresdner Montagsspaziergänger und ihre parteigewordenen Verbündeten zweckentfremden, um eine Grenze zu denen zu ziehen, die in ihren Augen nicht zu diesem „Volk“ gehören. Die AfD entwickelte sich also von der Anti-Euro-Partei zur Anti-Ausländer-Partei, die es geschafft hat, den politischen Diskurs immer mehr in Richtung des rechten Randes zu drängen; stets mit dem bockigen Satz verbrämt, „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.

Den Gegner ernst nehmen

Gegen die populistische Gefahr fordert Séville, die Position des politischen Gegners ernst zu nehmen und sich dem Streit zu stellen, anstatt mit inhaltsleeren Slogans – wie die CDU mit ihrem „Mit Maß und Mitte“- Wahlkampf 2017 – die Politikverdrossenheit weiter anzufachen oder die Bürgerinnen und Bürger mit der Rede von alternativlosen Sachzwängen demokratisch zu entmündigen.

Das Land brauche mehr denn je einen „liberaldemokratischen Sound der Macht“, um die Menschen wieder für eine Politik zu gewinnen, die auf Teilhabe und Kompromissen beruht. Hier wünschte man sich etwas konkretere Vorschläge, etwa, wie ein solcher Sound aussehen könnte, nachdem die Rechte im demokratischen Wortschatz hemmungslos gewildert und Begriffe wie Volk, Heimat, Solidarität, Plebiszit und andere mehr für sich vereinnahmt hat.

Trotzdem: Séville schafft es, auf knappem Raum die Misere der politischen Rhetorik unserer Zeit auf den Punkt zu bringen. Für eine gelingende Demokratie ist zumindest diese Debatte alternativlos.

Astrid Séville: Der Sound der Macht. Eine Kritik der dissonanten Herrschaft. Verlag C. H. Beck, München 2018. 192 S., 14,95 €.

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