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Plötzlich stand die Mauer dazwischen: Der deutschen Teilung getrotzt

Lektüre gegen Verdrängen und Vergessen: Ein Briefwechsel zwischen Vater und Sohn in den Jahren nach dem Mauerbau.

Drei Tage vor dem 13.August 1961, als noch niemand wusste, dass dieser Tag ein historisches Datum werden würde, stieg ein junger Potsdamer in die S-Bahn nach West-Berlin. Er hatte die Absicht, dort zu studieren und dennoch für seine Eltern besuchsweise erreichbar zu sein. Der Mauerbau zerstörte abrupt diese bis dahin noch praktizierbare Möglichkeit. Danach sind es nur noch regelmäßige Briefe, die den Sohn und den in Potsdam zurückgebliebenen Vater verbinden. „Feldpostbriefe von einer unsichtbaren Front“ metaphert es kess und ein wenig martialisch in der Einleitung zu dem Briefwechsel, mit dem sie nun nach mehr als einem halben Jahrhundert das Licht der Welt erblicken. Heute ist es ein Dokument, es demonstriert – so der Buchtitel – „Geteilte Leben“.

Die Teilung erlebt

Solche Briefwechsel gab es Abertausende. Sie sind von der Geschichte der Teilung ein Teil – vorbei, verweht, nie wieder. Dieser hier hat sich erhalten, wahrhaftig als pars pro toto. Eindrucksvoll zeigt er, nicht zuletzt dank der Ausdauer und freundlich-familiären Gesprächigkeit, mit der Vater und Sohn in ihren Briefen die ersten Jahre nach dem Mauerbau begleiten, wie sich die deutsche Teilung anfühlte, aus dem Erleben zweier Menschen heraus, die, beide in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, versuchen, ihr Leben im geteilten Land zu leben.

Die Politik bleibt präsent

Natürlich spielen dabei die politischen Ereignisse und Geschehnisse dieses Jahrzehntes, in dem die Trennung in ihrer ganzen Konsequenz erst Realität wurde, ihre Rolle: die fortwährende Verhärtung der Situation, die Veralltäglichung der Spaltung, erste Mauertote, Passierscheinverhandlungen, politischer Wandel im Westen, Versorgungsprobleme im Osten.

Aber das bleibt in diesen Briefen Hintergrund, bestimmt sie weit weniger als die Umstände des privaten Lebens – im Westen das Fußfassen des Sohnes, Studium, Berufssuche, Familiengründung, im Osten das Sisyphus-Ringen des Vaters, Leiter eines kleinen Betriebs, der sich pflichteifrig den Mühseligkeiten des realsozialistischen Wirtschaftens stellt. In der immer mehr zerklüfteten Landschaft der Teilung entsteht so etwas wie eine Provinz von Intimität und zivilen Zusammenhalts. Die Frage des Auseinanderlebens, das kardinale Thema der deutschen Teilung, hängt auch über dem Strom dieses Austausches, aber sie stellt sich nicht wirklich.

Familien halten zusammen

Überhaupt bleibt erstaunlich, wie sehr sich der Briefwechsel als eine Bastion der Zusammengehörigkeit erweist. Gewiss zerren die unterschiedlichen Lebenssituationen auch an den Briefschreibern, aber die „geteilten Leben“ stellen sich eher als parallele Leben dar, ja, als eine Form des Mitlebens, aller Distanzen zum Trotz. Liegt diese starke Nähe bei notgedrungen immer tiefer greifenden Unterschieden daran, dass Vater und Sohn Teil einer intakten Familie sind, dazu mit starker Bindung an die Kirche? Oder daran, dass diese Briefe nur die Anfänge der Teilung spiegeln, als das gewachsene Potential der Zusammengehörigkeit in Deutschland noch nicht erschöpft war – sie enden mit dem Tod des Vaters schon 1968? Oder darf man glauben, dass es in der deutschen Gesellschaft ein Reservoir an Widerständigkeit gegen die Teilung gegeben hat, gespeichert in der Zivilität des bürgerlichen Lebens, so erschüttert diese war? Auch der Blick auf dieses Unterkapitel der Zeitgeschichte gehörte zu der Geschichte der deutschen Teilung und ihrer Überwindung, die wir bei aller Erinnerungskultur gerade dabei sind, zu verdrängen und zu vergessen.

Norbert Kaczmarek/ Sarah Bornhorst/Gerhard Älter (Hrsg.):orbert Kaczmarek/ Sarah Bornhorst/Gerhard Älter (Hrsg.): Geteilte Leben. Ein Ost-West-Briefwechsel nach dem Mauerbau. Veröffentl. d. Stiftung Berliner Mauer. Ch. Links Vlg., Berlin 2018. 196 S. m. 36 Abb., 20 €.

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