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Junger Obama

© AFP

Obamas Autobiografie: Zwischen den Farben

Barack Obamas atemberaubender Lebensbericht über seinen Weg vom Schüler zum Sozialarbeiter.

Von Caroline Fetscher

Von montags bis freitags, jeden Morgen um vier Uhr, weckte Ann Dunham ihren Sohn Barack, damals, etwa 1967, ein junges Schulkind. Sie frühstückten zusammen. Dann lernte er mit der Mutter drei Stunden lang Englisch, Tag für Tag. Dem schlaftrunkenen Kind, das zum Ausschlafen allerlei Ausreden erfinden wollte, redete die amerikanische Mutter geduldig zu. Weit weg von Amerika, im fernen Indonesien, wo sie lebten, sollte der Junge auf keinen Fall die Sprache seines Herkunftslandes vergessen. Doch eine teure Internationale Schule mit Englisch als Hauptsprache konnte sich die Familie nicht leisten. Barack solle an all die Schüler in den Südstaaten der USA denken, die abgelegte Lehrbücher von den Schulen reicher Weißer erhalten und trotzdem Ärzte oder Anwälte werden. Das leuchtete dem Jungen ein. Den Rest des Tages gab Ann Dunham aus Kansas, damals in zweiter Ehe verheiratet mit einem Geologen bei der indonesischen Armee, an der amerikanischen Botschaft von Jakarta Sprachunterricht für einheimische Geschäftsleute.

Das ist nur eine der eindrucksvollen Vignetten aus Barack Obamas 1995 erschienener Autobiographie. Der Autor, geboren im August 1961 in der hawaiianischen Hauptstadt Honolulu, hatte seine Kindheit mit den Stationen Hawaii, Jakarta und wieder Hawaii bereits hinter sich, er hatte schon mehrere Jahre als Community Organizer in Chicago mit der Realität armer Stadtviertel gekämpft, hatte in Harvard mit Auszeichnung Jura studiert und war ein Rechtsprofessor von Anfang dreißig, als er seine frühen Lebenserfahrungen aufschrieb – lange ehe ihm vorschwebte, sich um die Präsidentschaft zu bewerben. „Dreams from My Father“ kam im New Yorker Verlag Random House und mit dem Untertitel „A Story of Race and Inheritance” heraus, wörtlich übersetzt „Eine Geschichte von Rasse und Erbe”, was im Deutschen prekär und missverständlich wirkt.

Etwas irreführend ist aber auch der für die deutsche Ausgabe frei gewählte Titel „Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie“. Obamas Absicht war es ja weder, eine Familienchronik festzuhalten noch das Werden seiner eigenen Ikone als Traummann der USA zu beschwören. Ihm ging es sehr konkret um die Suche nach persönlicher Integrität auf einer Reise zu sich und den Anderen. Er schildert sein manchmal verwirrendes Aufwachsen in einer zwischen Schwarz und Weiß zerrissenen Welt, in die man ihn gesetzt hatte, zwischen den Kontinenten Amerika, Asien und Afrika und mehreren Patchworkfamilien. Auf die Kindheitskapitel folgen zwei große Etappen der Erkundung. Die erste führt Obama nach Chicago, wo er als idealistischer, aber aufmerksamer und zäher Sozialarbeiter mit Quartieren und Gemeinden als „Organizer“ arbeitet, der seinen Job nicht als Notpflaster und Linderungsmittel versteht, sondern zu Aktivität mobilisieren will, inspiriert unter anderem von seinem jüdischen Boss und Lehrer im Feld.

In der zweiten Etappe begegnet Obama, zu Gast bei seiner afrikanischen Halbschwester Auma, einer Germanistikprofessorin in Nairobi, Kenia, der Familie des gemeinsamen Vaters, lebhaft und voller Wünsche an ihn, zerklüftet von Streitereien um Erbe und Ansehen. Bei alledem sein Erkenntnisweg eine schlichte, kluge Logik: Von der Familie über ein Stadtquartier, eine ganze Stadt, ein Land und den Globus führen die Schritte, anhand derer Barack Obama zu seinem Verstehen sozialer Gefüge, Zwänge und Chancen gelangt.

Unbremsbar ist fast in jeder Zeile der Wille des jungen Mannes zu lesen, seine Situation wie die soziale Lage der Anderen aus allen Perspektiven zu verstehen – historisch, gegenwärtig und an Zukunft interessiert, an kommenden Geschichten, die er mitschreiben möchte und wird. Sicher: In Obamas politischem Manifest „Hoffnung wagen. Gedanken zur Rückbesinnung auf den amerikanischen Traum“, das 2006 erschien und wie das erste ein Bestseller wurde – von den Tantiemen der zwei Bücher erstanden die Obamas ihr Haus in Chicago – erfährt man mehr über das Programm und den Politiker. Darüber, wie beides überhaupt entstehen konnte, gibt das erste und persönlichste Werk am besten Auskunft.

Ganz offenbar waren es seine Mutter und deren Eltern, die dem kleinen Barack das Motto für den späteren Wahlkampf als Senator Obama liefern. „Yes you can!“, lassen sie den Sohn und Enkel immer und immer wieder wissen. Nicht exakt mit diesen Worten. Nicht laut. Aber durch ihre Haltung. Ermutigung ist ihr Leitmotiv – Ermutigung und noch mal Ermutigung. Bei ihnen wächst ein farbiges, vaterloses Kind auf, und wie um doppelt und dreifach das Stigma umzustülpen in sein Gegenteil, stützen und fördern sie, lieben und loben sie ihn, wie sie können. So oft sie konnte, erklärte die weiße Mutter ihrem dunkelhäutigen Sohn, dass niemand Vorbildhafteres existieren könne als sein abwesender, afrikanischer Vater – und ausgezeichnete Schwarze überhaupt.

„Sie kam mit Büchern über die Bürgerrechtsbewegung nach Hause, mit Platten von Mahalia Jackson, mit den Reden von Martin Luther King.“ Harry Belafonte war für sie „der attraktivste Mann der Welt“, begeistert war sie von Sidney Poitier. Mit ihrer anrührenden Verkehrung des Rassismus festigte die Mutter das Selbstvertrauen des Kindes. Schockiert stellt der Junge beim Blättern in einer Zeitschrift in der Botschaft von Jakarta fest, dass es Schwarze gibt, die Mittel kaufen, um ihre Haut zu bleichen! Das Weltbild des Neunjährigen wackelt. Es beruhigt sich wieder, aber der Schock hat einen Faden des Zweifels hereingewoben.

Was sich in diesem Buch über den Mann erfahren lässt, der kommende Woche zum Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeschworen wird, ist nicht nur so beeindruckend, weil „Dreams from My Father“ jenseits jeglichen politischen Kalküls verfasst wurde und damit aus der Reihe der Autobiographien von Staatsmännern herausfällt. Die literarische Frische und auch die Schonungslosigkeit dieses Berichts machen seinen Zauber aus. Wie produktiv ein junger Aktivist und Hochschullehrer seine Selbstzweifel erfasst, wie klar er erkennt, ob und wann er radikalen Attitüden aufgesessen ist, wie uneitel er das Reifen seiner intellektuellen und pragmatischen Einsichten begriffen hat, das ist, um ein Wort zu verwenden, das sehr sparsam eingesetzt werden sollte: atemberaubend.

Barack Obama: Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie. Hanser, München 2008. 444 S. 24,90 Euro.

Barack Obama: Hoffnung wagen. Gedanken zur Rückbesinnung auf den amerikanischen Traum. Riemann, München 2008. 475 S., 14,95 Euro.

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