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Neuerscheinung: Ursprung der Welt

Mithu M. Sanyal schreibt eine Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts. Am 9. Mai findet im Senatssaal der Humboldt-Universität eine Buchvorstellung statt.

Godiva ist unter Pralinenfans bekannt als belgischer Luxus-Chocolatier. Es gibt aber auch eine Musikband mit dem Namen Lady Godiva. Er geht auf jene englische Adlige zurück, die im 11. Jahrhundert nackt durch Coventry geritten sein soll, um ihren Ehemann dazu zu veranlassen, die Steuerlast zu senken. Nur ein einziger Bürger, Peeping Tom, wagte es, „die Göttliche“ dabei anzuschauen, worauf er erblindete.

Unschwer lassen sich die biblischen Ursprünge dieser mittelalterlichen Peepshow erkennen, und Legion sind die Männer, die mit Blindheit geschlagen wurden, weil sie in das Weiblich-Heilige schauten. Doch in der abendländischen Kulturgeschichte, klagt Mithu M. Sanyal, komme das, was der Männerblick erfasst, nicht vor: Das weibliche Genital, die Vulva, sei eine symbolische und semantische Leerstelle, von ihrer Gefährlichkeit kündet zum Beispiel die „vagina dentata“, das „Tor zur Hölle“. Das „unsichtbare Geschlecht“ zu enthüllen, der männlichen Definitionsmacht zu entreißen und es unserer Vorstellung wieder zugänglich zu machen, ist das Anliegen von Sanyals kleiner Kulturgeschichte der Vulva, die in die Reihe jenes „Provokationsfeminismus“ (Sanyal) gehört, der zumindest in den Medien seine feucht-redseligen Spuren hinterlässt.

Nach einer eher kursorischen Bestandsaufnahme des medizinischen Diskurses über die Vulva, der von dem römischen Arzt Galen bis zur Psychoanalyse führt und das bekannte Bild von der Vagina als „invertiertem Penis“ kolportiert, öffnet Sanyal, die polnisch-indischer Abstammung ist, das kulturhistorische Fenster in die Mythologie. Im Iambe-Baubo- Mythos entdeckt die Kulturwissenschaftlerin eine Geste, die vor der Zeit der Beschämung, der christlich-jüdischen Verhüllung des weiblichen Geschlechts liegt. Baubo präsentiert in einer weiblichen Gemeinschaft so schamlos ihre Genitalien, dass sie die Göttin Demeter zum Lachen bringt, die doch um ihre Tochter Persephone trauert.

Die Baubo-Geste ist nicht nur im „Homerischen Hymnus an Demeter“ verbürgt, sie findet sich auch im ägyptischen Ishtar-Mythos und in vielen anderen Zeugnissen der vorchristlichen Zeit. Erstaunlicherweise hat es die rituelle Entblößung, die „Genitalbleckerin“ („sheela-na-gig“) sogar an manche romanische Kirche geschafft – ein Hinweis darauf, dass die Umwertung des einst verehrten fruchtbaren und lustvollen Schoßes in einen verleugneten Ort der Schande viele Jahrhunderte andauerte. Dass der genitale Mund nicht nur eine lustvolle, sondern auch eine intellektuelle Versuchung darstellte und die weiblichen Verführerinnen – die heidnischen Göttinnen ebenso wie Eva und Maria Magdalena oder die indische Göttin Kali – sowohl sexy als auch der Sprache mächtig waren, ist naturgemäß keine neue Erkenntnis. Doch liegt die Stärke dieser kulturhistorischen Betrachtung weniger in der Originalität der Thesen als vielmehr in der kenntnisreichen und etymologisch versierten Synopse, die überdies reich bebildert ist.

Der Rückkehr der Vulva-Schau auf die tagesscheue abendländische Bühne hat Sanyal den zweiten Teil des Buches gewidmet. Vom Nackttanz der Salome über moderne Stripperinnen bis hin zum provokativen künstlerischen Akt reicht die Rückeroberung der weiblichen Genitale. Wobei die Subversion darin besteht, dass Frauen die Blickregie auf ihr Geschlecht zurückgewinnen.

Zwischen den mehr oder weniger bekannten Peformerinnen – Valeska Gerts und Anita Berber, Carolee Schneemann und Judy Chicago, Kathy Acker und den Riot Grrrls – ist die Stripperin Gypsi Rose Lee eine solche Wiederentdeckung. Die Exkursionen ins Märchen und in die Psychoanalyse wären dagegen verzichtbar gewesen, und wer sich an den postmodernen Theoretikern Lacan oder Baudrillard abarbeitet, sollte zumindest zur Kenntnis nehmen, dass die Sentenz „la femme n’existe pas“ durchaus einen kritischen Impetus hatte und Fanal für eine ganze Feministinnen-Generation war.

Diesen Erinnerungsverlust teilen die heutigen Provokationsfeministinnen ungewollt mit jenen, die den „heiligen Gral“, die Vulva, ins Vergessen drängten. Wie überhaupt die Sakralisierung der „Leerstelle“ und die „Wiederaneignung der eigenen Tradition“ (Sanyal) über den Matriarchatskult einer längst vergessenen Mary Daly kaum hinausgeht, aber neue Blüten treibt wie etwa im Vulva-Design der Schönheitschirurgie. So freut sich Sanyal in ihrem „Vulva-Epilog“ darüber, dass man im Internet „yoni-puppets“ kaufen kann, Vulvas zum Streicheln. Pralinen hätten es allerdings auch getan.

Mithu M. Sanyal: Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Wagenbach-Verlag, Berlin 2009, 236 Seiten, 19,90 €. Am 9. Mai findet im Senatssaal der Humboldt-Universität eine Buchvorstellung mit der Autorin und der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun statt.

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