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Margot Honecker im Oktober 2000 während einer Veranstaltung in Chile aus Anlass des Erscheinens eines Buches über sie, das der frühere Generalsekretär der KP Chiles, Luis Corvalan, über sie geschrieben hatte.

© Chris Bouroncle/AFP

Margot Honecker: Aus dem Nachlass einer unbeirrbaren Stalinistin

Die „lila Hexe“ und die Konterrevolutionäre: Zwei Bücher versuchen sich der ehemaligen DDR-Bildungsministerin Margot Honecker zu nähern.

Von Matthias Schlegel

Braucht die Menschheit noch Bücher von und über Margot Honecker?

Über jene Frau, die 26 Jahre lang, von 1963 bis 1989, das Bildungswesen der DDR verantwortete. Die Schule zum Ort der ideologischen Indoktrination erklärte. Die als oberstes Ziel von Bildung die Ausprägung eines festen Klassenstandpunkts postulierte. Die über ihr Heer von willfährigen Lehrern und Direktoren den Zugang der Schüler zu beruflichen Karrieren über das Bekenntnis zum sozialistischen Staat regulierte. Die Lebensläufe verbog, Individualität unterdrückte, Duckmäusertum förderte – und Nichtangepasste in Kinderheime und Werkhöfe steckte. Und die, ganz nebenbei, die Ehefrau des ersten Mannes im Staate war. Ist mit den mehr oder minder klischeebehafteten, zumeist galligen Nachrufen nach dem Tod der 89-Jährigen am 6. Mai 2016 nicht alles gesagt über die „lila Hexe“, die Unbelehrbare, die Unbeirrte?

Zwei neue Bücher liegen nun vor, die sich der 1992 nach La Reina, einen Vorort von Santiago de Chile, ins Exil gegangenen Kommunistin von ganz verschiedenen Seiten zu nähern versuchen. Da schreibt zum einen der (westdeutsche) Historiker, Theologe und Jurist Nils Ole Oermann eine Art journalistisches Porträt. Es speist sich aus mehreren Begegnungen mit ihr zwischen 2013 und 2016 in Chile.

Der Autor verquickt eigene Anschauung auf durchaus lesenswerte Weise mit zahlreichen Fakten aus anderen Quellen. Zum anderen legt der (Ostberliner) Verleger und Journalist Frank Schumann mit „Post aus Chile“ seine umfangreiche E-Mail-Korrespondenz mit Margot Honecker vor, eine dialogische Aneinanderreihung von elektronischen Briefen zwischen September 2010 und Februar 2016. Alles im vertraulichen „Du“ der Genossen verfasst.

In einem sind sich beide Autoren einig: Margot Honecker war eine überaus wache, am Geschehen in Deutschland und in der Welt interessierte Zeitgenossin, die per Internet alle Entwicklungen genauestens verfolgte – und sie in ihr festgefügtes Weltbild einordnete.

Das Dasein als ständiger Klassenkampf

Gleichwohl könnte die Herangehensweise beider Autoren an ihr Thema unterschiedlicher kaum sein. Der eine versucht wacker, zwei diametralen Vorwürfen vorzubeugen: Er will die alte Dame weder glorifizieren noch will er sie in abgenutzte Klischees verpacken. Oermann versucht, hinter die stets verbindlich lächelnde Maske der Frau zu blicken und dort etwas anderes zu entdecken als die verbissene Klassenkämpferin. Um es vorweg zu nehmen: Er findet es nicht. Und so begnügt er sich damit, anhand biografischer Fakten eigene Spekulationen darüber anzustellen, warum sie ihre verhärteten Überzeugungen – das Dasein ist ein fortwährender Klassenkampf, es gibt nur Gut und Böse, die Guten sind wir Kommunisten – lebte bis zum Tod.

Auf der vorletzten Seite seines Buches resümiert Oermann unverhohlen resignierend: Er habe den Menschen hinter den Klischees kennenlernen wollen. Er habe sich jedoch am Ende der Bekanntschaft mit Margot Honecker eingestehen müssen, „dass sie in vielerlei Hinsicht schlicht den Klischees entsprach“. Und dennoch nötigt ihm „die Authentizität einer bis in jede Haarspitze überzeugten Stalinistin, die bis zum Sterbebett nichts bereute“, Respekt ab.

Der andere Autor muss mit keinerlei Anfechtung ringen, seine Position ist klar: Schumann ist als langjähriger SED-Genosse und jetziger „parteiloser Kommunist“ von vornherein auf Honeckers Seite und ist eifrig bemüht, der aufrechten Kämpferin und Ex-Ministerin vor der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – freilich im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie. Und so wird er in seinen Mails zum eilfertigen Stichwortgeber für Honeckers Sicht auf die untergegangene DDR und den Zustand des bösen, zum Untergang verurteilten Kapitalismus.

"Nur über die ,Mauertoten' werden Krokodilstränen vergossen"

Die Toten an der Mauer hätten nicht sein müssen, „jeder Tote ist einer zuviel“, schreibt sie. „Jeder an der Mauer Erschossene hatte eine Mutter, einen Vater, die um ihn trauern. Der Grenzer wie der Grenzverletzer.“ Kommt da Einsicht? Gar Reue? Nichts davon: „Über die Polizistenmorde erregt sich in Deutschland kein Mensch. Nur über die ,Mauertoten’ werden Krokodilstränen vergossen. Niemand zwang Menschen, über die Mauer zu steigen, sie wussten, was passieren könnte, sie gingen wissentlich ein Risiko ein.“

Der 17. Juni 1953, der Volksaufstand in der DDR, ist nach Honeckers Verständnis „unsere ,weiche Stelle’ und darum Schwerpunkt der Angriffe auf die DDR. Sie beherrschen ihr Propagandisten-Einmaleins“, bescheinigt die einstige Propagandistin leninscher Prägung dem Klassenfeind.

Gnadenlos rechnet Honecker gegenüber Oermann mit den Protagonisten des „konterrevolutionären Verrats“ von 1989 ab, mit dem sie niemals fertig geworden ist. Von Egon Krenz fühlt sie sich persönlich enttäuscht. Er und seine Genossen seien eben nicht durch das Feuer des antifaschistischen Kampfes gehärtet worden und seien letztlich deshalb gescheitert. Ein größerer Verrat als der von Günter Schabowski mit seiner Anbiederei an den Klassenfeind sei kaum vorstellbar. Gregor Gysi, zur Wende „plötzlich aufgetaucht“ und offenbar ihr Lieblingsfeind, sei von Anfang an „in Richtung Sozialdemokratie“ gefahren. Gorbatschow mit seiner schrecklichen Frau – ein Konterrevolutionär. Wolf Biermann, den sie schon als Knaben über dessen Großmutter kennengelernt habe und mit dem ihr immer wieder ein Verhältnis angedichtet worden sei („natürlich Quatsch“), sei politisch „nicht ganz dicht“ und „plemplem“.

Margot Honecker neben ihrem Ehemann Erich Honecker auf der Ehrentribüne der Musik- und Tanzshow "Ein bunter Blumenstrauß für unsere Republik" am 1. Juni 1979 im "Stadion der Weltjugend" an der Chausseestraße in Berlin. Rechts im Bild der damalige FDJ-Vorsitzende Egon Krenz, auf dem Bild links von Margot Honecker sitzt der Vorsitzende des DDR-Ministerrates Willi Stoph.
Margot Honecker neben ihrem Ehemann Erich Honecker auf der Ehrentribüne der Musik- und Tanzshow "Ein bunter Blumenstrauß für unsere Republik" am 1. Juni 1979 im "Stadion der Weltjugend" an der Chausseestraße in Berlin. Rechts im Bild der damalige FDJ-Vorsitzende Egon Krenz, auf dem Bild links von Margot Honecker sitzt der Vorsitzende des DDR-Ministerrates Willi Stoph.

© Günter Bratke/dpa

In der Wahl ihrer sprachlichen Mittel ist die bekennende Stalinistin, die nach Auskunft ihres Fahrers immer eine Pistole in ihrer Handtasche getragen haben soll, nicht immer fein, insbesondere nicht, wenn es um Illoyalitäten einstiger Mitkämpfer geht.

Die von Schumann an sie herangetragene Bitte, an einem Filmprojekt mitzuwirken, das die Zeit der Honeckers nach ihrem Sturz, das Asyl im Hause des Lobetaler Pfarrers Uwe Holmer behandelt, wehrt sie ab: „In einem Film gemeinsam mit Genscher, Schewardnadse, Gorbatschow und Modrow aufzutreten, mit Leuten also, die die Konterrevolution wissentlich oder/und irrtümlich mit gesteuert haben – das geht gegen mein politisches Gewissen, gegen meine politische Ehre.“ Holmer achte sie sehr, gleichwohl sei Lobetal als Geschichte eher geeignet, die damals verantwortlichen Genossen an den Pranger zu stellen, weil sie zuließen, dass ihr Mann aus dem Krankenhaus heraus verhaftet worden sei. „Sie wollten Erich ein weiteres Mal demütigen.“

Sie will nur über Volksbildung reden - über ihren Ehemann nicht

Ansonsten will die Frau des einstmals ersten Mannes im Staate niemals über ihn definiert werden. Am liebsten redet sie gar nicht über ihn, sondern über ihr Metier, das sie als „Minister“ (sie gebrauchte das Wort niemals in der weiblichen Form) verantwortete: Volksbildung. So gab sie auch keine Interviews – weil sie zu wissen meinte, was die Journalisten von ihr wollten, und weil sie Indiskretion und Geschwätzigkeit fürchtete.

Oermann, der sich als an Bildungsfragen interessierter Wissenschaftler an sie herangepirscht hatte, charakterisiert Margot Honecker als mäßig intelligent, aber „bauernschlau“. Sie selbst habe zeitlebens unter ihrem niedrigen Bildungsstand gelitten. Ihr Bildungssystem hatte tausenden Pfarrerskindern höhere Bildungswege versperrt (auch keines der zehn Kinder ihres Asylgebers Holmer wurde zum Abitur zugelassen), dennoch sei Religion ihr durchaus nicht fremd gewesen, schließlich sei sie selbst 1941 konfirmiert worden.

Muss man, will man das alles wissen? Oermann hilft dem Leser, Margot Honecker als Person der Zeitgeschichte wenn schon nicht zu verstehen, so doch verständlich kennenzulernen. Und bei Schumann erfährt der Leser viel über die Lebens- und Vorstellungswelten der untergegangenen SED-Eliten, die noch immer an eine Zukunft ihrer Ideen glauben, auch wenn sie diese selbst nicht mehr erleben.

Nils Ole Oermann: Zum Westkaffee bei Margot Honecker. Hoffmann & Campe, Hamburg 2016. 176 Seiten, 16 Euro.

Frank Schumann: Post aus Chile. Die Korrespondenz mit Margot Honecker. edition ost, Berlin 2016. 335 Seiten, 16,99 Euro.

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