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Lingua Tertii Imperiii: Gleichgeschaltet

Matthias Heine untersucht das Fortleben der Sprachschöpfungen der Nazis.

Seit einiger Zeit erleben Wörter, die bereits als ausgestorben galten, ein erstaunliches Comeback. Begriffe wie „Systempresse“, „Überfremdung“, „Volksverräter“ oder „Umvolkung“ gehören zu den Lieblingsparolen neurechter Polemiker. Sie passen in ein Weltbild, in dem sich Fremdenhass mit Untergangsfantasien und Verschwörungstheorien mischt.

„Verbrannte Wörter“ heißt das Buch, in dem Matthias Heine das Fortwirken der NS-Sprache untersucht. Der Berliner Journalist spricht von „Gespenstervokabeln“. Ihre Wiederauferstehung wirkt tatsächlich gruselig. Wenn Anhänger der Identitären Bewegung, der Schriftsteller Akif Pirinçci oder AfD-Bundestagsabgeordnete den Terminus „Umvolkung“ benutzen, suggerieren sie, dass sich Verbrechen, wie sie von den Nationalsozialisten verübt wurden, heute gegen die Deutschen richten. Einheimische, behauptet Pirinçci, würden „still und leise“ durch Einwanderer „ausgetauscht“. Der Rechtsterrorist, der im März in Neuseeland 51 Muslime erschossen hat, veröffentlichte im Internet ein Manifest mit dem Titel „Der große Austausch“. Bei den Nationalsozialisten stand „Umvolkung“ für Germanisierungspläne, die Eindeutschung von Bevölkerungsgruppen im eroberten Mittel- und Osteuropa, die aus Sicht des Regimes dafür geeignet waren. Den Begriff heute zu verwenden, urteilt Heine, sei zutiefst makaber.

Wer die Sprache hat, hat Macht

Sprache war für die Nationalsozialisten ein zentrales Machtinstrument. Propagandaminister Joseph Goebbels forderte 1933: „Das Volk soll anfangen, einheitlich zu denken, einheitlich zu reagieren.“ Die Bemühungen der Sprachlenker reichten bis in die Satzzeichen. Besonders beliebt waren Ausrufezeichen. In der „Parole der Woche“, einer von Goebbels herausgegebenen Wandzeitung, wurden an das Ende von besonders markigen Hitler-Zitaten gleich drei Ausrufezeichen gesetzt. So nahmen selbst Sätze, die grammatisch keine Befehle waren, die Form eines Befehls an. Hitler benutzte gerne Superlative, seine Reden waren mit Starkvokabeln wie „gigantisch“, „unerschütterlich“, „restlos“ oder „einmalig“ gespickt. Goebbels trieb in seiner berüchtigten Sportpalastrede vom Februar 1943 sogar das Adjektiv „total“ in eine absurde Steigerung: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?“

Das Regime der Abkürzungen

Wie sich ab 1933 die Sprache schleichend veränderte, das hat der Philologe Victor Klemperer in seinen Tagebüchern festgehalten. Ausschnitte daraus hat er 1947 in seinem Buch „LTI“ veröffentlicht. Der Titel, der für „Lingua Tertii Imperii“ (Sprache des „Dritten Reiches“) steht, parodiert die Vorliebe des Regimes für Abkürzungen. Kürzel wie „HJ“ (Hitler-Jugend), „Gestapo“ (Geheime Staatspolizei) oder „Pg.“ (Parteigenosse) sind bis heute geläufig, aber auch Zungenbrecher wie „Hersta der Wigru“ (Herstellungsanweisung der Wirtschaftsgruppe) waren üblich. Heine fühlt sich davon an die Kunstsprache von „Game of Thrones“ erinnert.

Die Nationalsozialisten militarisierten die Sprache, soldatische Metaphern drangen mehr und mehr ins Zivilleben vor. Das Substantiv „Einsatz“, das sich noch im Ersten Weltkrieg ausschließlich auf Truppen bezogen hatte, häufte sich in Zusammensetzungen wie „Arbeitseinsatz“. Es gab eine „Autohandelsfront“ und „Erzeugungsschlachten“, Witzecken in der Zeitung bekamen die Überschrift „Antreten zum Lachen“. Inflationär gebraucht wurden auch biologische („Schädlinge“, „Schmarotzer“, „Entartung“) und technische Sprachbilder („Gleichschaltung“, „Menschenmaterial“). Beide dienten der Dehumanisierung. „Sie verschleiern“, so Heine, „dass hier Menschen Menschen etwas antun oder über sie verfügen“. Die „Verhaltenslehren der Kälte“, die der Germanist Helmut Lethen als Lebensgefühl bei den alten und neuen Eliten nach 1918 konstatiert hat, wurden ab 1933 gewissermaßen zur Staatsdoktrin.

"Blockwart" bis "Zinsknechtschaft"

Daran, dass die Nationalsozialisten eigene Wörter, eine eigene Sprache hervorgebracht haben, besteht kein Zweifel. Sie wollten, schreibt Heine, „eine neue Variante des Deutschen“ erschaffen. Schon in die 11. Auflage des Dudens wurden 1934 NS-Ausdrücke wie „Zinsknechtschaft“ aufgenommen, in der 12. Auflage von 1941 finden sich neben neu geschaffenen Titeln wie „Blockwart“ oder „Obersturmbannführer“ auch sozialdarwinistische Prägungen wie „Rassenhygiene“ oder „Erbpflege“. In „Meyers Konversations-Lexikon“, dessen 8. Auflage zwischen 1936 und 1942 herauskam, gab es so viele NS-Begriffe, dass es nach dem Krieg von den Alliierten wie Hitlers „Mein Kampf“ aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt wurde.

Manche Worte verlieren ihre politische Bedeutung

Kann man, darf man Wörter, die zum Kernbestand der NS-Sprache gehörten, heute noch verwenden? Diese Frage versucht Heine im Hauptteil seines Buches zu beantworten, einem Glossar, in dem er die Geschichte und die Bedeutung von knapp 90 Begriffen von „alttestamentarisch“ über „gesundes Volksempfinden“ und „Opfergang“ bis „zersetzen“ erläutert. Vokabeln wie „Euthanasie“, „Herrenrasse“, „lebensunwertes Leben“, „Plutokratie“ oder „Rassenschande“ lassen sich nicht entnazifizieren. Andere Wörter wie „Hiwi“ oder „Eintopf“, die zwischen 1933 und 1945 Karriere machten, sind inzwischen unbedenklich geworden. „Sogar Nazis denken beim Eintopf vermutlich nicht mehr an Hitler – jedenfalls nicht mehr als bei jedem anderen Essen“, versichert Heine.

Matthias Heine: Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht. Dudenverlag, Berlin 2019. 224 S., 18 €.

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