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Landesverteidigung im Kalten Krieg: Feind hört mit

Helmut R. Hammerich zeichnet das Auf und Ab des „Militärischen Abschirmdienstes“ MAD

Viel hat nicht gefehlt, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr sein dreißigstes Jubiläum 1986 mit einem Sammelband gefeiert hätte, der ihm von der Staatssicherheit der DDR als „aktive Maßnahme“ unterschoben wurde. Initiator war der Journalist Herbert Siegmar Kloss, sein Ko-Autor der Stellvertretende Amtschef Oberst Joachim Krase. Der Plan wäre aufgegangen, wenn sich die Fertigstellung des Buches nicht bis zum Kollaps der DDR verzögert hätte. Erst da flog auf, dass Kloss als Einflussagent „Siegbert“ für die Hauptabteilung Aufklärung der Stasi arbeitete und auch Oberst Krase – bis zu seinem Tod 1988 unentdeckt – für die „Firma“ tätig war. Kloss wurde nach 1989 von seinem Führungsoffizier enttarnt und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Eine Kurzfassung des geplanten Buchs hatte er noch 1987 als Aufsatz in einer Zeitschrift des Bundesministeriums für Verteidigung platziert. Helmut R. Hammerich, Oberstleutnant und Dozent für Militärgeschichte der Bundeswehr, nennt ihn „durchaus informativ“.

Deatails aus der geheimen Praxis

Hammerich ist als Verfasser mehrerer Arbeiten zum Fall Krase und zur Landesverteidigung im Kalten Krieg Insider und Experte. Sein jüngstes Buch „Stets am Feind!“ über den MAD ist – auch im Vergleich mit den Historikerstudien über den BND und die Organisation Gehlen – das Buch mit den bisher tiefsten Einblicken in die Geschichte, Hintergründe und Fallgeschichten deutscher Geheimdienste nach 1945. Es empfiehlt sich selbst – durchaus zutreffend – für „beispielhaft vertiefende Einblicke“ und Ausblick auf „Fragen, die künftige Historiker aufgreifen können“. Obwohl ein „intensiver Einblick in die Methoden nachrichtendienstlicher Arbeit“ wegen Verschlussregeln und Quellenschutz nicht zulässig und die Vernichtung von Fall- und Personalakten gesetzlich vorgeschrieben sei, präsentiert Hammerich eine ganze Reihe von Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten des MAD mit Details über Arbeitsweise und -methoden des Dienstes und seiner Gegenspieler im MfS.

Kontinuität zum "Dritten Reich"

Eine Ausnahme macht aus den genannten Gründen die interne Zusammenarbeit von Polizei und Staatsschutzbehörden, nicht aber deren gemeinsamer Hintergrund und personelle Kontinuität zu ihren Vorgängern im Dritten Reich. Die hatten bereits die Parole „Feind hört mit!“ erfunden, die angesichts der Fälle Kloss und Krase als Buchtitel besser gepasst hätte als das martialische „Stets am Feind!“, eine Parole des vierten MAD-Chefs Paul Albert Scherer. Prägender als der Sozialdemokrat Scherer waren für den MAD ohnehin dessen Gründungsväter Gerhard Wessel als erster Leiter und sein Nachfolger Josef Selmayr, beide frühere Abwehroffiziere der Wehrmacht und zunächst für die Organisation Gehlen tätig, den späteren Bundesnachrichtendienst. Für Gehlen war das die Gewähr, dass sich der MAD nicht zu einem konkurrierenden Nachrichtendienst entwickeln sollte wie einst die militärische Abwehr des Admirals Canaris, aus der sein Gegenspieler im Kampf um einen bundesdeutschen Nachrichtendienst kam – Friedrich Wilhelm Heinz, der Gehlen mit einem kleinen, aber feinen Nachrichtendienst des Kanzleramts Konkurrenz machte.

Heinz hatte bereits 1951 ein Organisationsschema für einen „Truppenabwehrdienst“ entworfen, noch bevor die Bundeswehr existierte. Gehlen witterte darin ein Wiederaufleben einer eigenständigen militärischen Abwehr à la Canaris. Nicht ohne Grund, denn der Name „Abwehr“ war von der Reichswehr wegen des Verbots deutscher militärischer Auslandsaufklärung im Versailler Vertrag nur als Tarnbezeichnung gewählt worden. Gehlen drängte Gerhard Wessel zum Verzicht auf diesen Begriff. Aus dem geplanten „Militärischen Abwehrdienst“ wurde so eine Namensschöpfung Wessels, das Kürzel MAD blieb: der „Militärische Abschirmdienst“.

Auswertung von Nachrichten

Seine Aufgaben definierte sein Nachfolger Oberst Selmayr 1967 „angesichts der fehlenden gesetzlichen Grundlage und fehlender Vorschriften“ durch operative Anweisungen und Durchführungsbestimmungen. Kernauftrag war die Abschirmung der Bundeswehr vor Angriffen gegnerischer Spionage, Sabotage und Zersetzung, auch durch geeignete eigene Gegenmaßnahmen. Als fachliche Einzelmaßnahmen waren Observation und Befragungen, die Führung von V-Leuten und Sonderaufgaben für die Abschirmung von Truppenübungen und Personenschutz vorgesehen. 1972 wurde die Aufgabenstellung in einer Zentralen Weisung zusammengefasst, die auch interne Sicherheitsüberprüfungen und die Auswertung operativ erlangter Nachrichten regelte, die sich zu einem Hauptgeschäft des MAD entwickelte.

Doch die Pannen blieben nicht aus

Darin war er, wie die Fallbeispiele Hammerichs zeigen, durchaus erfolgreich, sodass er als „Geheimdienst ohne Skandale“ galt. Bis ihn die „Pannen des MAD“ („Der Spiegel“ 1984) einholten: Der Diebstahl einer „Sidewinder“-Rakete und ihre Verbringung in die DDR 1967, der Fall Lebach – ein mörderischer Waffenraub aus einem Bundeswehrdepot 1969 –, der „Fall Kießling“ 1984, für den sich Verteidigungsminister Wörner wegen Fehler des MAD entschuldigen und die Entlassung des Generals Kießling rückgängig machen musste, sowie die Fälle Kloss und Krase als „größte Niederlage der MAD“.

Aus den Schlagzeilen brachte ihn erst die größte Niederlage seines Gegners – der DDR samt ihrer Hauptabteilung Aufklärung und, auch die gab es, der Militäraufklärung der NVA, der „Nationalen Volksarmee“.

Helmut R. Hammerich:„Stets am Feind!“ Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956-1990. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019. 520 S. m. 39 Abb. und 12 Grafiken, 40 €.

Hannes Schwenger

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