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Knut Hamsun auf dem Obersalzberg.

© Das Neue Berlin

Knut Hamsun: Sein Weg zu Hitler

Tore Rem beschreibt in seinem Buch die Widersprüchlichkeit des norwegischen Schriftstellers Knut Hamsun. Eine Rezension.

Der norwegische Dichterfürst Knut Hamsun (1859–1952) ist in seiner Heimat bis heute so etwas wie ein nationales Heiligtum. Norwegische Historiker und Literaturwissenschaftler arbeiten sich am Leben und Werk auf beeindruckende Weise ab. Und immer steht dabei die Frage im Mittelpunkt, warum dieser dichtende Menschenfreund zum Kulturfunktionär und Nazi werden konnte.

Vor fünf Jahren erschien ein hochgelobtes Standardwerk, das leider um die Hälfte gekürzt ins Deutsche übertragen wurde. In Ingar Sletten Kolloens „Knut Hamsun. Schwärmer und Eroberer, Narzisst und Nobelpreisträger“ (Landt Verlag) ist die Episode Hamsun–Hitler, die inszenierte Begegnung auf dem Obersalzberg vom Juni 1943, ausführlich beleuchtet. Nun hat der norwegische Literaturwissenschaftler Tore Rem eine Studie unter dem Titel „Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler“ verfasst. Ein Titel, der doppeldeutig gemeint ist. Denn Rem versteht „die Reise zu Hitler“ zugleich als langen Weg vom bezaubernden Schriftsteller zum flammenden Nationalsozialisten. Die Begegnung mit Hitler auf dem Obersalzberg nimmt darin aber tatsächlich nur insgesamt zwanzig Seiten ein.

Knut Hamsun war ein Neuerer, in der Anfangszeit ein Rebell. Seinen Weltruhm begründete er mit den Romanen „Hunger“ (1890), „Mysterien“ (1892), „Pan“ (1894). Den Literaturnobelpreis erhielt er 1920 für seinen 1907 erschienenen Roman „Segen der Erde“, ein Werk, das Hamsun aber auch „zum Günstling der deutschen Rechten und der rechten Revolutionäre“ machte, schreibt Rem.

„Dieser Narr im Konzentrationslager“

Hamsun schuf verstörende Literatur und Figuren, die psychologisch nicht zu deuten waren, sondern „gespalten und zerstückelt, nicht gut und nicht böse, sondern beides“, wie Hamsun als 86-Jähriger erklärte, „wechselhaft in Gemüt und Taten. Und so bin ich zweifellos auch selbst“. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann bewunderte jüngst die „Undurchsichtigkeit“ von Hamsuns Figuren, die „sie auf seltsame Weise nicht weniger realistisch, sondern glaubhafter“ mache. Kehlmann weiter: „Am Ende der Periode von Gesellschaftsroman und Sozialdrama, zur Blütezeit von Ibsen und Zola, entdeckte ein norwegischer Autodidakt im Rückgriff auf Dostojewski und Strindberg die produktive Kraft des Wahnsinns.“

In Deutschland wurde Hamsuns Werk besonders bewundert. Kurt Tucholsky und viele andere Schriftsteller wie Heinrich und Thomas Mann, Stefan Zweig, Gerhart Hauptmann oder Carl von Ossietzky vergötterten die Literatur Knut Hamsuns. Aber ebenso Joseph Goebbels, in dessen Tagebuch sich wiederholt begeisterte Zeilen nach der Lektüre finden. Als Ossietzky schließlich wehrlos und geschunden im KZ saß, verhöhnte Hamsun ihn als „diesen Narren im Konzentrationslager“. Damit war seine Literatur für die Gegner der Nationalsozialisten verloren.

Knut Hamsun war nicht senil, obwohl er schon sehr alt war, als er öffentlich für die Nationalsozialisten Stellung bezog. Er verstand sich nicht als Antisemit, hatte jüdische Freunde, setzte sich für Juden ein. Es lassen sich aber frühzeitig „diverse Stereotypen des Antisemitismus“ in seinen öffentlichen Äußerungen nachweisen, schreibt Rem. Hamsuns Ressentiments waren vom Hass auf England und Amerika gespeist, vom Protest gegen die Moderne und das Stadtleben, vom Unbehagen an der Zivilisation, von sentimentalen Gefühlen für das Landleben. Er war ein glühender Antikommunist und er hoffte, dass die Nationalsozialisten Europa, ja die Welt befreien würden vom Joch der Industrialisierung.

Die Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen begrüßte Hamsun. Er feierte die Erfolge der deutschen Wehrmacht. Er ließ sich von den Nazis einspannen. Er bekam Audienzen bei Goebbels und Hitler. Und noch den Tod des verehrten Führers 1945 nahm er zum Anlass, seine Überzeugung in die Welt zu rufen. Für den norwegischen „Aftenposten“ verfasste Hamsun einen Nachruf auf Hitler, in dem es heißt: „Er war ein Krieger, ein Krieger für die Menschheit und ein Verkünder des Evangeliums über das Recht für alle Nationen. Er war eine reformatorische Gestalt höchsten Ranges … Wir, seine engen Anhänger, senken nun bei seinem Tod unsere Köpfe.“

Er bleibt vorsichtig in seinen Urteilen

Tore Rem skizziert diesen Mann voller Widersprüche, der hartherzig und tyrannisch im Alltag sein konnte, aber höchst sensibel in seiner Literatur. Rem gibt einen Überblick über die Anfangsjahre, die unglückliche Kindheit bei einem Onkel, den Oppositionsdrang, den rasanten Beginn als Schriftsteller. Der Literaturwissenschaftler ringt um Verständnis für „eine gespaltene Persönlichkeit“, doch er bleibt vorsichtig in seinen Urteilen und meidet eine schlüssige Erklärung.

Bis an sein Lebensende blieb Hamsun unverbesserlich, er bereute nie, verbissen und verblendet für die Nazipresse getrommelt zu haben. „Hamsuns Sprache ist identisch mit der Rhetorik der härtesten Nazipropaganda“, urteilt Rem. Im Januar 1942 war Hamsun noch in die NS- Partei Norwegens, die „Nasjonal Samling“ („Nationale Vereinigung“), eingetreten – es war jener Monat, in dem die sogenannte Endlösung der Judenfrage am Berliner Wannsee beschlossen wurde. Rem bezeichnet den Schriftsteller als „Nazi Hamsun“. So bleibt Hamsuns literarisches Werk bis heute diskreditiert. Ingar Sletten Kolloen stand letztlich vor einem Rätsel und auch Tore Rem scheitert daran, diesen Widerspruch zwischen Literatur und Autor zu erklären. Er hilft sich mit Fragen: „Sah Knut Hamsun wirklich nicht, dass das, was er tagein, tagaus las, andere Perspektiven ausschloss, dass es in einer totalitären Sprache geschrieben war?“

Merkwürdig, dass Tore Rem auf die herausragende, bahnbrechende Studie seines Landsmanns Kolloen kaum eingeht. Rem tut so, als sei er der Erste, der die Hinterlassenschaften kritisch geprüft habe. Dabei wertete Kolloen als Erster das Privatarchiv Hamsuns aus, er gilt als der bedeutendste Wegbereiter für eine kritische Wertung von Leben und Werk Knut Hamsuns. So schadet Tore Rem sich selbst. Er zitiert viel, vielleicht zu viel aus NS-Propagandazeitungen, er zerbricht sich zu häufig den Kopf Hamsuns, wenn er nicht weiterweiß oder es an Zeugnissen fehlt. Rems Buch ist opulent gestaltet und reichhaltig illustriert. Doch die Studie Kolloens klingt insgesamt entschiedener und eindeutiger als Rems Bewertungen.

Tore Rem: Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler. Aus dem Norwegischen von Daniela Stilzebach. Das Neue Berlin, Berlin 2016. 400 Seiten, 29,99 Euro.

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