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Kling

© promo

Kabarett: Das kommunistische Känguru

Gesellschaftskritik und Selbstironie: Ein Porträt des Poetry-Slammers Marc-Uwe Kling.

Marc-Uwe Kling bezeichnet sich selbst als Anarchist und als links. Und der 26-jährige Kabarettist macht im Gespräch von vornherein kein Hehl daraus, dass System- und Kapitalismuskritik für ihn eine große Rolle spielen. Was sich erst einmal nach allerhand anderem anhört als nach einem Erfolgsrezept. Denn schließlich gilt linkes Polit-Kabarett in Deutschland seit bald zwei Jahrzehnten als aussterbende Gattung. Und dann auch noch ein Bühnenprogramm, in dem es um einen unverbesserlichen Kommunisten geht?

In Zeiten des anhaltenden ComedyBooms und des trotz aller Schlagzeilenkrisen weltumspannenden Turbokapitalismus wirkt derlei nicht gerade hitverdächtig. Doch mit eben solcher Haltung füllt Kling seit Wochen nicht nur die Säle quer durch die Republik, sondern hat es auf Radio Fritz längst zum Lieblingskolumnisten unter jungen Hörern gebracht. Kommt beim Shootingstar der deutschen Kleinkunstszene der eigentlich ungeliebte, schwer angestaubte Kommunismus doch in denkbar ungewöhnlicher Gestalt daher: als Känguru.

Eines Tages, so erzählt es Kling seinem Publikum, habe das Känguru plötzlich bei ihm vor der Tür gestanden, um sich nachbarschaftlich ein paar Eier für Pfannkuchen auszuleihen. Nach den Eiern bat es um Salz, Mehl, eine Pfanne, einen Schneebesen. Schließlich habe das Tier die gesamte Küche in Beschlag genommen und sei gleich ganz in die Wohnung eingezogen („Is’ näher zum Kühlschrank!“). Nun also lebt Kling in Kreuzberg angeblich mit einem Känguru zusammen. Und seine „Känguru-Chroniken“ könnte man als öffentliches Selbstgespräch mit einem radikalpolitischen Gewissen auf zwei Sprungbeinen beschreiben, das direkt aus der APO-Bewegung der sechziger Jahre entsprungen zu sein scheint – und dessen Komik sich wie schon bei Wolfgang Menges Ekel Alfred oder Olli Dittrichs Dittsche nicht zuletzt daraus speist, dass hier hehres Weltverbesserungsideal auf privates Schlawinertum trifft.

Denn so strikt rot und missionarisch Klings Känguru die gegenwärtige Konsumgesellschaft aburteilt, so allzu menschlich korrupt ist es doch auf den eigenen Vorteil bedacht. Immer pleite und hungrig schnorrt das Beuteltier nicht nur ständig Schnapspralinen und Aschenbecher. Das Känguru nervt seinen Mitbewohner Kling auch regelmäßig damit, dass es überlaut Grunge-Musik von Nirvana hört, Hasstiraden auf inzwischen etablierte Achtundsechziger schwingt und selbst bei banalsten Gängen ins Kino oder zum Schnellimbiss noch den Fundamentalkritiker hervorkehrt. „Das Känguru ist jemand, der das Wort ‚Kompromiss einfach nicht kennt“, erklärt Kling selbst seine Figur. „Dadurch stellt es grundsätzlich in Frage, ob wir die Kompromisse, die wir täglich machen, wirklich alle machen sollten.“

So treibt sein Beuteltier beispielsweise einen McDonald’s-Verkäufer zur Verzweiflung, indem es hartnäckig einen Whopper bestellt, obwohl man einen Whopper nur beim Konkurrenten Burger King kaufen kann. „Whopper! Whopper! Whopper!“, knurrt das Känguru stur, bis es von Sicherheitsleuten abgeführt wird. Noch draußen vor der Tür schimpft es weiter: „Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot!“ und schlägt zum Schluss vor: „Dann gehen wir eben zu Burger King und bestellen uns einen Big Mac!“

Marc-Uwe Kling ist 1982 geboren. Das Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde und es danach sechzehn Jahre lang blieb. Seiner Generation, die unter betonierten CDU-Mehrheitsverhältnissen aufwuchs, wird gern eine unpolitische Haltung unterstellt. Ein ungerechter Vorwurf, wie der ehemalige Philosophie- und Theaterwissenschaftsstudent findet, der nach dem Abitur aus der Nähe von Ludwigsburg nach Berlin zog. Viele seiner Altersgenossen, glaubt Kling, interessierten sich durchaus für Politik, hätten aber oft resigniert, „weil sie das Gefühl haben, nichts wirklich verändern zu können“. Schließlich sei es „in einem butterweichen System, in dem scheinbar alles erlaubt und meistens keiner sichtbar verantwortlich ist“, nicht leicht, überhaupt noch Fronten und Positionen auszumachen.

Eben diese Fronten aber sieht und findet Klings Känguru. Denn für den Bewunderer Ho Chi Minhs im Westentaschenformat ist noch klar, wo der Klassenfeind steht: Es ist der McDonald’s-Verkäufer. Es ist der Polizist, der die Demo absichert. Es ist der Junge an der Kinokasse, der einem zur Karte noch einen Packen Werbezettel in die Hand drückt. Gegen diese Nervensägen zieht das Känguru im neuen Programm erbarmungslos zu Felde, als gäbe es keinen postmodernen Zweifel daran, wer Täter und wer Opfer ist. Sein Schöpfer Kling hingegen, der 2006 und 2007 den Titel des nationalen Poetry-SlamChampions gewonnen hat, weiß sehr wohl, dass die Zeit der Eins-zu-Eins-Botschaften längst vorbei ist. Schon in seinem mehrfach preisgekrönten Debütprogramm „Wenn alle Stricke reißen, kann man sich nicht mal mehr aufhängen“ nahm der Brecht-Fan darum ganz bewusst auch die eigene linkspolitische Haltung aufs Korn. Mal sang Kling hier grimmig zur Gitarre: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Mal klagte er augenzwinkernd in einem anderen Song: „Warum kommt meine Ironie nie durch?“

Mit seinen Känguru-Chroniken hat der junge Lesebühnenstar aus Kreuzberg nun seine Kunst der selbstironischen Gesellschaftskritik weiter verfeinert. Sein erdachtes Beuteltier betrachtet als KalterKriegs-Kommunist die heutige Konsumwelt ähnlich naiv und verständnislos, wie ein Außerirdischer vermutlich den Planeten Erde betrachten würde. Und daraus ergeben sich nicht nur amüsante Missverständnisse, sondern gewinnt der rotzige Revoluzzergeist einer vergangenen Ära auch verblüffend an Brisanz.

- Marc-Uwe Kling stellt die „KänguruChroniken“ bis Sonnabend, 14. März, jeweils um 20 Uhr, im Mehringhoftheater vor (Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg). Das Buch „Die Känguru-Chroniken“ erscheint am 1. April im Ullstein Taschenbuch Verlag (271 Seiten, 7,95 €).

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Gisa Funck

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