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© Jürgen Bauer/Verlag

Judith Hermann im LCB: Zeit der Reife

Auch Literatur ist harte Arbeit: Judith Hermann und ihr neuer Erzählband „Alice“.

Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Besonders im Literaturbetrieb, in dem Bücher gerade mal eine Halbwertszeit von einem halben Jahr haben. Selbst bekannte Autoren sehen sich gezwungen und nicht zuletzt von ihren Verlagen gedrängt, alle zwei bis drei Jahre ein Buch vorzulegen, um im Gespräch und auf dem Markt präsent zu bleiben. Judith Hermann jedoch scheint diesem Produktionsdruck immer erfolgreich standgehalten zu haben. Mit ihrem neuen Erzählband „Alice“, der Anfang Mai erscheint, legt sie seit ihrem vielumjubelten Debüt „Sommerhaus, später“aus dem Jahr 1998 erst ihr drittes Buch vor. Wiewohl gerade in ihrem Fall immer mal wieder zu hören war, dass Hermann sich schwer tat mit ihrem Ruhm nach „Sommerhaus, später“, mit den damit verbundenen Erwartungen. Diese äußerten sich vonseiten ihres Verlages bisweilen auch dahingehend, sie möge doch vielleicht mal einen Roman schreiben. Stattdessen schrieb sie 2003 mit „Nichts als Gespenster“ einen weiteren Band mit Erzählungen, der sich inhaltlich und stilistisch nicht groß von ihrem Debüt unterschied, und tauchte dann wieder ab.

In Vergessenheit geraten aber ist sie nicht. Als Judith Hermann am Mittwoch erstmals mit ihrem neuen Buch an die Öffentlichkeit geht und daraus vorliest, drängt sich das Publikum wie zu „Sommerhaus, später“-Zeiten in den für große Zuschauermengen nicht unbedingt prädestinierten Räumlichkeiten des LCB. Und sie bestätigt gleich zu Beginn des Gesprächs, das sie mit den Literaturkritikern Kolja Mensing und Hans-Ulrich Probst sowie der Moderatorin Maike Albath führt, dass es sie beeinträchtigt habe, mit „Sommerhaus, später“ und den darin beschriebenen verträumt vor sich hinlebenden jungen Slacker-Figuren als „Stimme einer Generation“ zu gelten. „Es war nicht einfach, weiterzuschreiben. Ich stellte mir bei manchen Sätzen und Geschichten plötzlich die Frage, ob die jetzt allgemeingültig sind. Ich habe nicht mehr nur für mich selbst geschrieben. Und ich habe auch Dinge gesagt, die ich so gar nicht sagen wollte.“

Man spürt an diesem Abend allerdings einmal mehr, wie unterschiedlich die Welten sind, in denen sich die 39 Jahre alte Berliner Schriftstellerin und die Kritik mitsamt Publikum bewegen. Judith Hermann gibt sich Mühe, offen zu sein. Sie beantwortet Fragen zu ihrem Werdegang, von ihrem Scheitern als Reportagenschreiberin auf der Journalistenschule etwa. Oder erzählt, dass einer ihrer Ausbilder damals gesagt hätte, sie könne sich in ihren Texten nicht recht entscheiden zwischen Literatur und Journalismus. Selbst auf Fragen, was sie in den langen Pausen zwischen ihren Büchern gemacht habe und ob sie sich überhaupt als Schriftstellerin fühle, antwortet Hermann freimütig: „Glauben Sie es oder nicht: Ich habe geschrieben. Und ob ich Schriftstellerin von Beruf bin, weiß ich bis heute nicht. Für die Länge einer Geschichte, eines Buches bin ich mir sicher. Ich weiß aber nie, ob es ein weiteres Buch von mir geben wird.“

Als die Rede auf ihren neuen Erzählband kommt, aus dem sie Passagen aus zwei Geschichten liest, und Mensing und Probst ihre wohlwollenden literaturkritischen Einschätzungen abgeben, zeigt sich Hermann jedoch zunehmend zugeknöpfter. Zwischen Unverständnis und teils zweifelndem, teils heiterem Staunen pendelt ihr Mienenspiel, und auch Moderatorin Maike Albath bemerkt ihr schmerzerfülltes Winden.

„Alice“ handelt von Abschieden, vom Verlust naher Menschen, vom Tod überhaupt. Und wie insbesondere die in allen fünf Geschichten vorkommende Alice damit umgeht, von ihrer Fähigkeit, vor allem aber Unfähigkeit zu trauern. Probst und Mensing arbeiten heraus, wie viel Wert in „Alice“ auf die Beschreibung, das Registrieren der Dingwelt gelegt wird, und wie wenig Worte die Protagonisten für das Sterben und den Tod finden. Gerade das sei das Auffällig-Besondere an diesem Buch. Auffällig auch: Die Generation aus „Sommerhaus, später“, ist, wie Hermann, ein Jahrzehnt älter geworden. Und der Ton von Hermann, nicht zuletzt bedingt durch das Thema, scheint noch eine Spur elegischer geworden zu sein, die Atmosphäre ist verhangen, düster.

Hermann bejaht zwar noch die Frage nach der autobiografischen Anlage ihrer Geschichten. Es war der Tod des mit ihr befreundeten Literaturkritikers Reinhard Baumgart 2003, der sie völlig unvorbereitet getroffen und das Buch thematisch initiert hat. Sie sagt dann aber, dass sie ihre Hauptfigur nach der Kritik von Mensing und Probst kaum wieder erkennt: „Wenn Sie sie so sehen und lesen wollen und können, sollen Sie das tun.“

Was folgt, ist ein Lehrstück darüber, wie Autorin und Kritik nicht zueinander kommen. Wie die eine Seite sich wundert, die andere um Einordnung und Zeitbezogenheit bemüht ist. Einmal gesteht Hermann in vermutlich ungewollter Offenheit, wie anstrengend dieses Gespräch über ihr neues Buch sei, „anstrengender, als ich mir das vorgestellt habe“. Und als sie am Ende von ihren Kritikern doch noch einmal als „Chronistin einer Generation“ bezeichnet wird, entfährt es Hermann: „Das ist ja schrecklich!“

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