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Hölderlins vermutlich letztes Gedicht. "Aussicht" spricht vom Blick durch das Fenster seines Tübinger Turms auf den Neckar.

© DLA Marbach

Hölderlin, gesehen von Gerhard Falkner: In der Wortverbrennungsanlage

Der Dichter Gerhard Falkner versucht sich an einer "Hölderlin Reparatur" - mehr oder weniger erfolgreich.

Von Gregor Dotzauer

Nichts leichter, als sich davon zu überzeugen, dass es zwei Hölderlins gibt. Einen, der in der ersten Hälfte des Lebens den gedanklichen Bogen seiner Oden, Hymnen und Elegien kraftvoll spannte, die geschlossene Form beherrschte und, wenn sich ihm das Gemüt verdüsterte, in den Armen der wandellos göttlichen Natur Trost suchte. Und einen, an dem in der langen zweiten Hälfte eine Psychose zerrte, die fremde Ichs wie einen gewissen Scardanelli ans Ruder ließ und an den Versen nagte, bis oft nur noch ein Wortstumpf übrig blieb. Das wüste Schriftbild seiner späten Manuskripte scheint Beweis genug.

Zugleich soll man nicht so tun, als wäre nicht von Anfang an ein Riss durch Friedrich Hölderlin (1770–1843) hindurchgegangen. Zerfallen, wie er mit sich selber war, pochte ein „darbendes, angefochtenes, tausendfach geärgertes Herz“ in ihm, wie es im „Hyperion“ heißt, und verlangte nach einem Ton, der unter anderen Umständen vielleicht gar nicht zum Tragen gekommen wäre. „Singen wollt ich leichten Gesang“, notiert Hölderlin in zwei am Rand der „Friedensfeier“ entstandenen Zeilen, „doch nimmer gelingt mirs / Denn es machet mein Glück nimmer die Rede mir leicht.“

Es geht hier freilich nicht um Biografisches, das Hölderlin wie jeder große Dichter in etwas Universales übersetzte: Nur deshalb geht es uns heute noch so nah, wenn er sich etwa in Diotima ein Bild seiner großen Liebe Susette Gontard erschuf. Es geht um den Trugschluss, dass die poetische Geschlossenheit der ersten Lebenshälfte eine Form der natürlichen Rede wäre, wohingegen das spätere Stammeln und Stottern ganz ins Reich einer krankhaften Formlosigkeit gehören würde. Wenn man schon einen Gegensatz konstruieren will, müsste man sagen: Hölderlins geistige Zerrüttung war echt, das Beisichsein war simuliert.

Ästhetik des Erhabenen ohne sich lächerlich zu machen

Niemals, sogar unter Zuhilfenahme einer Zeitmaschine, würde man in der Wirklichkeit ein „Stuttgart“ finden, wie es dieser Sänger einst besang: „Wieder ein Glück ist erlebt. Die gefährliche Dürre geneset / und die Schärfe des Lichts senget die Blüte nicht mehr. / (...) / Voll ist die Luft von Fröhlichen jetzt und die Stadt und der Hain ist / Rings von zufriedenen Kindern des Himmels erfüllt.“ Dieses Stuttgart hat nur eine innere, eine literarische Realität. Es findet sich in Berlin genauso wie in Bochum, und es lässt sich auch von Düsenjets und tiefer gelegten Sportwagen mit selig aufheulenden Motoren nicht vertreiben. Oder etwa doch?

Der 57-jährige Gerhard Falkner versucht in seinem Lyrikband „Hölderlin Reparatur“, für den er soeben mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde, einen hohen Ton für die Gegenwart zu retten, ohne sich auf den Sprachstand begeben zu müssen, der Hölderlin zur Verfügung stand. Wie, fragt sich Falkner, ist eine Ästhetik des Erhabenen noch möglich, ohne dass der, der an ihr festhält, sich lächerlich macht?

Wenn Falkner in dem Gedicht „Ringsum ruhet nichts“ Hölderlins „Brot und Wein“ zerpflückt, macht er erst einmal Hölderlin unmöglich: „Ringsum ruhet nichts. Schon gar nicht die Stadt. / Kalt sticht das Licht der erleuchteten Gassen / in die Seiten der großen Alleen / und die Wagen rauschen dahin (ohne Ende) / Keiner weiß etwas von den Freuden des Tages /oder ihrem Gegenteil / den Qualen der Nacht / Nirgends ein sinniges Haupt. Aus keinem Garten / der Welt tönt fernes Saitenspiel.“

Die Ausführung zählt

Da haben wir’s: Korrektur! Nein: Kontrafaktur! Demontage! Fort damit auf die Abraumhalde! So geht das nicht nur einmal: In jede himmlische Idylle mit Hölderlinanklängen fährt ein Störgeräusch. Die Ebenen des Sublimen und des Gewöhnlichen rauschen gewaltig zusammen, um zu zeigen, wie sich jeder Text gegen seinen Kontext behaupten muss. Es wird durchgestrichen und übermalt, als würde man so eine neue Sprache erhalten, die in ihrer Verunreinigung unschuldiger ist als die vermeintlich reine Sprache, deren sich Hölderlin bediente.

Falkner jedoch vorzuwerfen, dass er fast immer erst den Umweg über Hölderlin nimmt oder die Brechung durch eine andere poetische Instanz sucht, führt am Projekt dieses Bandes vorbei. Mit Zitaten derart hochgerüstet, dass der Blick auf das, was man Falkners eigene Sprache nennen könnte, nicht selten ins Leere führt, ist die „Hölderlin Reparatur“ ein Stück exakt kalkulierter poetischer Konzeptkunst zwischen Formbewusstsein und Formzerstörung: eine Materialschlacht, die um die Ironie mit den Mitteln des Pathos und um das Pathos mit den Mitteln der Ironie ringt.

Konzeptkunst bedeutet: Die Ausführung zählt, wie Falkner in einem zwischen Albernheit und Klippschulbelehrung schwankenden Begriffsappendix namens – Vorsicht Ironie – „Suchmaschine“ schreibt, „von untergeordneter Bedeutung“. Wir haben es, im Medium völlig disparater lyrischer Stile also mit so etwas wie einer theoretischen Demonstration zu tun. Das ist die Stärke und die Schwäche dieser labyrinthischen Gegensprech- und Wortverbrennungsanlage.

Falkner zieht sich aus der Affäre

In sieben Abteilungen führt sie von „Reparaturtexten“, „Reklamationen“ und „Netzwerkumgebungen“ über „Nichtverständigungstexte“ bis zu den mehrstimmigen Partituren von „Material (Schlachten)“. Dabei passiert man Kreuzchen, die Vers hebungen und -senkungen markieren, Brentano-Anklänge, Brecht-Reverenzen und ad absurdum geführten kommunikationstheoretischen Jargon. Und aus den meisten Gedichten ruft es: So, Freunde, schreibt es sich heute nicht mehr!

Wie, bitteschön, schreibt es sich dann? Oder, um die wichtigere Frage zu stellen: Wird, ein Minimum an historischem Bewusstsein vorausgesetzt, die Lektüre der Klassiker dadurch entwertet? Falkner zieht sich mit seiner Erklärung in den „(47) Sätzen gegen die Unruhe“ aus der Affäre: „Das, was ich gesagt habe, ist nicht das, was ich nicht gesagt habe.“

Wie erleichternd, dass ihm dann doch einige entschiedene Sprechversuche glücken – mit heruntergedimmtem hölderlinschem Ernst („es kam wie der frische Morgen, der Mittag, die S-Bahn / der Schlusspfiff, das Alter (es kam, was kommen musste / es kam das kommen“) oder ironisch wie in „Hohe Minne“ („Du bist das größte Mädchen / das mir je begegnet ist / es wäre unmöglich / um dich herumzulaufen / und zu Lebzeiten / noch einmal vor dir zu stehen“).

Ach oder doch Ach ja?

Falkner, der zuletzt mit der Bären- und Künstlernovelle „Bruno“ glänzte und das Berliner Großgedicht „Gegensprechstadt – ground zero“ schrieb, ist mit der „Hölderlin Reparatur“ an einen Punkt gelangt, wo er der fragilsten aller Gattungen eine fast unmögliche Rundumverteidigung zumutet: eine Verteidigung gegen die Angriffe der alltäglichen Leerformeln und Sprachhüllen, die zweifellos zum Selbstverständnis des Gedichts gehört, aber auch eine Verteidigung gegen einen überkommenen hohen Ton, der sich jedem alltäglicheren Sprechen verschließt.

Erstaunlich wenig ist bei alledem davon die Rede, was die in der Philosophie regelrecht modischen Erhabenheitsdiskurse bestimmt: Wohin mit dem Transzendenten, dem Heiligen, dem Numinosen – und sei es in ganz unreligiöser Form? Und auf Hölderlin bezogen: Wohin mit den Himmlischen und den Göttern, die durch seine Gedichte spuken? In der Prosa, etwa in Peter Handke quasi-animistischer Weltbetrachtung oder bei Botho Strauß, scheint diese Perspektive einstweilen besser aufgehoben. Denn es geht nicht nur um die Aktualität bestimmter Tonhöhen, sondern darum, was sich jeweils durch sie sagen lässt. Sonst führt der Weg gefährlich schnell vom großen hölderlinschen „Ach“ zum seufzenden „Ach ja“.

Gerhard Falkner: Hölderlin Reparatur. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 Seiten, 19 €.

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