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Thomas de Maizière

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Ex-Minister Thomas de Maizière und seine Sicht: Dienen im Lichte der Öffentlichkeit

Weniger Rechtfertigung als Erklärung des langjährigen Vertrauten von Kanzlerin Merkel

Von Robert Birnbaum

Was ist jetzt das?“, haben sich diejenigen verblüfft gefragt, denen erstmals ein Hybridauto vor der Nase entlangglitt. In der Stadt leise und geruchlos elektrisch unterwegs, beim Abbiegen auf die Autobahn brummelt und stinkt dann plötzlich der gewohnte Benziner. In Thomas de Maizières neuem Buch spielen Automobile keine Rolle. Aber die Frage, was das jetzt sei, stellt sich der Leser ebenfalls. Und die Antwort lautet ähnlich: „Regieren“, wie der Titel demaizièreisch-preußisch-schlicht lautet, ist ein Mischwesen.

Die eigene Ehre retten

Da wäre erstens ein Anteil, der als klassisches Politikerbuch daherkommt. In seinen mehr als 28 Jahren an der Spitze diverser Landes- und Bundesministerien hat der CDU-Politiker viel erlebt, viel entschieden – und viel Kritik einstecken müssen. Das gehört zum Geschäft. Minister müssen mit Ohrfeigen in Leitartikelform ebenso leben, wie mit dem Spott von Polit-Satirikern und solchen, die sich durch den Besitz eines Twitter-Accounts dazu berufen fühlen. Es wurmt aber trotzdem. De Maizière wurmt es besonders an den Stellen, wo er sich ungerecht behandelt fühlte, aber von Amts wegen glaubte, sich nicht gleich rechtfertigen zu können. Jetzt, im Nachhinein, macht er sich ans Zurechtrücken.

Der aktuell nach wie vor interessanteste Fall – die Entscheidung im Herbst 2015, die Grenzen vor den Flüchtlingen nicht zu schließen – hat prompt für Aufsehen gesorgt. Dazu reichte ein einziges Wort: „ehrabschneidend“. So nennt der damalige Bundesinnenminister (und Volljurist) den Vorwurf seines heutigen Nachfolgers Horst Seehofer (und „Erfahrungsjuristen“) von der „Herrschaft des Unrechts“. De Maizière besteht darauf, dass er immer rechtmäßig agiert hat.

Die Öffnung der Grenzen

Die Entscheidung selbst war politisch begründet: Die Bundespolizei die Grenzen abriegeln zu lassen, hätte im Dominoeffekt von Österreich bis Griechenland ein Chaos angerichtet und an der Grenze zu „sehr hässlichen Bildern“ geführt von Polizisten, die womöglich mit Schilden und Gummiknüppeln Frauen und Kinder zurückdrängen müssen. Politisch, argumentiert de Maizière, wäre das nicht durchzuhalten gewesen – zumal in einer Atmosphäre, in der die Kölner Silvesternacht als klimatischer Wendepunkt der Flüchtlingskrise noch in weiter Ferne schien.

Diese Lageeinschätzung muss man nicht teilen, aber sie ist nachvollziehbar. Das gilt für etliche der Erwiderungen an seine Kritiker, die sich über das Buch verstreut finden: Im Nachhinein erscheint vieles verständlich. Die Frage, ob man mit Er- und Aufklärungen wirklich bis ins Pensionsalter warten muss, stellt sich de Maizière übrigens nicht; vielleicht wäre in der Flüchtlingsdebatte manches anders verlaufen, wenn er damals gesagt hätte: Wir lassen unsere Polizei nicht Jagd auf Wehrlose machen.

De Maizière, Bundeskanzlerin Merkel und Kanzleramtsminister Altmaier.
De Maizière, Bundeskanzlerin Merkel und Kanzleramtsminister Altmaier.

© Kay Nietfeld/dpa

Aber im Nachhinein ist man schnell schlauer. Womit wir beim zweiten Motor wären, der den Politiker de Maizière beim Schreiben angetrieben hat: nicht nur – nicht einmal vordringlich – sich selbst zu erklären, sondern den politischen Prozess an sich. Wie geht das Handwerk namens „Regieren“? Wie sind die Abläufe, warum kann es sinnvoll sein, zum Bildungsminister gerade keinen ehemaligen Lehrer zu berufen, weshalb sind vertrauliche Gespräche notwendig und keineswegs „Kungelrunden“, in welchen Zwängen stecken die Regierenden?

Lehrbuch in Sachen Politik

Das liest sich über weite Strecken wie ein Lehrbuch für den Leistungskurs Politik. Dazu wäre es sogar gut geeignet, schon weil hier nicht Theorien der Gewaltenteilung gewälzt, sondern deren Wirklichkeit in all ihren Widersprüchen, Umwegen und Fallstricken beschrieben wird. Man merkt dabei einmal mehr, dass de Maizières Idealamt das des Kanzleramtschefs war. In der Zone zwischen Management, Politik und Gefahrenabwehr bewegte er sich mit einer gelassenen Sicherheit, die er vorher und hinterher nie mehr erreichte.

Trotzdem, wenn nicht zwischendurch ein konkretes Fallbeispiel käme, müsste man die Lektüre mühsam nennen. Aber wer die Mühe auf sich nimmt, lernt viel. Er ist jedenfalls hinterher nicht mehr so gefährdet, in die Kategorien der „Schlaumeier“, „politischen Pathologen“ oder „Warner“ zu fallen, denen de Maizières ganze Verachtung gilt – Menschen, die nie etwas entscheiden müssen, aber großspurig alles besser wissen: „Wer warnt, wird immer gern gehört.“

Fehler eingestehen

Diese Spitzen gewinnen Glaubwürdigkeit dadurch, dass er andererseits eigene Fehler offen einräumt – etwa den Umgang mit der „Euro Hawk“-Affäre als Verteidigungsminister. Eine Abrechnung ist das Buch ohnehin nicht. De Maizière nennt Namen nur, wenn er jemanden als feinen Kerl hervorheben will – Heiko Maas etwa, damals Justizminister, oder die Frau, der gegenüber er über seine Entlassung hinaus loyal geblieben ist: Angela Merkel.

„Loyal“ ist ohnehin das Schlüsselwort für Buch und Autor. De Maizière versteht sich als stolzer Diener – des Staates, des Rechts, der Demokratie. Dass andere diesen Dienst nicht würdigen, ja nicht einmal verstehen, war ihm Antrieb, das Buch zu schreiben. Den Dienst verstehen zu wollen, ist Grund genug, es zu lesen.
Thomas de Maizière: Regieren. Innenansichten der Politik. Verlag Herder, Freiburg 2019. 256 S., 24 €.

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