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 Chinas Präsident Xi Jinping (Mitte) mit Staats- und Regierungschefs der Gipfelkonferenz zur „Initiative Neue Seidenstraße“ am 14. Mai 2017 in Peking.

© picture alliance / Pool Kyodo/dp

Die Volksrepublik China auf dem Weg zur Weltmacht: Das asiatische Jahrhundert

Parag Khanna und Yu Zhang räsonieren über die Unordnung beim Übergang von der alten zur neuen Welt.

Asien prägt uns – zunächst wirtschaftlich, dann politisch und nun auch gesundheitlich. Die Verflechtung Asiens mit der restlichen Welt ist mit der globalen Ausbreitung des Coronavirus endgültig in den Köpfen angekommen. Was ist also in Zukunft noch alles aus Asien zu erwarten?

Parag Khanna versucht eine Antwort, indem er aus ebendieser Zukunft in die heutige Gegenwart schaut: Wenn wir einst aus dem Jahr 2100 auf den Zeitpunkt zurückblicken würden, an dem der Grundstein für eine von Asien angeführte Weltordnung gelegt worden sei, so würden wir beim Jahr 2017 innehalten. Khanna blickt hier auf den ersten Gipfel der „Belt and Road Initiative“ (BRI), Chinas Projekt einer neuen Seidenstraße. Zu diesem Anlass trafen sich 68 Länder, die zwei Drittel der Weltbevölkerung und die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Die Neue Seidenstraße

Für Khanna symbolisiert diese Zusammenkunft asiatischer, europäischer und afrikanischer Staatsführer den Start des größten koordinierten infrastrukturellen Investitionsplans der Menschheitsgeschichte. In der Tat sagten die dort versammelten Regierungen zu, im nun begonnenen Jahrzehnt Billionen von Dollar auszugeben, um die weltgrößten Bevölkerungszentren in einem Netz des kommerziellen und kulturellen Austauschs zu vereinen – eine neue Ära soll beginnen.

Khanna zählt nicht zu den Alarmisten beim Blick auf Asien. Seine Bestseller basieren nicht auf reißerischen Thesen. Vielmehr hat sich der heute an der Nationaluniversität Singapur lehrende Politikwissenschaftler einen Namen gemacht mit seinem überaus realistischen Blick auf die gegenwärtigen globalen Verhältnisse in Politik und Wirtschaft. International bekannt wurde Khanna 2008 mit seinem hellsichtigen Buch „Der Kampf um die Zweite Welt“, für das er eine Weltreise unternahm, um vor allem die USA für seine geopolitischen Analysen zu erforschen. Zurückgekehrt war Khanna vor allem mit einer Erkenntnis über die USA selbst: dass die Amerikaner eine Art Marshall-Plan benötigten, um ein Land der Ersten Welt bleiben zu können. Barack Obama schien Khannas These bereits vor seiner Wahl tief verinnerlicht zu haben.

Steht die Amtsführung seines Nachfolgers Donald Trump erst recht unter dem Motto „America first!“, so stellt Khanna dem „Asien zuerst!“ gegenüber – nicht als Empfehlung, sondern als Beobachtung: Er wertet die BRI als bedeutendstes diplomatisches Projekt des 21. Jahrhunderts, vergleichbar mit der Gründung der Vereinten Nationen und der Weltbank Mitte des 20. Jahrhunderts samt dem Marshall-Plan. Der entscheidende Unterschied in seinen Augen: „Die BRI wurde in Asien entworfen, in Asien gestartet und wird von Asiaten geleitet werden.“

Hierbei erkennt er den Beginn eines Prozesses, der weit über die gigantischen Dimensionen der BRI hinausgeht: Das asiatische Jahrhundert werde beginnen, wenn Asien zu einem Ganzen verschmelze, das größer sei als die Summe seiner unzähligen Teile.

Wohin wird diese Entwicklung führen? Khanna nimmt einen historischen und damit einordnenden Blickwinkel ein: Asien habe die Alte Welt dominiert, der Westen die Neue Welt angeführt – „und jetzt kommen wir zu einer wahrhaft globalen Welt zusammen“. Ob es allerdings wirklich „kein Zurück“ von der heutigen multipolaren, multizivilisatorischen Ordnung geben wird, dürfte zu bezweifeln sein: Erstens ist Geschichte nie linear verlaufen. Zweitens ist die Gegenwart nicht von Ordnung, sondern von Unordnung geprägt. Drittens ist es Khanna selbst, der nicht an eine Wiederkehr der westlichen Weltordnung glaubt, da sie ebenso von den Umständen bedingt gewesen sei wie jede andere Ära auch. Daher empfiehlt er, eine inklusivere und stabilere Ordnung anzustreben.

Wie ist damit umzugehen? Yu Zhang weist nicht nur China, sondern auch Deutschland eine Schlüsselrolle bei der Suche nach Antworten zu. Die Präsidentin der Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen kulturellen Austausch bezeichnet ihr „Mutterland“ China und ihr „Vaterland“ Deutschland als zwei der wichtigsten Nationen im globalen Kontext, wirtschaftlich auf dem zweiten und vierten Platz rangierend. Ihre wechselseitigen Beziehungen wirkten sich zugleich maßgebend auf den Rest der Welt aus. Wie viele andere Beobachter auch sieht sie in Deutschland die Führungsnation in Europa, in China die neue aufstrebende Macht aus Asien.

Deutschlands Verhältnis zu China wird schlechter

Zhang führt nicht nur die Herausforderungen vor Augen, die sowohl Peking als auch Berlin in Handelsfragen mit Washington verbinden – von den gegensätzlichen Zielsetzungen „America first“ und „Chinas Renaissance“ und ihren Auswirkungen auf Europa und damit auf Deutschland ganz zu schweigen.

Zhang benennt auch deutlich die sich verschlechternde Stimmung zwischen Berlin und Peking: Im Westen werde China immer häufiger „Weltmachtgehabe“ vorgeworfen. Auch monierten immer mehr Stimmen in Deutschland Chinas geopolitische Ziele: Es bestehe die ernste Gefahr, dass Technologie und Arbeitsplätze durch die chinesischen Käufe in Deutschland verloren gingen. Zhang führt den gescheiterten Deal zwischen dem deutschen Übertragungsnetzbetreiber „50Hertz“ und der „State Grid Corporation of China“ als Beispiel dafür an, dass Wirtschaftsvorhaben nicht mehr nur marktwirtschaftlich betrachtet, sondern zunehmend als geopolitische Maßnahme verstanden werden.

Japan blickt kritisch auf die Bundesrepublik

Mit Blick auf Deutschland lässt Zhang auch Stimmen zu Wort kommen, die in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sein dürften und daher umso wertvoller erscheinen. Sie erinnert an den Gastbeitrag „Deutschland führt uns in den Abgrund“ von Frank Rövekamp in der „FAZ“ im Sommer 2018. Er vermittelte das neue Deutschlandbild in Japan: Das Land verliere dort beachtlich an Respekt. Japanische Deutschlandexperten berichteten vom „Untergang Deutschlands und der EU durch die Führung von Deutschland“.

Hierzu passte auch, dass Norihide Miyoshi, langjähriger Deutschlandkorrespondent der mit einer Auflage von zehn Millionen größten japanischen Tageszeitung „Yomiuri Shimbun“, mit seinem Buch „Das Deutschlandrisiko – Vom Chaos einer traumtänzerischen Politik“ den renommierten Yamamoto-Shichihei-Preis für herausragende Publizistik auf den Gebieten Politik, Gesellschaft und Kultur in Japan gewann. Damit erreichten seine Thesen auch nach Zhangs Urteil eine breite Leserschaft in den Führungsetagen von Politik und Wirtschaft. Er stellte fest, dass „die deutsche Mentalität und die diese widerspiegelnde deutsche Politik die fundamentale Tendenz aufweisen, sich an weltverbessernden Idealen auszurichten, dabei aber den Blick auf die Realitäten und auf andere Auffassungen zu verlieren. Dies führe zu systematischer Selbstüberschätzung und moralischer Arroganz“.

Chinas Stärke, von innen gefärdet

Auch China sieht Zhang vor wesentlichen Herausforderungen und einem wachsenden Reformdruck im Innern. Wie Deutschland stehe China vor einer Reform der Sozialpolitik, um soziale Ungleichheit zu reduzieren. China sehe sich ebenfalls mit einer alternden Gesellschaft konfrontiert. Hinzu kommt nach Zhangs Analyse die enorme Umweltproblematik. In manchen Regionen macht sie darüber hinaus sich abzeichnende Immobilienkrisen aus.

Als weitere immense Herausforderung für China bezeichnet Zhang den allmählichen Verlust des gesellschaftlichen Normen- und Wertgefüges. Parallel will die Volksrepublik einen gewaltigen Industriewandel schaffen – von der produzierenden Struktur als Werkbank für die Welt zu einer Dienstleistungs- und Technologienation.

Innere Probleme behindern eine globale Rolle

Wie nun allerdings Deutschland und China, die jeweils von nationalen Problemen beherrscht werden, zur Lösung auch noch globaler Probleme beitragen sollen, wird auch bei Zhang nicht deutlich. Umso mehr ist vom weiteren Anhalten einer Weltunordnung als vom Beginn einer neuen Ordnung auszugehen. Doch auch in dieser Hinsicht prägt Asien uns bereits – und längst nicht mehr allein der Westen.

Parag Khanna: Unsere asiatische Zukunft. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Rowohlt Berlin, Berlin 2019. 493 S., 24 €.

Yu Zhang (Hrsg.): China und Deutschland: 5.0. Chance, Herausforderung und Prognose. Verlag Walter De Gruyter, Berlin 2019. 257 S., 34,95 €.

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