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Der Widerstand hatte viele Facetten: Ein Fabrikant, der gegen Hitler aufstand

Andreas von Mettenheim zeichnet das Bild des zu Unrecht vergessenen Widerständlers Carl Wentzel-Teutschenthal.

In der Literatur über den deutschen Widerstand ist er kaum eine Randfigur. Dabei ist der im November 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilte und einen Monat später in Plötzensee hingerichtete Carl Wentzel-Teutschenthal ein Mann, der der Erinnerung wert ist – nicht nur seines Schicksals wegen, sondern auch, weil er der einzige Großindustrielle war, der dem Rachefeldzug des Regimes zum Opfer fiel.

Allerdings sind seine Aktivitäten schwer rekonstruierbar. Bis auf jenes Abendessen mit Carl Goerdeler, dem zivilen Kopf des Widerstandes, das ihm zum Verhängnis wurde, weil es der Gestapo das Belastungsmaterial an die Hand gab. So bleibt sein Bild unscharf, konnte die Frage aufkommen, ob er denn als Mittäter oder als Opfer gelten kann, ja, ob sein Tod gar nur – wie bisweilen gesagt wurde – ein „tragisches Missverständnis“ war.

Eine unwahrscheinliche Größe

Mit einer Biografie hat Andreas von Mettenheim es unternommen, diesem Mann gerecht zu werden. Durch familiäre Bekanntschaft zur Beschäftigung mit Wentzel angeregt, hat er sich an die verwehten Spuren dieses Gutsbesitzers geheftet. Er hat recht eigentlich versucht, einen Mann zu entdecken, der in der von Militärs und Beamten dominierten Widerstands-Szene eine eher unwahrscheinliche Größe darstellt. Denn in Carl Wentzel, der seinem Namen den Namen des kleinen Dorfes bei Halle hinzugefügt hat, in dem er sein ganzes Leben zugebracht hat, begegnet man einer bedeutenden Gestalt ganz anderer Art – einem hocherfolgreichen Agrarindustriellen, Zuckerfabrikanten und Saatgutzüchter. Einen der „ganz Großen der deutschen Landwirtschaft“ nennt ihn der Autor. Politisch konservativ, aber von Anfang an ein Gegner des „Dritten Reiches“, lässt sich aus erhaltenen Briefen und kolportierten Erinnerungen ein Wandel ablesen, der ihn in den Widerstand führt. Es wächst, wie Mettenheim einfühlsam formuliert, die „verzweifelte Tapferkeit des ängstlichen Mannes“ .

Verantwortung und Selbstachtung

Das Bild seines Widerstands bleibt notgedrungen schattenhaft, quasi flüsternd – ein Kaleidoskop von Erinnerungen, kryptischen Äußerungen, von Kontakten zu verschwörerischen Kreisen und Gruppierungen, auch der Erörterung künftiger Positionen. Es gibt die sinistre Rolle des Gutsnachbarn und SS-Generals Ludolf von Alvensleben, der, vielleicht, den Stein ins Rollen gebracht hat, der ihn das Leben kostete. Was Wentzel – ein bodenständiger Charakter, ein Bürger, ein Praktiker – hinterlassen hat, ist das Beispiel: eine Geschichte, so Mettenheims Resümee, „von Verantwortung und Selbstachtung, von Überzeugung und moralischer Stärke“. Anspielend auf die zur Gedankenwelt Stauffenbergs gehörende Rede vom „heimlichen Deutschland“, erkennt der Autor ihm das hohe Prädikat zu, „Teil eines in einem ganz profanen Sinn ‚geheimen‘ Deutschlands“ gewesen zu sein.

Verkörperung deutscher Geschichte

Es gehört zu den Stärken des Buches, dass es das Bild dieses Mannes nicht zuletzt auch aus dem Kontext von Zeitgenossenschaft und regionaler Geschichte gewinnt. Mettenheim sieht in ihm die Verkörperung einer sehr deutschen Geschichte, geprägt erst durch den säkularen Umbruch, der mit der Gründerzeit beginnt, in seiner zweiten Lebenshälfte dann Zeuge einer Zeit voller Konvulsionen, zu deren Charakterisierung er den Begriff des „zweiten Dreißigjährigen Kriegs“ (Arno Mayer) benutzt. Vor allem begreift er ihn in Bezug auf den mitteldeutschen Raum, der im öffentlichen Bewusstsein verblasst ist, nicht zuletzt durch die deutsche Teilung, und dessen Aufschwung im 19. und frühen 20. Jahrhundert er eindrucksvoll nachzeichnet. So beglaubigen Geschichte und Region eine Person und ihr Schicksal.

Andreas von Mettenheim: Carl Wentzel Teutschenthal 1876 - 1944. Ein Agrarunternehmer im Widerstand. Lukas Verlag, Berlin 2019. 312 S. m. 50 Abb, 24,90 €.

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