zum Hauptinhalt
Der Ex-Präsident. Nelson Mandela an seinem 91. Geburtstag 2009.

© epa/Themba Hadebe

Literatur: Der Mann und der Mythos

Zwei Biografien suchen die Person Nelson Mandelas zu ergründen – es gelingt nicht wirklich.

Wie übersteht einer 27 Jahre Haft, ohne bitter zu werden? Wie kann einer, der mit Mitte 40 ins Gefängnis geht und mit Anfang 70 wieder frei ist, tatkräftig bleiben und dem sich endlich bietenden Leben noch Perspektiven abringen? Wie ist eine so lange Haft zu ertragen, ohne geistig und körperlich zu vertrocknen?

Die „erste umfassend recherchierte Biographie in deutscher Sprache“, wie der Beck-Verlag die Lebensbeschreibung Nelson Mandelas ankündigt, stellt diese Fragen nicht. Als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, ein Drittel seines Lebens hinter Gittern zu verbringen, hakt Stephan Bierling die Lebensdaten ab, ohne sich dem Menschen und seiner Seele zu nähern. So entsteht eine papieren wirkende Lebensbeschreibung.

Das eigentliche Ereignis dieses Jubiläumsjahrs, in dem Mandela 100 Jahre alt geworden wäre, werden ohnehin die „Briefe aus dem Gefängnis“ sein, eine umfangreiche Edition mit rund 250 Briefen, die weltweit publiziert wird (Nelson Mandela: Briefe aus dem Gefängnis. Herausgegeben von Sahm Venter. Aus dem Englischen von Anna und Wolf Leube. Verlag C.H. Beck, erscheint am 18. Juli).

Nie verlor er seine Würde und Siegesgewissheit

Zunächst müssen wir vorliebnehmen mit zwei Biografien. Die eine von Stephan Bierling über „Rebell, Häftling, Präsident“, so der Untertitel; die andere aus dem vergangenen Jahr über „Die Präsidentenjahre“, verfasst vom afrikanischen Schriftsteller Mandla Langa.

Stephan Bierling: Nelson Mandela. Rebell.Häftling.Präsident
Stephan Bierling: Nelson Mandela. Rebell.Häftling.Präsident

© C.H. Beck Verlag

Stephan Bierling, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Regensburg, betont vorab, dass er keine hagiografische Lebensbeschreibung vorlegen wolle. Erfüllt er diesen Vorsatz?

„Selbst in den dunkelsten Tagen seines Lebens verlor er nie seine Würde und seine Siegesgewissheit“, behauptet er. Von „titanenhafter Versöhnungspolitik“ spricht er; unschlagbar eiserne Solidarität im Gefängnis nimmt er als gegeben an. Das Dasein im Gefängnis wird als Bildungsaufenthalt beschrieben, als Erholung der Häftlinge von den Kämpfen draußen, ja, als „die beste Zeit ihres Lebens“. Eitel Sonnenschein offenbar.

Und Mandela selbst reifte in diesen beinahe drei Jahrzehnten zum weisen Politiker, glaubt man den Worten seines Biografen: „Trotz oder vielleicht wegen aller Härten und Streitigkeiten entwickelte sich Mandela im Gefängnis zu einem wahren Führer. Hätte die Regierung ihn gleich nach seiner Inhaftierung 1962 hingerichtet, wäre er als Märtyrer des schwarzen Widerstands und eine der zentralen Figuren des bewaffneten Kampfs gegen das Apartheidregime gestorben. Aber er wäre auch als militant, ungeduldig und hochmütig, als naiver und letztlich gescheiterter Revolutionär in Erinnerung geblieben. Das gute Vierteljahrhundert im Gefängnis verwandelte Mandela. Der Mann, der 1990 freikam, zeigte Größe, Menschlichkeit, Wärme, Nachsicht und Humor.“

Die andere Darstellung der Präsidentenjahre ist der zweite Teil von Mandelas Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ von 2006. Der afrikanische Schriftsteller Mandla Langa hat sich Fragmente Mandelas vorgenommen und sie mit Zitaten aus Tagebüchern, Briefen und Reden sowie biografischen Details ergänzt. So ist ein Text in der dritten Person entstanden, der mit der Witwe Graca Machel sowie der Mandela Foundation abgestimmt ist. „Autorisierte Biografie“ nennt sich dieses Buch nun, dessen Wert in den vielen Originaltönen Mandelas liegt.

Mandela war ein frühreifer Redner, früh schon ein Charismatiker, ein Anführertyp, einer, der die Marschrouten vorgab. Er stammte aus einem privilegierten Elternhaus, wurde Rechtsanwalt und betrieb in den 1950er Jahren die „erste schwarze Gemeinschaftskanzlei Südafrikas“. Er machte sich zudem frühzeitig einen Namen als Politiker.

Die "Release Mandela-Kampagne machte ihn ab 1980 zum Mythos

Im März 1961 hält Mandela seine letzte öffentliche Rede, danach ist er beinahe dreißig Jahre aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden. Die weltweite „Release Mandela“-Kampagne ab1980 macht den inhaftierten Mandela zum Mythos und führt zehn Jahre später zu seiner Freilassung.

Bierling erwähnt durchaus manche Schattenseiten der Lichtgestalt. Ein Familienmensch war Mandela nicht, von häuslicher Gewalt in seiner ersten Ehe ist die Rede. „Ungereimtheiten seiner außenpolitischen Ansichten“ werden angedeutet, auch, dass er „bisweilen zu autoritärem Verhalten“ neigte, wird erwähnt. Mandelas Charisma überstrahlt das meiste.

Doch das „zentrale Anliegen dieses Buchs“, nämlich „den Mann aus Fleisch und Blut herauszuarbeiten“, hat der Verfasser nur ansatzweise erfüllt. Wir vernehmen nur wenige Originaltöne, wir erhalten zu wenig einfühlsame Annäherungen an die Ikone.

Erschütternd zu lesen ist dann bei Bierling das Ende, wenn er Schlaglichter wirft auf die letzten Jahre des greisen, todkranken, ohnmächtigen Mandela sowie schließlich auf dessen Nachwirkung. Wie die Menschen sich da um das Erbe keilen, das geistige wie das materielle; wie kleine Lichter im Schatten eines Heiligenscheins leuchten wollen; wie sich Neid, Missgunst und Habgier über Moral und Philanthropie erheben – all das zeigt die ganze Tragik der Menschheit. In einem Eintrag auf Twitter beispielsweise heißt es 2013, sieben Monate vor dem Tod Mandelas: „Nach allem, was dieser Mann für uns getan hat, behandeln wir ihn wie ein Tier im Zoo. Schande über uns.“

Stephan Bierling:  Nelson Mandela. Rebell, Häftling, Präsident. Verlag C.H. Beck, München 2018. 416 S. m. einer Karte u. 21 Abb., 24,95 €.

Nelson Mandela und Mandla Langa: Dare not linger. Wage nicht zu zögern. Die Präsidentenjahre. Autorisierte Biografie. Aus dem Englischen von K. Harlaß, S. Held und J. Pinnow. Lübbe Verlag, Köln 2017, 512 S, 26 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false