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Der Holocaust in Einzeldarstellungen: Zuletzt die Berliner Juden

Deutsches Reich und "Reichsprotektorat" 1941–43.

Band 6 ist der 13. von geplanten 16 Bänden der Dokumentenedition „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933– 1945“. Er kommt etwas verspätet, weil die Bearbeiterin Susanne Heim zugleich die Gesamtreihe betreut und immer nur stückweise an ihrem eigenen Band arbeiten konnte. Aber wenngleich die Reihe chronologisch und geografisch geordnet ist, um das ganze Ausmaß des Holocaust zu erfassen, spielt die exakte Bandfolge doch keine Rolle. Durch das Editionsprinzip, Quellen unterschiedlichster Art, von Behördenschreiben bis zu in höchster Not weggeworfenen Notizen Deportierter, nach ihrem Entstehungsdatum heranzuziehen und Täter und Opfer zu Wort kommen zu lassen, ergibt sich ein Kaleidoskop der Realität des Judenmordes, wie es summarische Darstellungen gerade nicht vorweisen können. Der Leser erlebt den Horror unmittelbar. Schon in ihrer jeweiligen Sprache, ihren Formulierungen, ihrem geradezu hörbaren Tonfall legen die Dokumente die furchtbare Diskrepanz von Tätern und Opfern bloß.

Protokoll der Wannseekonferenz

Unter den 329 Dokumenten, die die bei der Edition üblichen knapp 900 Seiten des Bandes füllen, findet sich auch das historisch bedeutendste: das Protokoll der Wannseekonferenz vom Januar 1942. Es ist vielfach publiziert, durfte aber gerade in seinem bürokratischen Ton nicht fehlen. Wenig bekannt ist ein Schreiben aus dem Auswärtige Amt vom 10. Februar 1942, in dem die Aufgabe des – ohnehin fantastischen – Madagaskar-Plans zur Deportation der Juden Europas mitgeteilt wird: „Der Krieg gegen die Sowjetunion hat inzwischen die Möglichkeit gegeben, andere Territorien für die Endlösung zur Verfügung zu stellen. Demgemäß hat der Führer entschieden, dass die Juden nicht nach Madagaskar, sondern nach dem Osten abgeschoben werden sollen.“ Was bedeutete, dass an die Stelle der bloßen Deportation die planmäßige Ermordung der Juden trat.

Am Ende stand die "Fabrikaktion"

Zeitlich setzt der Band mit den ersten Deportationen der verbliebenen Juden aus dem Deutschen Reich im Oktober 1941 ein, entsprechend endet er mit der „Fabrikaktion“ am 27. Februar 1943, bei der allein in Berlin 11 000 zur Zwangsarbeit verpflichtete Juden direkt in den Betrieben verhaftet und unter anderem von der Synagoge Levetzowstraße aus deportiert wurden. Mehr und mehr sickerten Gerüchte und auch Nachrichten über das tatsächliche Schicksal der Deportierten durch. „Das rege Interesse, auf das die Versteigerung der Habe von deportierten Juden bei ihren nichtjüdischen ehemaligen Nachbarn stieß, macht deutlich, dass niemand mit der Rückkehr der Juden rechnete“, heißt es lapidar in der wie in allen Bänden vorzüglichen, hier gut 70-seitigen Einleitung, die den historischen Kontext für die Dokumente herstellt. Ja, man hat gewusst, was geschah.

Susanne Heim unter Mitarbeit von Maria Wilke: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren Oktober 1941 – März 1943. VEJ, Bd. 6. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2019. 890 S., 59,95 €.

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