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In der ersten Reihe. Speer und Hitler 1943 auf dem Titel der Zeitschrift der „Organisation Todt“. Speer nutzte das Blatt gezielt zur Propaganda in eigener Sache.

©  Siedler Verlag

Albert Speer als Rüstungsminister: Hitlers todbringender Technokrat

Albert Speer diente dem NS-Regime auch als Rüstungsminister. Wie willig und grausam er das tat, zeichnet der Historiker Magnus Brechtken in einer monumentalen Studie nach.

Der Zeitzeuge ist der Feind des Historikers, lautet ein beliebtes Bonmot. Wenn es in exemplarischer Weise zutrifft, dann auf Albert Speer (1905–1981). Was der Baumeister Hitlers, vor allem aber Rüstungsminister in der Endphase des „Dritten Reiches“, nach dem Krieg und der Verbüßung seiner 20-jährigen Kriegsverbrecher-Haft der Öffentlichkeit erzählte, war ein systematisch errichtetes Lügengespinst. Heinrich Breloer hat dieses Gespinst 2005 mit seiner Fernsehserie plus Buch vor aller Augen zerrissen. Seither hat sich auch ein in die Jahre gekommenes Publikum, das sich gern an Speers „Erinnerungen“ von 1969 hielt, daran gewöhnen müssen, dass Speer aufs Engste in die Verbrechen des NS-Regimes eingebunden war.

Wie genau eingebunden, das trat als Frage, die vorher keiner stellen wollte, hervor. Der Historiker Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, hat in jahrelangem Archivstudium erschöpfend Antwort gefunden – und mit Erstaunen feststellen müssen, dass die Quellen, die Speers Täterschaften belegen, großenteils seit Jahrzehnten zugänglich waren, nur von den Biografen Speers nie konsultiert wurden. An den Lebensbildern von Gitta Sereny (1995) und vor allem Joachim Fest (1999) lässt Brechtken denn auch kein gutes Haar.

Speer wusste sich zu inszenieren

Als Ergebnis legt er selbst die voluminöse Darstellung „Albert Speer. Eine deutsche Karriere“ vor, die auf 600 Textseiten zum einen Speers Karriere im NS-Regime, zum anderen seine zweite Karriere in der Nachkriegszeit minutiös verfolgt. 250 eng bedruckte Seiten Anmerkungen (!) belegen Brechtkens Anspruch, nach Jahrzehnten ungeprüfter Erzählungen endlich die Quellen und Dokumente sprechen zu lassen.

Erhellend ist, wie sehr sich Speer auf seine Selbstdarstellung verstand. So beschreibt Brechtken die Inszenierung einer Rüstungstagung in Linz im Juni 1944, wo er sich mit jungen Frauen bei Kaffee und Kuchen fotografieren lässt und für die „Wehrwirtschaftsführer“ ein Bruckner-Konzert organisiert. Er „kombinierte dies mit Besuchen bei den Reichswerken Hermann Göring in Linz und dem Konzentrationslager Mauthausen“.

Er war dabei, als die Judenvernichtung angekündigt wurde

Speers Besuche in KZs sind aktenkundig, jedoch gibt es „fast keine Fotos“, wie Brechtken feststellen muss. Ein anderer Besuch allerdings ist durchaus bekannt – der der Raketenproduktionsstätten im Harz, „für die gerade mehr als zehntausend Sklaven die Produktionsstätten in den Kohnstein trieben“. Am 10. Dezember 1943 besichtigte Speer das unterirdische Werk Mittelbau-Dora. Hinterher sprach er von einer „Fabrik“, die „ihresgleichen in Europa“ suche. Als ihm Wochen später der zuständige Mediziner – so zitiert ihn Brechtken – „die Gesundheitslage im Mittelwerk in schwärzesten Farben“ schildert, zeigt sich Speer „einverstanden, dass die notwendigen ärztlichen Maßnahmen nachgeholt werden, damit der Krankenstand im Werk herabgedrückt werde“. Man erahnt den Horror der von der SS betriebenen „Vernichtung durch Arbeit“. Jahrzehnte später, 1978, wird Speer von Carl Améry, der als Häftling im Werk Dora schuften musste, damit konfrontiert, „dass wir dann nach der Evakuierung von Dora über die Leichenberge von Kameraden steigen mussten. Er (...) musste doch von diesen Skeletten zumindest gehört haben. Ist ihm denn damals nicht ein Licht aufgegangen!“

Doch, das Licht ist ihm bereits 1943 aufgegangen: „Ohne Zweifel war ich dabei, als Himmler am 6. Oktober 1943 ankündigte, dass alle Juden umgebracht würden“, hatte Speer 1971 in einem allerdings erst 35 Jahre später bekannt gewordenen Brief eingeräumt – was er doch zeitlebens öffentlich bestritt.

Er setzte auf Zwangs- und Sklavenarbeiter

Die drei Jahre als Rüstungsminister – er wurde am 8. Februar 1942 von Hitler ernannt – waren die wichtigsten seiner Karriere. Hermann Göring, den formell „zweiten Mann“ des Regimes, drängt er früh beiseite. Mit Fritz Sauckel, dem kurz nach Speers eigener Berufung zum „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ und damit zum Lieferanten für Zwangsarbeiter ernannten Alt-Nazi, kommt er bestens aus. Mit Himmler und Goebbels kooperiert er ebenso reibungslos, und erst zum Schluss, als die beiden zunehmend in die Kriegsführung eingreifen, kommt es zum Tauziehen um den Einsatz von Arbeitskräften: Speer benötigt sie für die Rüstungsproduktion, seine Kontrahenten, die drohende Niederlage vor Augen, wollen alles an die Front werfen.

Speer setzte „weiterhin auf eine möglichst hohe Zahl von Zwangs- und Sklavenarbeitern, die für die Verlängerung ihrer eigenen Leiden zu arbeiten genötigt wurden und oft dabei umkamen“. Von 600 000 KZ-Häftlingen wurden 480 000 im Speer’schen Rüstungsimperium eingesetzt, davon 140 000 in unterirdischen Fabriken wie Mittelbau-Dora.

Speer verkörperte den Nationalsozialismus des Leistungsbürgertums

In der ersten Reihe. Speer und Hitler 1943 auf dem Titel der Zeitschrift der „Organisation Todt“. Speer nutzte das Blatt gezielt zur Propaganda in eigener Sache.
In der ersten Reihe. Speer und Hitler 1943 auf dem Titel der Zeitschrift der „Organisation Todt“. Speer nutzte das Blatt gezielt zur Propaganda in eigener Sache.

©  Siedler Verlag

Aus den Monaten des Zusammenbruchs 1945 erwuchs die von Speer sorgfältig gepflegte Legende, er habe Hitlers sogenannten Nero-Befehl vom 19. März 1945 erfolgreich sabotiert, demzufolge alle Anlagen und Objekte, „die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes (...) nutzbar machen kann“, zu zerstören seien. Ob die Milderungen, die Hitler alsbald vornahm, von Speer erreicht wurden oder ohne ihn zustande kamen, kann freilich auch Brechtken nicht aufklären.

Viel schlimmer als die Zerstörungen, die Wehrmacht und SS gleichwohl vorantrieben, war ohnehin die Verteidigung durch deutsche Soldaten, die so den mörderischen Einsatz der alliierten Feuerkraft bewirkten. „Die Zerstörungen der letzten zwölf Kriegsmonate“ – betont Brechtken – „kamen nicht von überdrehten Fanatikern, die ihre eigenen Fabriken zerstörten, sondern von unermüdlichen Nationalsozialisten wie dem Rüstungsminister Albert Speer und seinem Kollegen für den totalen Kriegseinsatz, Joseph Goebbels, die weiter Waffen produzierten und Menschen für einen aussichtslosen Kampf ausrüsteten, als der Kriegsausgang längst entschieden war.“ In dieser Zeit – dem letzten Amtsjahr Speers nach einer zwischenzeitlichen schweren Erkrankung – kamen 3,82 Millionen Zivilisten ums Leben, mehr als doppelt so viele wie während des gesamten Krieges zuvor.

Von links nach rechts: Rüstungsminister Albert Speer, Hitlers Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz und der Chef des deutschen Generalstabs, Generaloberst Alfred Jodl, beantworten nach ihrer Gefangennahme im Mai 1945 durch die Briten Fragen von Kriegskorrespondenten.
Von links nach rechts: Rüstungsminister Albert Speer, Hitlers Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz und der Chef des deutschen Generalstabs, Generaloberst Alfred Jodl, beantworten nach ihrer Gefangennahme im Mai 1945 durch die Briten Fragen von Kriegskorrespondenten.

© dpa/UPI

Zu Hitlers letztem Geburtstag am 20. April 1945 „reist Speer, wie viele andere Nazi-Größen, zu seinem ,Führer‘. Noch einmal wird das Modell der geplanten Weltstadt Berlin“ – gemeint Welthauptstadt – „aus dem Depot geholt und in der Neuen Reichskanzlei aufgebaut“. So schildert Brechtken die Szene, die Speer selbst erzählt und damit seine Rolle als „eigentlich nur“ Architekt geschickt herausgestellt hatte.

Tatsächlich waren es sein „unermüdlicher Einsatz zur Aufrechterhaltung der Rüstungsproduktion, seine Durchhaltereden und seine Propagandafiktionen von Rüstungsrekorden und Wunderwaffen“, die seine Stellung innerhalb des Regimes ausmachten. Wie sich Speers Selbstdarstellung in scheinbar objektive Tatsachen verwandelte, zeigt ein US-Militärbericht vom September 1945, der „eine dreifache Steigerung der Waffenproduktion (...) unter seiner Leitung“ bewundert. Das ist genau die Richtung, in die Speer bereits im Mai 1945 seine alliierten Vernehmer lenkte: die des Technokraten, mit nichts als Effizienz im Sinn.

Es ist vielleicht der bedeutendste Ertrag des Buches, gegen die Legende vom großartigen Organisator Speer dessen fatale Rolle als Kriegsverlängerer und Mitschuldigen an furchtbaren Verlusten an Leib und Leben, von der materiellen Zerstörung ganz abgesehen, herausgearbeitet zu haben.

Das Buch dekonstruiert auch die Legendenbildung in der BRD

Bleibt die Frage, wie Speer – und wie lange! – das Bild des „verstrickten“ Technokraten bestimmen konnte. „Speer war fast der einzige Repräsentant des Bürgertums in diesem Kreis von Mordgesellen, und das machte ihn schon zu einer exzeptionellen Figur“, hat sein Verleger Wolf Jobst Siedler im Gespräch mit Breloer den Mann beschrieben, dem er – und er ihm – so viel Erfolg und Einkommen verdankte. In dieser Antwort liegt die ganze Exkulpation, diejenige Speers wie diejenige der eigenen sozialen Schicht. Brechtken dazu pointiert: „Speer verkörperte (...) den Nationalsozialismus des deutschen Leistungsbürgertums.“

Und dieses Bürgertum – so der zweite Teil des Buches, eine sorgfältige Dekonstruktion der Legendenbildung in der Bundesrepublik – richtete sich am unpolitischen Techniker Speer auf. Im vergangenen Jahr erst hat die Historikerin Isabell Trommer ein gehaltvolles Buch über „Albert Speer in der Bundesrepublik Deutschland“ vorgelegt. Brechtken zitiert seinerseits ausführlich die Selbstdarstellung wie auch die journalistische Vermarktung des vermeintlich glaubwürdigen NS-Kronzeugen. Die ausführliche Abrechnung mit dem langjährigen Mitherausgeber der „FAZ“ und Hitler-Biografen Joachim Fest, dem Ko-Autor der Speer’schen „Erinnerungen“, verfolgt wohl nur der mit Gewinn, der Fests Texte noch selbst gelesen und dessen grandseigneuralen Habitus vor Augen hat. Brechtkens bisweilen arg moralisierender Enthüllungseifer in Ehren – darüber ist die Zeit denn doch hinweggegangen.

Letzteres darf den Historiker nicht interessieren und noch weniger davon abhalten zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist. Insoweit behält Brechtken das letzte Wort. Mit seinem monumentalen Buch ist Speer, als Person wie als Phänomen, schlussendlich Geschichte geworden.

Magnus Brechtken:  Albert Speer. Eine deutsche Karriere. Siedler Verlag, München 2017. 912 S., 45 Abb., 40 €.

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