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Ahne: Jenes höhere Lesen

Bekenntnisse eines Agnostikers: Lesebühnen-Star Ahne führt absurd-ironische Dialoge mit Gott.

So kann’s kommen: In der Buchhandlung jener überdimensionalen Touristen-Shoppingfalle am Alexanderplatz stand das Buch einst ausgerechnet im Ressort „Esoterik & Anthroposophie“, vielleicht ja sogar gleich neben „Hallo Mr. Gott, hier spricht Anna“ oder Heilsbringer-Bestsellern wie „Ich bin dann mal weg“. Mit etwas Glück hat der eine oder andere Erleuchtungssuchende Ahnes „Zwiegespräche mit Gott“ also kopfschüttelnd gelesen, ist eventuell sogar Fan geworden und wird sich auch von der am Montag erscheinenden Fortsetzung „Neue Zwiegespräche mit Gott“ auf irgendeine Art und Weise erleuchten lassen.

Wieder hat der 41-jährige ehemalige Offsetdrucker und gebürtige Berliner Arne Seidel, der sich als Autor und Lesebühneninterpret seit Mitte der neunziger Jahre „Ahne“ nennt, eine CD zum Buch dazugelegt, auf der er seine kleinen, kruden, philosophisch-anarchistischen Dialog-Preziosen selbst liest, beide Rollen, Gott und Ahne, im regional stark eingefärbten Idiom, das aus dem Wort „sogar“ ein „soja“, aus „eigentlich“ ein „einklich“ und aus „vergiss es“ ein „vajissit“ macht. Ahne und Gott scheinen, wie Radio- Eins-Hörer seit fast drei Jahren auch aus der gleichnamigen Kolumne wissen, eigentlich (oder einklich) ein und dieselbe Person zu sein, männlich, stoisch, Ost-Berlin-stämmig, wohnhaft in der Choriner Straße. Sie streiten sich über das Wetter, Hartz IV und die Neue von Boris Becker und sind Meister im Durch-die-Themen-Mäandern: Problemlos fangen sie beim „Klawierstümma“ an, und landen über den Verdienst einer Kaufhallenverkäuferin bei der Frage, zu welchem Zahnarzt Gott eigentlich geht.

„Nach der Hälfte des Textes ergibt sich meistens erst, worum es geht“, erklärt Ahne dazu, der zwar auch in Wirklichkeit berlinert, aber doch nicht ganz so markig wie seine Kunstfigur. Gott hat er aus nichtreligiösen Gründen als Diskussionspartner gewählt: „Ich habe kein Verhältnis zu Gott“, sagt er, denn wie es in Ostdeutschland Usus war, ist er ohne Religion und ohne Esoterik aufgewachsen – vielleicht der beste Ansatz, sich einem Glauben zu nähern. „Ich habe auch keinen Hass auf Religionen, so wie viele, die zum Beispiel extrem katholisch erzogen worden sind“, erzählt er, und findet amüsant, dass ihn gläubige Leser immer wieder fragen, ob er selbst an Gott glaube, und dass er jetzt sogar in einer Missionsbuchhandlung lesen werde.

Den Anfragen nach Lesungen in Kirchen oder Moscheen hat er allerdings abgesagt. Natürlich gab und gibt es auch immer Menschen, die in Sachen Glauben keinen Spaß verstehen, schon gar nicht merkwürdigen Hintenrum-Spaß, dessen Gags nicht nach bekanntem und beglaubigtem Witzmuster mit Punchline enden, sondern manchmal auch leise und bewusst wirr verpuffen. Bei der Buchmesse in Leipzig vor zwei Jahren haben sich die Zeugen Jehovas sogar über Ahnes Buchtitel beschwert und seinen kleinen Dresdner Verlag aufgefordert, die Bücher aus dem Regal zu nehmen. Glücklicherweise erfolglos. „Ich hatte einfach nur die Idee, eine höhere Ebene mit in das Zwiegespräch hineinzunehmen, und Gott ist ja immer noch relativ wichtig in der Welt“, erklärt Ahne, und seine bedächtig-berlinerische Sprechweise umschmiegt den Satz wie von selbst mit Ironie. Er ist, wenn man die Aussagen in seinem Buch ernst nimmt, Agnostiker, nicht Atheist – kann er ja auch schwerlich sein, sonst hätte das eine seiner beiden Alter Egos „A.“ niemanden zum Reden.

Hinter all den satirisch verfärbten Nonsensgesprächen, dem vielen „Weeßte, wat ma uffregt?“, dem typischen Berliner Streit-Gebell stecken hintergründige Beobachtungen und vor allem Kritik. Seine Zwiegespräche haben die charmante Schnodderigkeit vom Kneipenschwätzer Dittsche, die perfide Genauigkeit vom Beschwerer Tegtmeier und die eigenwillige Proletarier-Schnauze vom momentan erfolgreichsten Berlinexport Kurt Krömer. Dazu kommt aber noch eine angenehme und coole Ignoranz gegenüber dem Format, das Ahne bearbeitet. Die Zwiegespräche sind weder gleich lang, noch laufen sie – bis auf die ähnlichen Anfangs- und Schlussfloskeln – gleich ab, stattdessen entdeckt man immer wieder neue, absurde Seiten am Gesprächspartner A. und seinem Kumpel Gott, mit dem er „ma uff’n Sprung rausjehn“ will, und den er auch schon mal ermahnt, sich endlich um den Nahostkonflikt zu kümmern.

„In fast allen steckt etwas Ernstes drin“, sagt Ahne. „Ein rein lustiger Text ist mir lange nicht mehr gelungen.“ Aber begrenzt und absurd Ernstes wie zum Beispiel das Gespräch über das Verbot von bestimmter Markenkleidung für Zivilpolizisten, das sich über Thor Steinar bis zur Naziproblemlösung aufspult, oder die Gründung der Partei „Die Blauen“, die kurze Zeit später in „Die Karierten“ umbenannt wird. Knappe Texte mit noch knapperen Wendungen sind ohnehin seine Kragenweite: Ahne, der außer den Zwiegesprächen bereits zwei Bücher mit Kurzgeschichten veröffentlicht hat, sorgt zusammen mit Jakob Hein, Falko Hennig und anderen Konsorten seit fast 15 Jahren für Qualität auf verschiedenen Berliner Lesebühnen.

Das Bühnenlesen, das sich oft um aktuelle, vorbestimmte Inhalte dreht, ist dabei ein wichtiger Antrieb. „Ich bin manchmal ganz froh, wenn mir ein Thema vorgegeben wird.“ Im Gegensatz zum landläufigen Verständnis des Prinzips „Bühne“ erlebt der ehemalige Hausbesetzer, der mit seiner Freundin zusammen drei Kinder zwischen drei und 14 Jahren selbstredend weitgehend religions-und dogmafrei erzieht, das Lesen vor Publikum zudem eher als Bodenhaftung. „Lesebühnen erden einen“, erklärt Ahne, denn nie würde man ansonsten so schnelle und ehrliche Reaktionen auf Texte erfahren. Ob Ahnes Dialektgeballer auch auf Hochdeutsch funktioniert, stellt sich bald heraus: Auf Wunsch des Verlegers wird er demnächst ein Gespräch übersetzen. Für all die vielen Agnostiker in Westdeutschland.

Ahne: „Neue Zwiegespräche mit Gott“, Voland & Quais, Buch mit MP3-CD, Spielzeit: 120 Min, 128 S., 14,90 €. Ahne live: Jeden Sonntag, 20.15 Uhr, Reformbühne Heim & Welt, Kaffee Burger (Torstr. 60); 15.8., 20 Uhr, Kantinenlesen, Alte Kantine (Kulturbrauerei, Knaackstr. 97); 20.08., 20 Uhr, Die Brauseboys, La Luz (Oudenarder Str. 16). Und jeden Sonntag 16-18 Uhr in der Show Royale auf Radio Eins.

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