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Afirkanische Migranten: Barcelona oder der Tod

Flucht ins Paradies? Das Literaturfestival Berlin diskutiert über afrikanische Migranten.

„Und wer hat heute auf dem Ku’damm den Marathon gewonnen? Die Afrikaner! Die Europäer sind nämlich zu dick und belegen höchstens die hinteren Plätze.“ Ganz so ernst wird es Azouz Begag, der ehemalige französische Minister für Chancengleichheit, nicht gemeint haben. Doch als streitbarer Geist hat sich der Sohn algerischer Gastarbeiter auch im Clinch mit Nicolas Sarkozy bewiesen, als dieser ihn, noch als Innenminister, rüde einen „dreckigen Vollidioten“ nannte. Dass Europa vielleicht mehr von Afrika profitieren könnte als die Afrikaner von der humanitären Hilfe, mit der man sich die ungeliebten Gäste vom Leibe halten will, war eine der Botschaften, die eine im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals angesetzte Diskussionsveranstaltung zur europäischen Einwanderungspolitik bereit hielt.

10 000 afrikanische Flüchtlinge sind nach Schätzungen der EU-Kommission vergangenes Jahr in den Festungsgräben Europas gestrandet, und Begag wurde nicht müde, den Europäern mit weiteren 300 Millionen künftigen Klimaopfern zu drohen. Da ist die Angst gewaltig, von dieser „Flut“ überrollt zu werden, und die Versuchung groß, mit dieser Furcht Politik zu machen und Menschen, die um ihr Überleben kämpfen, als Kriminelle abzustempeln und sie möglichst schon vor den Toren Europas abzufangen.

Sie habe, erzählte die seit 1994 in Frankreich lebende Schriftstellerin Fatou Diome, die bei Diogenes im letzten Jahr ihren zweiten Roman „Ketala“ veröffentlichte, sowohl in ihrer früheren Heimat als auch später in Straßburg ihren Lebensunterhalt als Putzfrau verdient. Doch was sie im Senegal eher als selbstverständlich empfunden habe, sei in Frankreich entwürdigend gewesen. Ähnliches berichtete die in der „Flüchtlingshilfe Brandenburg“ engagierte Elisabeth Hack, die ihren Beruf als Krankenschwester nicht ausüben darf. Die EU verfolgt dabei eine zwiespältige politische Taktik, denn einerseits zielt das Migrationsmanagement des derzeitigen Ratspräsidenten Sarkozy darauf ab, gut ausgebildete Fachkräfte vom schwarzen Kontinent abzuziehen, gleichzeitig verwehrt man den Einwanderungswilligen in Europa eine würdige Existenz.

Doch wollen die Einwanderer überhaupt in Europa bleiben oder sich nur die Mittel verdienen, um in ihrer Heimat eine neue Existenz aufzubauen? Darüber schien sich das verwirrt auf mehreren Übersetzungskanälen rudernde Podium so wenig einig werden zu können wie über eine nachhaltige Hilfsstrategie: Ein „Marshall-Plan für Afrika“ oder lieber die Ausweitung der Genfer Menschenrechtskonvention auf Wirtschaftsflüchtlinge, wie der spanische UN-Übersetzer Gonzalez Fernandez Parilla forderte?

Die Motive, die Menschen aus Afrika nach Europa trieben, gab Diome dagegen zu bedenken, seien unterschiedlich, und die Parole „Barcelona oder der Tod“ gelte nicht für alle gleich. Nachdrücklicher als Begag ging sie mit den Landsleuten ihres Kontinents zu Gericht: „So lange sie ihre Kolonialgeschichte nicht überwinden und glauben, in Europa das Paradies oder ihre geraubte Vergangenheit zu finden, sind sie nicht frei, sondern werden den Europäern ewig hinterherlaufen.“ Dabei sind die Afrikaner – zumindest im Marathon – den Europäern doch längst davongelaufen.

Der Afrika-Schwerpunkt des Literaturfestivals wird heute um 19.30 Uhr in der Heinrich-Böll-Stiftung mit einer Diskussion über die soziale Verantwortung des Schriftstellers fortgesetzt. Teilnehmer u.a.: Nuruddin Farah, Susan Kiguli, Boualem Sansal. Weitere Informationen unter www.literaturfestival.com

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