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1945 kämpfte sich die Rote Armee auf Berlin vor: Der Sieg hatte einen hohen Preis

Peter Lieb schildert die Schlacht um Berlin.

Der Schlacht um Berlin 1945 wurden bereits umfangreiche Werke gewidmet. Nicht zuletzt gelang dem britischen Militärhistoriker Antony Beevor mit „Das Ende“ 2005 ein Bestseller. Nun legt Peter Lieb einen kompakten Band vor, als Teil der Reihe „Kriege der Moderne“, herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Dort forscht der langjährige Dozent an der Militärakademie Sandhurst seit 2015 unter anderem zur Strategie, Operationsgeschichte und Besatzungspolitik im Ersten und Zweiten Weltkrieg.

Lieb hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht mit überaus erhellenden Darstellungen zu beinahe allen bedeutenden Kriegsschauplätzen in Europa zwischen 1939 und 1945: ob zum Wüstenkrieg in Nordafrika, zur Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich, zur Invasion in der Normandie und zur Befreiung Westeuropas oder zum deutschen Krieg im Osten – stets gelang es Lieb, mit Mythen und irrigen Wahrnehmungen aufzuräumen.

Zusammenbruch der Wehrmacht

Der Schlacht um Berlin nähert sich Lieb, indem er zunächst die militärische und politische Lage zur Jahreswende 1944/45 beleuchtet. Er porträtiert die Kontrahenten: Wehrmacht, Waffen-SS, Volkssturm auf der einen Seite, die Rote Armee auf der anderen. Er schildert den militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches infolge des sowjetischen Durchbruchs an der Weichsel im Januar 1945 und des Vormarschs der Westalliierten im Frühjahr. Es folgen detaillierte und überaus anschauliche Beschreibungen der gnadenlosen Kämpfe in Berlin nach dem Sieg der Sowjets an den Seelower Höhen quasi vor den Toren der Reichshauptstadt. Und nicht zuletzt thematisiert Lieb die Verbrechen auf beiden Seiten, ohne dabei zu relativieren: die deutschen Verbrechen in der noch einmal radikalisierten Endphase des Krieges, auch an den eigenen „Volksgenossen“, die sowjetischen Verbrechen, Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung und auch den alliierten Luftkrieg mit seinen Flächenbombardements der Städte.

Der Ruhrkessel platzt

Einmal mehr ist es die Stärke von Lieb, nicht nur kühl und nüchtern die einzelnen Entwicklungen und ihre Hintergründe zu beschreiben, sondern auch im kollektiven Gedächtnis kaum präsente Sachverhalte in Erinnerung zu rufen. So wirkt es heute zwingend, dass die Rote Armee 1945 Berlin eroberte. Doch damals war es das keinesfalls. Denn nach der Einkesselung großer Teile des deutschen Westheeres im Ruhrgebiet eröffnete sich den Westalliierten im April eine ganz neue Perspektive, wie Lieb betont: „Die Reichshauptstadt Berlin schien zum Greifen nahe.“

Der postheroische Westen

Am 13. April gelang es den Amerikanern, südlich von Magdeburg einen Brückenkopf über die Elbe zu bilden. Damit waren sie – wie die Sowjets zu dieser Zeit an der Oder – nur noch achtzig Kilometer von Berlin entfernt. Und im Gegensatz zur Ostfront bestand die Westfront lediglich aus schwachen deutschen Verbänden. Dennoch rechneten die Westalliierten bei einer Eroberung mit Verlusten von rund hunderttausend Soldaten – ein Preis, den Stalin zu zahlen bereit war, die demokratischen Gesellschaften des Westens eher nicht. Damit wird in Liebs brillanter Darstellung bereits in der Endphase des Zweiten Weltkriegs eine Eigenschaft der westlichen Demokratien sichtbar, die heute irrtümlich für etwas Neues gehalten wird: der Postheroismus.
Peter Lieb: Die Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2020. 160 S. m. 67 Abb. und 10 Karten, 14,95 €.

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