zum Hauptinhalt
Aufbruch. Mit diesem Plakat, gestaltet vom Mitglied der „Novembergruppe“ César Klein, wurde zur Wahl der Nationalversammlung am 19. Januar 1919 aufgerufen. Foto: akg-images / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

© akg-images

100 Jahre Weimarer Republik - Bücher zum Jubiläum: Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt

Auch ihr Charakterbild schwankt in der Geschichte: Dabei waren die Republik und ihre Verfassung wehrhafter, als ihnen meist nachgesagt wird.

Das Selbstverständnis der „alten“ Bundesrepublik speiste sich aus der immer wieder beschworenen, nie so ganz selbstverständlichen Gewissheit „Bonn ist nicht Weimar“. So jedenfalls lautete der griffige Titel eines Buches, das 1956 erschien; nah genug an den Verwerfungen der deutschen Geschichte, um die Zuversicht einer Aufbauzeit auszustrahlen. Das auch später gern bemühte Gespenst einer bloß negativ erinnerten Weimarer Vergangenheit tauchte in der Bonner Gegenwart nicht wirklich auf; um wie viel weniger im wiedervereinten Deutschland, das sich nicht mehr, wie der Bonner Teilstaat, als Gegenentwurf zum Deutschen Reich Weimarer Zuschnitts verstehen musste.

In diesem Jahr 2019 steht der 100. Geburtstag der Weimarer Republik an, die sich in bemerkenswert kurzer Zeit konstituierte. Auf die Wahl zur Nationalversammlung vom 19. Januar 1919 und deren Zusammentritt am 6. Februar in ebender Klassikerstadt, die dem dort geformten Staat den inoffiziellen Namen geben sollte, folgte ungeachtet der heftigen Konflikte, denen die Republik ausgesetzt war, die Unterzeichnung ihrer Verfassung am 11. August und im Monat darauf die Verlegung der Nationalversammlung in die Reichshauptstadt Berlin. Doch die Konflikte setzen sich fort, eskalieren im Frühjahr 1920 nochmals gewaltig, und auch danach kann von dauerhafter Normalität kaum gesprochen werden.

Von "Scheitern" wird nicht mehr gesprochen

In der Rückschau konnte die Weimarer Republik kaum anders denn als gescheiterter Versuch bewertet werden. Darüber ist die zeithistorische Forschung zum Glück längst hinaus; die immer weiter aufgefächerte Feinanalyse hat neben dem schon immer als Anstoß des flirrenden Begriffs der „Goldenen Zwanzigerjahre“ bewunderten Kulturleben viele weitere Aspekte herausgearbeitet, die ein positives, zumindest differenziertes Urteil über die Republik ermöglichen.

Angesichts der erheblichen Forschungsleistungen der zurückliegenden Jahrzehnte verwundert nicht, dass das runde Jubiläum keine neue Buchschwemme zeitigt. Es ist sicher nicht alles gesagt, das ist es angesichts unablässig sich wandelnder Fragestellungen nie; aber es ist eben doch schon so viel gesagt und geschrieben worden, dass 2019 kein neues Bild der Weimarer Republik aufzurichten ist. Und schon gar kein kohärentes: „Eine Integration der verschiedenen Forschungsansätze zu einer neuen Gesamtdarstellung ist nicht in Sicht“, hat unlängst die Historikerin Ursula Bittner in einem Aufsatz festgestellt, die selbst im entsprechenden Band des „Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte“ von 2010 einen gültigen Überblick gegeben hat.

In der Tat birgt die Geschichte der Weimarer Republik Anlass und Begründung genug für konkurrierende Interpretationen. Nachdem in den problemärmeren Anfangsjahren der deutschen Wiedervereinigung das „Versagen“ von Weimar einer milderen Betrachtung gewichen war, hat vor knapp zwei Jahren der junge Historiker Mark Jones seine Untersuchung „Am Anfang war Gewalt“ vorgelegt, die sich vorrangig mit der Revolution befasst, aber dabei zu grundsätzlichen Einsichten vordringt. Jones fasst sie mit den Worten zusammen, „dass die Auswüchse mörderischer Gewalt, die die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert prägten“, ihre „Geburtsstunde schon in der Gründungsphase der Weimarer Republik“ erlebten. „Hier schwenkte Deutschland auf den Kurs ein, der später in die Horror-Exzesse des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs mündete (...).“

Gewalt prägte den Beginn der Republik

Nun soll man Sätze aus einer resümierenden Einleitung nicht auf die Goldwaage legen, aber die Tendenz ist deutlich, und Jones’ Belege aus den gewaltsamen Jahren 1918/19 sind es auch. Nur darf man die Republik nicht auf ihre Sturzgeburt reduzieren. Insofern hat die Jubiläumsperspektive des Jahreswechsels 2018/19, die naturgemäß Kriegsende, Revolution und Friedensverträge in den Fokus rückt (vgl. Politische Literatur v. 31. 10. 2018), ihre Tücken. Der weitere Geschichtsverlauf lässt sich, abgesehen vielleicht von der Hyperinflation 1923, nicht so leicht auf singuläre Ereignisse verdichten.

Erhebliche Forschungsleistungen

Was das Ganze der Weimarer Republik angeht, ist eben schon viel geschrieben worden. Es verwundert daher nicht, dass der Buchmarkt gleich drei Neuauflagen verdienstvoller Gesamtdarstellungen verzeichnet: von Hans Mommsen, dem verstorbenen Bochumer Historiker, „Die verspielte Freiheit. Aufstieg und Untergang der Weimarer Republik“ in einer von Detlev Lehnert bearbeiteten Fassung der Erstausgabe von 1989; dann von Heinrich August Winkler, dem 1938 geborenen Berliner Historiker, „Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie“, vom Autor mit dem Hinweis versehen, an seiner Sicht auf das Weimar des Jahres 1992 habe sich „seit der ersten Veröffentlichung dieses Bandes nichts geändert“; und von Horst Möller die stark erweiterte Neuausgabe von „Die Weimarer Republik. Demokratie in der Krise“, ursprünglich 1985 und seither immer wieder aktualisiert.

Wenn Ursula Büttner in ihrem zitierten Aufsatz vom vergangenen April unter Verweis auf die mittlerweile erkannten „Leistungen der Weimarer Demokratie“ darauf beharrt, „desto brisanter“ werde „erneut die Frage, warum sie dennoch nach 14 Jahren unterging“, so ist damit das Erkenntnisinteresse benannt, das seit 1945 die Forschung und eher noch die Publizistik leitet. Der 27-jährige FU-Assistent Winkler hat es bereits 1966 so formuliert: „Welche gesellschaftlichen Veränderungen wären notwendig und auch möglich gewesen, wenn man die junge Republik von Weimar von Anbeginn wirksam gegen ihre Feinde sichern wollte?“ Darauf eine Antwort zu finden, scheint angesichts der unaufhörlich zunehmenden Fülle von Einzelerkenntnissen immer weniger möglich zu sein. Denn die ruckartig verlaufene Errichtung der Republik folgte eben keinem Bauplan, noch weniger als ihre jahrelange Agonie, die sich wenigstens in der Rückschau als folgerichtig beschreiben lässt, auch wenn sie den Zeitgenossen alles andere als unausweichlich erschien.

Die Sicht der "Großhistoriker"

Mit Mommsen, Winkler und Möller sind drei Großhistoriker benannt, sozialisiert tief in der alten Bundesrepublik, deren Perspektive die der endlich in den Strom der westlichen Demokratien eingemündeten Nachkriegsdemokratie ist. Ihr gegenüber muss Weimar notwendig defizitär bleiben. Die Politikgeschichte, die die drei Autoren in all ihren Verästelungen darstellen, ist gewiss voller Fehler und Irrtümer, birgt aber ebenso eine Fülle geglückter Handlungen wie etwa die – aus der Perspektive von 1919 noch undenkbare – Annäherung an Frankreich, überhaupt der Ausbruch aus der außenpolitischen Isolierung. Dass die Republik ab 1930 mit den Präsidialkabinetten weniger zugrunde geht denn aktiv zugrunde gerichtet wird, steht dazu nicht im Widerspruch; beides gehört zum Gesamtbild.

Lange Zeit galt die Weimarer Verfassung als Ursache der politischen Übel. Zum Republik-Jubiläum sind nun gleich zwei Studien erschienen, die die Verfassung nicht länger vom berüchtigten Artikel 48 her beurteilen, sondern sie von ihrer Genese her würdigen. Der von Horst Dreier und Christian Waldhoff herausgegebene Sammelband macht bereits in seinem Titel, „Das Wagnis der Demokratie“, den Abstand deutlich, den die Nationalversammlung zum untergegangenen Kaiserreich gewinnen wollte. „1919 war die Verfassung Antwort auf das Trauma der Revolutionszeit“, geben Oliver F. R. Haardt und Christopher Clark in ihrem historischen Überblick zu bedenken: „Dass die in dieser Situation geschaffenen Vorschriften später zum Untergang der parlamentarischen Demokratie beitrugen, ist weniger der Verfassung als juristischer Konstruktion und politischem Kompromiss der Gründungszeit zuzuschreiben als vielmehr einer Kombination aus der ideologischen Unversöhnlichkeit der Parteien, dem funktionellen Missbrauch einzelner Bestimmungen und einer Reihe krasser politischer Fehleinschätzungen (...).“

Die Rolle der Verfassung

Meist werden die plebiszitären Elemente als Fehler angesehen. Demgegenüber stellt Gertrude Lübbe-Wolff die Frage, „ob nicht gerade ein Mehr an direkter Demokratie ein besserer Schutz für die demokratische Verfassung hätte sein können“. Horst Dreier spricht umstandslos von der „Grundrechtsrepublik Weimar“, Michael Stolleis würdigt die „soziale Programmatik“, die beileibe nicht nur das viel zitierte „Recht auf Arbeit“ umfasst. Das „Sozialprogramm einer egalitären Gesellschaft“ hatte die „umfassende rechtliche Gleichheit der Staatsbürger“ zur Voraussetzung.

Der langjährige Verfassungsrichter Udo Di Fabio spannt seine Analyse der Weimarer Verfassung in die Realgeschichte ein. Besonders interessant, weil sonst selten so präzise diskutiert ist die Darstellung des „Preußenschlags“, der Reichsexekution gegenüber Preußen vor dem Hintergrund einer drohenden Regierungsbeteiligung der NSDAP, allgemein aber vor der „latenten Bürgerkriegslage“. Di Fabio betont, es könne „keinen Zweifel geben: Die Deutschen haben im Sommer 1932 in einer freien, gleichen und geheimen Wahl sehr deutlich die Demokratie abgewählt“. Die Verfassungsfeinde von rechts wie von links erzielten mit 57,5 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Und dennoch: „In einem Land wie Deutschland (...) hätte man 1932 die Staatsmacht gegen die Straße durchsetzen können (...). Die Weimarer Verfassungsordnung war alles andere als wehrlos gegen ihre Feinde (...).“

"Weimar Culture"

Wenn die Jahre der Weimarer Republik gleichwohl leuchten, dann immer als eigene Epoche der Kultur. Seit der gebürtige Berliner Peter Gay 1968 den Begriff der „Weimar Culture“ prägte, ergießt sich ein unablässiger Strom von Veröffentlichungen auf den Buchmarkt, die die Produktivität dieser doch so kurzen Zeit rühmen. Jetzt erschien „Experiment Weimar. Eine Kulturgeschichte Deutschlands 1918–1933“, mit der die Freiburger Germanistin Sabina Becker an Überblicksdarstellungen wie ebender von Gay anknüpft. Becker verwirft die – in der Tat überholte – Perspektive, Weimar lediglich als Krise im Dauerzustand zu sehen; demgegenüber zeichnet sie die Kultur von Weimar als „brodelndes Laboratorium“ und „virulentes Experimentierfeld“. Umso tiefer geht der Riss, der die Avantgarde beispielsweise von den Völkischen trennt, der zwischen „Asphalt“ und „Scholle“. Ob Beckers These, Weimar zeichne sich „durch den Aufbau einer modernen Zivilgesellschaft aus“, die „Hauptkennzeichen einer modernen Industriegesellschaft“ aufweise, nicht doch den Rahmen einer Kulturgeschichte sprengt, sei dahingestellt.

Die Gesellschaft des Kaiserreichs bestand fort

Denn wenn Weimar die „Republik der Außenseiter“ war, wie Gays Buch „Weimar Culture“ in deutscher Ausgabe untertitelt ist, dann muss die Diskrepanz zwischen der urbanen Avantgarde und der in weiten Teilen ländlich-kleinstädtisch geprägten, aus dem Kaiserreich herüberragenden Gesellschaftsformation in den Blick genommen werden. Dazu findet sich bei Winkler eine Fülle von Informationen, etwa in dem Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „Die gespaltene Gesellschaft“, wo Winkler unter anderem auf die „allgemeine Entkirchlichung des Proletariats“ und die „Säkularisierung ihres Wahlverhaltens“ hinweist; ein Umstand, der für die Erfolge der NSDAP in der Endphase der Republik von Bedeutung ist. Er überschneidet sich mit der „starken Anziehungskraft auf junge Leute“, die Mommsen der Nazi-Partei bescheinigt. Sie war „moderner“ als die Parteien, die Weimar getragen, als auch diejenigen, die Weimar bis dahin bekämpft hatten.

Aber das führt bereits aus der Geschichte der Republik heraus. Die steht in ihrem Jubiläumsjahr jetzt klarer vor Augen, vor allem in ihrer Anfangszeit. 1919/20 entstand unter schwierigsten Bedingungen ein Staatswesen, das mehr und besser war als nur der unglückliche Vorläufer der heutigen Bundesrepublik.

Sabina Becker: Experiment Weimar. Eine Kulturgeschichte Deutschlands 1918–1933. wbg Academic, Darmstadt 2018. 608 S. m. 105 Abb., 69,95 €.

Ursula Büttner: Die überforderte Republik 1918–1933, in: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 18, S. 171–767. Stuttgart, Klett-Cotta 2010. 813 S., 45 €.

Udo Di Fabio: Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern. C. H. Beck, München 2018. 299 S., 19,95 €

Host Dreier, Christian Waldhoff (Hrsg.): Das Wagnis der Demokratie. Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung. C. H. Beck, München 2018. 424 S. m. 32 Abb., 29,95 €.

Mark Jones: Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution und der Beginn der Weimarer Republik. Propyläen, Berlin 2017. 432 S., 26 €.

Horst Möller: Die Weimarer Republik. Demokratie in der Krise. Überarbeitete Neuausgabe. Piper Verlag, München 2018. 464 S., 14 €.

Hans Mommsen: Die verspielte Freiheit. Aufstieg und Untergang der Weimarer Republik. Nachwort von Detlev Lehnert. Propyläen Verlag, Berlin 2018. 864 S., 42 €.

Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. C. H. Beck, München 2018. 711 S., 24,95 €.

Zur Startseite