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Kultur: Literatur: Tristesse Gumbo

Blasiert sei er, ein parfümierter Popschnösel, aber bestimmt kein Schriftsteller - nach "Tristesse Royal" waren solche Schmähungen für Joachim Bessing keine Seltenheit. Doch er ließ sich davon nicht beeindrucken, mit "Wir Maschine" hat er jetzt seinen ersten Roman geschrieben.

Blasiert sei er, ein parfümierter Popschnösel, aber bestimmt kein Schriftsteller - nach "Tristesse Royal" waren solche Schmähungen für Joachim Bessing keine Seltenheit. Doch er ließ sich davon nicht beeindrucken, mit "Wir Maschine" hat er jetzt seinen ersten Roman geschrieben. Als Bessing vor zwei Jahren "Tristesse Royal" herausbrachte, war das für manche auch das Manifest einer neuen Generation. Damals trafen sich fünf Pop-Literaten zum Gespräch, und Bessing veröffentlichte die Diskussion des "popkulturellen Quintetts" über Fragen wie das gelungene Remodeling der Scorpions, die Levis-Jeans und den damaligen "B.Z."-Chefredakteur Franz Josef Wagner. Besonderes Kennzeichen der Dialoge: der erstaunlich hohe Wert, der Namen, Labels und Marken beigemessen wurde. Bessings Kommentar: Er habe nur ein typisches Gespräch seiner Zeit wiedergegeben, was eben unterhaltsam sei und gleichzeitig ziemlich traurig.

Jetzt karikiert Bessing, der zwischenzeitlich die Biografie des Berliner Frisörs Udo Walz und als Autor beim "Playboy" schrieb, mit "Wir Maschine" die "Tristesse Royal", indem er seine Figuren entsprechend den damals formulierten Grundsätzen leben und daran zu Grunde gehen lässt. Erzählt wird die Geschichte von Gumbo und seinem Scheitern in der Welt der Medienproduzenten. Gumbo heißt nicht wirklich so, doch seinen echten Namen erfährt man nicht. Denn Gumbo, Mitte Zwanzig und ohne Uni-Abschluss, weiß selbst nicht, wer er ist. Vielmehr wünscht er, endlich "ein Teil von etwas zu sein". Am besten von der schicken Hamburger Medienagentur Wildcard. Ausgangsvoraussetzung dafür sind vor allem Helmut Lang-Hemden, deren Kauf Gumbo "trotz sehr großer Geldnot absolut notwendig" erscheint. Das sind die Jungs, von denen Bessing in "Tristesse Royal" sagte, sie hätten Kleidung für 40 000 Mark im Schrank, aber keinen Kühlschrank in der Wohnung.

Gumbo geht unter, aber nicht weil er die Präsentation für den Jil-Sander-Katalog in den Sand setzt. Die Menschen interessieren sich einfach weder für ihn noch füreinander. Der Nutzen des Gegenübers besteht darin, sich seine gedanklichen Ergüsse nicht selbst erzählen zu müssen. Sogar Gumbos große Liebe Barbara will nur ein bisschen Beziehung mit ihm spielen.

Mit Barbara, Gumbos Chef und Bekannten beschäftigen sich ganze Kapitel. Das bremst Gumbos Geschichte und wirkt, als habe Bessing nicht auf deren Tragfähigkeit vertraut. Stattdessen entwickelt er mit dem 60-jährigen Alfred, Alkoholiker und ehemals Werbetexter, eine Art zweite, gescheiterte Hauptfigur. Doch Alfred funktioniert nicht als Gumbos Alter Ego, sondern bleibt ein Klischee. Als er nach Ibiza auswandert, um dort eine Kneipe zu eröffnen, "alles ganz locker, für Freunde", räumt sogar der Erzähler Bessing ein: "Das hatte der Händler nun in letzter Zeit schon öfter gehört."

Das bewältigbare Maß an Akteuren und Themen überschreitet die "Wir Maschine", wenn sich der durchgeknallte Stadt-Guerillero Bernd in die Geschichte einschaltet. Bernd bringt in die Welt der Lounge Chairs und Osteria-Besuche den Hass auf "das System" und "die Schmarotzer". Er sprengt Junkies in die Luft und irgendwann auch Gumbos Chef. Ansonsten verhilft er dem Roman nur zu einem erschreckend plumpen Dialog mit einem Polizisten und weniger Glaubwürdigkeit für Gumbos Charakter.

Bessing versucht das gesamte Spektrum des gesellschaftlichen Wahnsinns abzuarbeiten. Dadurch zerfällt der Roman in eine Aneinanderreihung von Geschichten. Auch stilistisch bricht der Text, wenn ein Junge länger als zwei Seiten über die Entwicklung der Medien monologisiert, Partygäste die RAF wie Popstars besprechen und sich Dialoge über Franz Josef Wagner und die "B.Z." entspinnen wie einstmals in "Tristesse Royal". Sie sollen die ständige Selbstbeweihräucherung der Agierenden entlarven, aber dafür sind sie nicht böse, nicht zynisch genug.

Lieber hätte man mehr Zeit mit Gumbo verbracht. Denn auch wenn der Text an manchen Stellen sperrig ist, bei Gumbos Beobachtungen entwickelt Bessing Bilder von fast poetischer Qualität. Wie von der Wintersonne, die hinter den Bäumen aufsteigt "wie eine Aprikose in Milch". In solchen Momenten, oder wenn er sich überlegt, dass sein Chef telekinetische Ohrfeigen verteilen kann, weiß man immer noch nicht, wer Gumbo wirklich ist. Aber man fühlt sich ihm ziemlich nahe.

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