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Kleiner Coup. Schriftsteller Saša Stanišić ‏benutzte nach eigenen Angaben das Pseudonym Elisabeth von Bruck.

© Arno Burgi/dpa

Literarischer Streich: Saša Stanišić schreibt heimlich Abi über seinen eigenen Roman

Schriftsteller Saša Stanišić schmuggelte sich ins Hamburger Abitur. Der Schelm entlarvte sich auf Twitter selbst - und teilte ein paar witzige Beobachtungen.

Von Gregor Dotzauer

In Zeiten massenhaft fingierter Online-Identitäten ist auch das Gespräch über Bücher nicht gegen Betrug gefeit. In England flogen vor sieben Jahren der Krimi-Autor RJ Ellroy und der Historiker Orlando Figes auf, nachdem sie auf Amazon unter Pseudonym ihre eigenen Bücher in den Himmel lobten und die Konkurrenz zur Hölle wünschten. Aber die Vergesslichkeit in solchen Angelegenheiten ist hoch – und die moralischen Standards hängen niedrig. Auf der Leserplattform Goodreads diskutierten Autoren, die wohl vor allem aus dem Selfpublishing-Spektrum stammten, zu Anfang des Jahres ernsthaft, ob es verwerflich sei, das eigene Buch zu besprechen. Unter Klarnamen, wie es einige tun, macht man sich damit nur lächerlich. Diese Lächerlichkeit in Kauf zu nehmen, braucht allerdings auch eine Disposition, die sich mit dem bloßen Schrei nach Aufmerksamkeit nur zum Teil erklären lässt.

Was sich der Hamburger Schriftsteller Saša Stanišić, mit 41 Jahren einer der besten seiner Generation, nun geleistet hat, fällt in die Abteilung des literarischen Streichs. Unter dem Pseudonym Elisabeth von Bruck schmuggelte er eine Klausur über seinen uckermärkischen Dorfroman „Vor dem Fest“ ins Hamburger Deutschabitur und schnitt mit 13 Punkten ab – einem Punkt mehr als bei seinem eigenen Abitur über Goethe 1997. Stanišić war auch deshalb im Stoff, weil er sich vor 60 Klassen präsentiert hatte, gekrönt von zwei Events in der Kampnagel-Fabrik: „Stanišić in der Schule“.

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Von der guten alten Gefälligkeitskritik, wie sie in der Gutenberg-Galaxis gang und gäbe war, ist das bei aller Liebe zur Selbstliebe weit entfernt. Wenn der beste Literaturbetriebsfreund zur Feder griff, konnten Eingeweihte das Spiel immerhin durchschauen und als Kavaliersdelikt oder Kapitalverbrechen geißeln. Wenn heute Opa, Tante oder Lebensabschnittsgefährtin auf einem Portal freundliche Worte über das Werk eines nächsten Verwandten posten, lässt sich dies in der Regel nicht einmal mehr erkennen.

Die Welt hätte von dem Coup nie erfahren, wenn sich Stanišić auf Twitter (@sasa_s) der verzeihlichen Untat vor über 17 000 Followern nicht selbst bezichtigt hätte. Schon der erste Tweet fand mehr als 3000 Likes. Medienquerfeldein ist er nun der Held der Stunde, zumal er neben einer stringenten Selbstinterpretation für ein erwünschtes Extrakapitel im Stil von Saša Stanišić sogar 15 Punkte kassierte: Niemand hat Stanišić eben besser drauf als Stanišić selbst.

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Doch nicht jeder Schriftsteller kommt aus solchen Experimenten ohne Schaden davon. Im Jahr 1968 sandte die Satirezeitschrift „Pardon“ im Namen eines gewissen Bob Hansen, im Hauptberuf technischer Abteilungsleiter, leicht deformierte Passagen aus Robert Musils Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ an 32 deutschsprachige Verlage sowie 14 Literaturwissenschaftler und Kritiker: Niemand hielt eine Veröffentlichung für möglich. Selbst Urs Widmer, damals Lektor bei Suhrkamp und später ein namhafter Schriftsteller, teilte bedauernd mit, „dass das, was Sie schreiben, mit unseren Vorstellungen von Literatur nicht ganz übereinstimmt“. Schön also, wenn man sich zur Kanonisierung zu Lebzeiten wie bei Saša Stanišić noch ein selbstironisches Krönchen aufsetzen kann.

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