zum Hauptinhalt
Geübt im Nichtschreiben. Fran Lebowitz.

© Christoph Macsurak

Literarischer Journalismus: Trockener als der Staub

Amerikanische Alltagssoziologie in Kolumnenform: Die scharfzüngige Fran Lebowitz ist erstmals auf Deutsch zu lesen

Von Gregor Dotzauer

An der Tatsache, dass Amerikas lästerlichste Kolumnistin 70 Jahre alt werden konnte, ohne dass den Deutschen auch nur eine Zeile von ihr unter die Augen kam, wo sonst oft schon ein Probekapitel dürftiger Creative-Writing-Prosa meistbietend über den Teich geht, trifft sie selbst zumindest eine Mitschuld. Fran Lebowitz hat inzwischen weitaus mehr geredet als geschrieben – und damit den größten Teil ihres Lebensunterhalts bestritten.

Bei öffentlichen Auftritten ist der immer wieder vor ihr gefährlich aufragende Writer’s Block sogar ein ergiebiges Thema. Als Selbstverhinderungskünstlerin, die in der Erwartung des eigenen Scheiterns ihr tatsächliches Scheitern zuverlässig heraufbeschwört, warten ihre Fans seit geschlagenen 38 Jahren auf eine neue Veröffentlichung – insbesondere den lange versprochenen Roman.

„New York und der Rest der Welt“, wie die deutsche Ausgabe des „Fran Lebowitz Reader“ heißt, der auch in den USA fast ihr gesamtes Werk zwischen zwei Buchdeckeln umfasst, ist von daher ein alter Hut. Er setzt sich aus zwei noch älteren Bänden zusammen, die ihre Kolumnen für Andy Warhols „Interview“ und „Mademoiselle“ sammeln: „Metropolitan Life“ (1978) und „Social Studies“ (1981).

Die deutsche Ausgabe schweigt sich darüber leider aus – wie sie zur Einordnung der Figur Lebowitz auch keinen Beitrag in Form ein Vor- oder Nachworts leistet.

[Fran Lebowitz: New York und der Rest der Welt. Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Hedinger und Willi Winkler. Rowohlt, Berlin 2022. 350 Seiten, 22 €.]

Die sarkastische Alltagssoziologie, die Lebowitz treibt, wirkt dennoch erstaunlich frisch, nicht zuletzt, weil sie sich damals schon mit einer Vehemenz gegen die Zeit und ihre Umstände stemmte, die ihr heute endgültig eine widerständige Größe verleiht. Ihr Spott über den einst hochmodernen CB-Funk liest sich wie eine frühe Vorbereitung auf eine restlos verdrahtete Welt, in der es nur eine gesunde Technophobie erlaubt, klar auf die ewigen Unzulänglichkeiten des Menschlichen und allzu Menschlichen zu blicken.

Mit all dem war sie bis vor Kurzem ein rein nationales Ereignis. Mit ihrem staubtrockenen Humor tingelte sie schelmisch lächelnd, doch mit todernst gemeinten Anliegen durch die Talkshows. Man sehe sich nur einmal den Zusammenschnitt ihrer Auftritte bei David Letterman auf YouTube an: Welche Mischung aus abfragbarem Repertoire und Schlagfertigkeit.

Weltstar mit Hilfe von Martin Scorsese

Zum Weltstar machte sie im vergangenen Jahr Martin Scorcese, der mit ihr 2010 schon die HBO-Dokumentation „Public Speaking“ gedreht hatte. In der siebenteiligen Netflix-Serie „Pretend It’s a City“ inszenierte er sie als Überlebende eines untergegangenen New York, die mit jüdischem Mutterwitz über den Verfall der Stadt und die feindliche Westküste schimpft, während er sich an ihrer Seite fast in die Hosen machte, weil er aus dem Prusten und Schenkelklopfen nicht mehr herauskam.

Das alles hat auch auf dem Papier erkennbare Qualitäten. Es sind sorgfältig erschriebene Texte, die nicht nur darauf gerichtet sind, dicht gesetzte Pointen vor Publikum noch einmal abzufeuern. Nichtsdestoweniger wirkt das Stakkato, das live die Aufmerksamkeit wachhält, beim Lesen schnell ermüdend.

Und nicht nur das: Die immergleichen Formen, in die sie ihre bösen Beobachtungen über Wissenschaft, Literatur und Kunst, Leute, Orte und Ideen gießt, nivellieren die Sorgfalt, die sie auf den einzelnen, oft treffenden Satz verwendet.

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Man sieht allzu deutlich den mühsam am Laufen gehaltenen Motor dieser Texte, die sich durch nummerierte Aufzählungen, Alphabete, Listen, Aphorismenketten und Wochentage eine Struktur geben: Wer Montag sagt, muss auch Dienstag sagen.

Für eine rundum belesene Frau, die vier Jahrzehnte lang fast täglich mit ihrer engsten Freundin, der Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, telefonierte, und immer wieder zu einer neuen Dorothy Parker erklärt wurde, zeugt das das doch von einer gewissen Kurzatmigkeit.

Doch wer weiß, wie sehr sie schreibend leidet: „Ich malte nicht – Kleinigkeit. Ich baute keinen Weizen an – ein Leichtes. Ich war arbeitslos – auch kein Kunststück. Und was das Nicht-Schreiben angeht, also wenn es darum geht, nicht zu schreiben, darin bin ich Meister, absolute Spitzenklasse, ein alter Hase,“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false