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Bloß nicht verbindlich werden. Lenz (Eric Klotzsch) möchte, dass alles so bleibt, wie es ist, auch als er Ira (Lana Cooper) kennenlernt.

© Grandfilm/ Marie Zahir

"Liebesfilm" im Kino: Kreuzberg. Sommer. Dachterrasse

Wie leben die Mittdreißiger in Berlin? Emma Rosa Simons und Robert Bohrers etwas anderer „Liebesfilm“.

Ira und Lenz treffen sich in jenem Sommer, in dem Osama Bin Laden getötet wird, in dem die Costa Concordia verunglückt und der Malaysia-Airlines-Flug 370 auf Nimmerwiedersehen aus dem Luftraum über Thailand verschwindet. Das alles geschah zwar eigentlich in den Jahren 2011, 2012 und 2014. Macht aber nichts: Die Regisseure Emma Rosa Simon und Robert Bohrer biegen sich die Realität in „Liebesfilm“ gerade so zurecht, wie sie ihnen ins Narrativ passt. So dümpelt die Costa Concordia eben mit Schlagseite in der Spree und ihr Kapitän steht plötzlich im Wohnzimmer.

Die Protagonisten legen sich genauso wenig fest: Ira (Lana Cooper) hat irgendeinen Job, für den sie regelmäßig mit schusssicherer Weste in gefährliche Weltgegenden reist. Von Peschawar ist die Rede, ansonsten ist sie nicht gerade mitteilsam. Auf einer verkifften Dachterrassenparty läuft sie Lenz (Eric Klotzsch) über den Weg. Ein typischer Slacker, der sich erstmal verdünnisiert, als sie während heftigster Fummelei in der Autowaschanlage ihren Kinderwunsch verkündet. So reagiert er immer, wenn es ernst wird. Er lebt in Kreuzberg, es ist Sommer und alles, was er will, ist, dass es ewig so weitergeht.

„Liebesfilm“ legt zunächst den Verdacht nahe, dass das Regie-Duo eine ziemlich vereinfachende Rechnung aufmacht, bei der die Luxusbefindlichkeiten einer privilegierten Gesellschaftsschicht gegen jene handfesten, existentiellen Probleme aufgewogen werden, vor denen sich Lenz in seiner Kreuzberg-Blase abgeschottet hat. Aber „Liebesfilm“ funktioniert anders.

Die Frau ist aus Liebe zu einem Gorilla nach Berlin gezogen

Kennenlernen, Streit, vorübergehende Trennung, Kinder: Anhand der knapp erzählten Liebesgeschichte werden eine ganze Reihe ausgefallener Situationen aufgefädelt. Zum Beispiel nimmt Lenz an den Therapiesitzungen seines Freundes Kenn (Gerdy Zint) teil. Der betreut als Psychologe Klienten wie einen Künstler in der Schaffenskrise, der im Museum gegen seinen Drang ankämpft, Skulpturen von ihrem Sockel zu stoßen. Oder eine Frau, die aus Liebe zu einem Zoo-Gorilla von München nach Berlin gezogen ist.

Bei Lenz schlägt derweil die Fantasie Kapriolen: In Tagträumen erscheinen ihm regelrechte Abziehbilder hünenhafter Männlichkeit, Soldaten und Kapitäne, die ihn an seine eigenen daddy issues erinnern. Und überhaupt daran, dass sein alter Vater (Hartmut Becker) ihm in den Ohren liegen wird, wenn er ihm eine Freundin vorstellt, die älter ist als er selber. Die nicht anschmiegsam ist, wie der Senior immer empfiehlt, und nicht zu ihm aufblickt.

Nach einigen gemeinsamen Kurz- und Dokumentarfilmen – Emma Rosa Simon kommt aus dem Kamerafach, Robert Bohrer vom Schnitt – haben sich die Regisseure in ihrem ersten gemeinsam inszenierten Spielfilm für gesättigte Farben entschieden, für lichtdurchflutete Bilder, umspielt von klassischer und orientalischer Musik.

Surreale Moment fügen sich in die Handlung ein

Wäre der frühe Woody Allen heute ein junger deutscher Mumblecore-Regisseur, hätte er vielleicht so etwas wie „Liebesfilm“ gemacht. Ein Werk, das schon ein bisschen darauf herumreitet, wie besonders skurril es ist. Dem es aber beiläufig gelingt, in seinem improvisiert wirkenden und dabei doch präzisen Drehbuch viel davon einzufangen, wie die Generation der Mittdreißiger so denkt und redet. Und wie sie damit umgeht, dass ihre heutigen Ideale so ganz andere sind als jene, die ihnen einst vorgelebt wurden.

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Die surrealen Momente in „Liebesfilm“ fügen sich nicht nahtlos in die Handlung ein. Sie liegen vielmehr auf ihr, heben sich ab durch eine exzentrische Lichtsetzung oder betont künstlich gestaltete computergenerierte Bilder. Ira und Lenz quittieren dieses temporäre Verrutschen ihrer Realität höchstens mit einem Schulterzucken.

Unter den deutschen Filmen der letzten Zeit ist „Liebesfilm“ wohl am ehesten ein Berlinfilm geworden. So würden es jedenfalls die britischen Touristinnen sehen, die sich in der WG von Lenz einquartiert haben: „Wow, wir trinken den ganzen Tag Bier auf offener Straße und keinen interessiert’s!“

City Kino Wedding, Delphi Lux, Filmtheater am Friedrichshain, Passage, Pompeji – Freiluftkino am Ostkreuz (Omenglu), Wolf (auch OmenglU), Zukunft

Katrin Doerksen

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