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Komplexe Probleme, einfache Slogans. Eine Anti-CSU-Demo in Bayern, Oktober 2018.

© Lino Mirgeler/dpa

Liberalismus und Rechtspopulismus: Schwarz-Weiß-Malerei hilft nicht weiter

Selbstkritik im Sinne der Aufklärung: Intellektuelle untersuchen die blinden Flecken des Liberalismus. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Kein Tag, an dem der liberale Westeuropäer nicht fassungslos das Heranrücken feindlicher Kräfte beobachten würde. Wie, zermartert er sich das Hirn, kann es nur sein, dass in Polen und Ungarn autoritäre Strukturen entstehen, deren politische Repräsentanten sich, der Zustimmung ihrer Wähler gewiss, offen zu einer illiberalen Demokratie bekennen? Und warum wandern nicht nur Wendeverlierer, sondern auch brave Mittelschichtsbürger eines ökonomisch prosperierenden Landes massenhaft zur AfD ab? Ein Reich des lichterfüllten Liberalismus scheint einem finsteren Reich des (rechten) Populismus gegenüberzustehen, gegen dessen Handlanger es trotzig Verdammungsflüche auszustoßen gilt: Wie könnt ihr nur die wollen, wenn ihr doch uns haben könnt?

Allmählich setzt sich aber gerade unter den Verfechtern liberaler Positionen die Einsicht durch, dass Schwarz-Weiß-Malerei nicht weiterhilft. Eine Selbstkritik hat eingesetzt, die den blinden, sozusagen ideologischen Stellen der eigenen Überzeugung auf den Grund zu gehen versucht, ohne diese gleich über den Haufen zu werfen. So untersucht der Frankfurter Rechtsphilosoph Uwe Volkmann im nachdenkenswerten Eröffnungsessay des November-„Merkur“ (gratis unter merkur-zeitschrift.de) eine „Wertedämmerung“, die für ihn unter anderem darin besteht, dass sogar das Bundesverfassungsgericht die deutsche Verfassung nicht mehr als eine von jedem zu teilende Wertordnung betrachtet, solange keine anderen Rechtsgüter in Gefahr sind.

Linke Identitätskonzepte arbeiten teilweise dem Neoliberalismus zu

Als Beispiel dient ihm der Verzicht auf das Verbot der NPD: „Endgültig abgeworfen sind nun die Zwänge zur Wertidentifikation und die Notwendigkeit, sich zu irgendetwas zu bekennen, stattdessen können endlich in jedem Diskursuniversum die Freiheiten gelebt und ausgelebt werden, die die Verfassung schon immer garantiert hat.“ Auch von der Seite des protofaschistischen Staatsrechtlers Carl Schmitt aus betrachtet, der gegen „Die Tyrannei der Werte“ zu Felde zog, müsste darin etwas Entlastendes liegen. Schmitt argumentierte nämlich einleuchtend gegen die Neigung von Werten, sich totalitäre Geltung zu verschaffen. Immer, so paraphrasiert ihn Volkmann, „wolle sich der höhere Wert gegen den niedrigeren durchsetzen, der Wert an sich gegen den Unwert, der am Ende ausgemerzt und vernichtet werden müsse“.

In einer Nummer der „Neuen Gesellschaft – Frankfurter Hefte“ zu „Identität vs. Identitätspolitik“ (10/2018, ng-fh.de) nimmt der Ideenhistoriker Winfried Thaa die Problematik des Liberalismus aus dezidiert linker Perspektive in den Blick. Die kulturellen Werte des globalisierten Kapitalismus, konstatiert er, seien von den emanzipatorischen Zielen vieler Minderheiten oft kaum zu unterscheiden: „Kosmopolitismus, Antirassismus, individuelle Selbstoptimierung und jugendlicher Hedonismus lassen sich wirkungsvoll zur Legitimation der von den Finanzmärkten und den Megakonzernen der Digitalisierung vorangetriebenen Vermarktlichungs- und Entgrenzungsprozesse in Anspruch nehmen.“ Thaa fasst prägnant zusammen, wie sich der Konflikt von Staat und Markt zu einem zwischen kosmopolitischen, differenzbejahenden Eliten und kulturellen Bewirtschaftern der heimatlichen Scholle verlagert hat.

Fatale Sprachlosigkeit zwischen Liberalismus und Populismus

Auch der Konstanzer Germanist Albrecht Koschorke sieht in seinem dichten Essay „Auf der anderen Seite des Grabens“ (zflprojekte.de/zfl-blog) eine fatale Sprachlosigkeit zwischen Liberalismus und Populismus am Werk. In der „NZZ“ ist er nun überdies dem Hang der akademischen Linken zur Selbstdekonstruktion nachgegangen – ohne ihr den allzu simplen Vorwurf zu machen, sie trage durch relativistische und konstruktivistische Positionen Schuld am Erstarken der Rechten. Die einzige Schieflage seines Artikels besteht darin, dass er mit Postmoderne und postfaktischer Ära zwei Begriffe gegeneinander ausspielt, die zwar konträre Trägermilieus haben, als Konzepte aber keineswegs symmetrisch sind.

Während es sich im einen Fall um ein ausformuliertes Konzept tendenziell linker Selbstaufklärung handelt, geht es im anderen um eine meist im Widerspruch verwendete Zuschreibung ohne jede theoretische Ausgestaltung. Die „Condition postmoderne“, die Jean-François Lyotard 1979 als unvermeidlichen Abschied von den „großen Erzählungen“ beschrieb, hat eben einen tieferen Sinn als Kellyanne Conways Gerede von „alternative facts“.

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