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Superstar beim Superbowl. Beyoncé Knowles, 34, im Februar im Levi’s Stadium im kalifornischen Santa Clara.

© USA Today Sports/Reuters

"Lemonade" von Beyoncé: Bekenntnisse einer Soulkönigin

Beyoncés über Nacht veröffentlichtes Album „Lemonade“ verrät eine clevere Verkaufsstrategie. Vor allem aber ist es das Manifest einer selbstbewussten schwarzen Frau.

Am Ende des knapp einstündigen Films, der ihr neues Album begleitet, blättert sich Beyoncé durch ganz private Aufnahmen: von der Geburtstagsparty ihrer Tochter Blue Ivy, von Blue Ivy und Vater Jay-Z in einem leeren Football-Stadion, von ihrer Hochzeit, wie ihre Mutter dort mit Schwiegersohn Jay-Z tanzt. Das Stück dazu beginnt mit hüpfenden Gitarrenakkorden und Zeilen wie „True love never has to hide“ oder „Our love was stronger than your pride/ Beyond your darkness, I'm your light“. Wer glaubt bei soviel Liebesbeteuerung und Versöhnungswillen noch an ernsthafte Eheprobleme zwischen den beiden R&B-und Hip-Hop–Superstars, an einen quälenden Rosenkrieg, von dem seit Monaten die Rede ist?

Zumal die Veröffentlichung von Beyoncés neuem Album „Lemonade“ quasi über Nacht auf Tidal erfolgt ist. Tidal ist ein Streamingdienst, der hauptsächlich ihrem Mann Jay-Z gehört (und zudem einigen anderen sehr erfolgreichen Musikern, darunter Madonna, Kanye West, Rihanna, Daft Punk, Jack White und eben auch Beyoncé). Auch Kanye West und Rihanna veröffentlichten ihre jüngsten Alben zuerst hier, „The Life of Pablo“ – sechs Wochen lang nur auf Tidal zu haben – und „Anti“, für eine Woche. Die Strategie dahinter ist klar: Wer Beyoncé neues Werk hören will, muss sich bei Tidal anmelden (das Streamingportal hat bislang erst ein Zehntel der Abonnenten des Marktführers Spotify) und ein Probe-Abo abschließen. Oder auf Beyoncé verzichten. Oder das Album illegal herunterladen.

Der Film liefert die Erzählung zu den Stücken

Über diese Art von Veröffentlichungspolitik kann man sich empören. Denn unklar ist, ob und wann „Lemonade“ auf herkömmlichen, aller Welt zugänglichen Medien herauskommen wird. Andererseits lässt sich das als ganz normales, kluges Geschäftsgebaren einer Streamingdienst-Miteignerin begreifen: Tidal stark machen, heißt die Devise – und eben nicht Apple Music oder i-Tunes unterstützen, wo 2013 Beyoncés vorheriges, ebenfalls komplett ohne Werbevorlauf veröffentlichtes Album „Beyoncé“ innerhalb einer Woche über eine Million Mal heruntergeladen wurde. Was iTunes einen historischen Verkaufsrekord bescherte.

Sicher ist: Wer so spontan-unangekündigt veröffentlicht, bekommt für zwei, drei Tage die größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit, gerade in der Pop-Superstar-Liga. Der Überwältigungseffekt zieht bei den Medien und Fans. Überwältigend ist „Lemonade“ aber auch in Form und Inhalt. Wie bei dem 2013er-Album, auf dem es zu jedem Stück ein Video gab, mit kleinen Geschichten aus dem Leben des Superstars Queen Bey alias Beyoncé, hat die Sängerin nicht einfach nur zwölf neue Stücke veröffentlicht, produziert von angesagten Meistern ihres Fachs wie Diplo, Mike Will Make It oder Boots, sondern einen Film dazu, der die Erzählung zu den Stücken liefert. Das ist jetzt nicht übermäßig stilbildend: Gerade die großen Werke des Pop vermögen ihre Geschichte und Geschichten ohne begleitende Filme bildhaft zu erzählen. Auch wirkt „Lemonade“, der Film, durchaus noch so, als könne man daraus problemlos zwölf Videos herausschneiden.

Zu "Sorry" sieht man Beyoncé mit der Tennisspielerin Serena Williams

Trotzdem ist „Lemonade“ in seiner Eigenschaft als sogenanntes Visual Album eine glaubhafte Mischung aus feministischem Manifest und persönlicher Therapiestunde, in der Beyoncé ihr Liebesunglück, die Tücken einer Liebe reflektiert, so „true“ diese sein mag. Zwischen den Stücken rezitiert sie Poeme der britisch-somalischen Dichterin Warsan Sire, die mit eingeblendeten Überschriften von „Intuition“ über „Anger“ und „Apathy“ bis hin zu „Redemption“ gewissermaßen die Kapiteleinteilung des einstündigen Bildungsromans bilden.

Man sieht Beyoncé Autofenster mit dem Baseballschläger einschlagen; man sieht sie auf einer Girls-only-Party zusammen mit der Tennisspielerin Serena Williams „Sorry“ singen und den Mittelfinger herausstrecken („sieht“ stimmt nicht, die Mittelfinger sind verpixelt, oh Amerika!) Und man sieht sie, zu einer Mixtur aus Country-Gospel-Klängen, als kleines Mädchen im Kreise ihrer Lieben, insbesondere mit ihrem Vater. Der empfiehlt ihr, stark zu sein: „Daddy make me fight.“

Das Ganze erinnert schon an ein sehr privates Album, das Beyoncé an allen entscheidenden Stellen aufschlägt, von der Kindheit bis zu den Malaisen der Ehe. Doch der Kontext ist ein größerer, es ist der der geschundenen schwarzen Frau. „The most disrespected person in America is the black woman. The most unprotected person in America is the black woman. The most neglected person in America is the black woman“, ertönt einmal die Stimme von Malcolm X. Im neunten Kapitel „Resurrection“ werden Frauen gezeigt, die die Fotos ihrer getöteten Söhne in Händen halten, begleitet von der Falsettstimme James Blakes: „It’s time to listen, it’s time to fight.“

James Blake? Ja, doch. Natürlich haben sich Beyoncé und ihre Produzenten ein paar Gäste eingeladen, neben dem fast unvermeidlichen Kendrick Lamar sowie The Weeknd sind das die nicht unbedingt zu erwartenden, weil aus anderen musikalischen Kontexten kommenden James Blake und Jack White (wobei der ja auch „Owner of Tidal“ ist). Doch sollen gerade Letztere kraft ihrer Dubstep- und Blues-Kompetenz demonstrieren, dass Beyoncé sich auch musikalisch nicht mehr bloß als R&B-Hitmaschine versteht, mit Alben, die ein paar Hits enthalten und sonst nur Durchschnittsware.

Mit Kendrick Lamar singt sie "Freedom", und James Blake ist auch dabei

„Lemonade“ ist vielmehr das Album einer Soulkönigin, die sich ausprobiert, die genau weiß, warum sie im Film Nina Simone ihre Reverenz erweist, indem sie ein Album der großen Jazz-und Bluessängerin auf einem alten Plattenspieler laufen lässt.

Entspannt legt sie ihre Stimme über ein dezent vom Reggae beeinflusstes Stück; dann wieder spannt sie sich aufs Äußerste, begleitet nur von einem Piano. In das Dub-und Bass-lastige „Sorry“ arbeitet sie sich richtiggehend ein, um gleich darauf fast wie eine Countrysängerin von ihrem Vater zu singen. Zudem hat sie die Größe, James Blake das Feld ganz allein zu überlassen, fast genauso wie Kendrick Lamar, mit dem sie in dem Gospel-artigen „Freedom“ singt: „Freedom! Freedom! I can’t move/ Freedom, cut me loose.... I break chains all by myself“.

Tradition und Moderne, Privates und Politik, all das weiß Beyoncé schlüssig zu verbinden. Obwohl man weiß, wie viel Kalkül hinter dem Ganzen steckt, wie hier Kunst und Selbstvermarktung einander bedingen, klingt das Meiste doch genuin, authentisch, soulful. Man könnte auch sagen: Es ist das Gegenstück zu Kendrick Lamars epochalem „To Pimp A Butterfly“. Der Stress in ihrer Ehe, so es ihn denn wirklich gab, hat Beyoncé zumindest künstlerisch sehr gut getan.

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