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Mitte März wurden die Proben mit Spielleiter Christian Stückl (r.) und Frederik Mayet als Christus gestoppt.

© Lino Mirgeler/dpa

Leiter der Oberammergauer Passionsspiele: „Ostern, das heißt Farbe bekennen“

Ein Gespräch mit Christian Stückl, Leiter der Oberammergauer Passionsspiele, über Tränen nach der Absage wegen Corona, Karfreitagsrituale und Auferstehungshoffnung.

Christian Stückl, 58, ist Intendant des Münchner Volkstheaters. Seit 1990 leitet der gelernte Holzbildhauer die alle zehn Jahre aufgeführten Passionsspiele seines Geburtsorts Oberammergau. Stückl hat das auf ein Pestgelübde des Jahres 1633 zurückgehende Spiel vom Leiden und Sterben Jesu Christi entscheidend modernisiert und auch professionalisiert.

An dem Laienspiel wirken 2300 Einwohner des oberbayerischen Dorfes mit, das in der ganzen Welt bekannt ist. Von Mai bis September sollten gut 100 Vorstellungen stattfinden, erwartet wurden 450.000 Besucher. Mitte März waren zunächst die Proben der Massenszenen gestoppt worden. Am 19. März wurde dann der Beschluss des Gemeinderats bekannt gegeben, dass die für Mai geplante Premiere um zwei Jahre auf Mai 2022 verschoben wird.

Herr Stückl, dieses Jahr ist es in Oberammergau ein rechtes Kreuz mit der Passion.
Das können Sie wohl sagen.

Haben Sie sich inzwischen ein wenig vom Absageschock vor drei Wochen erholt?
Die Entscheidung dauerte mehrere Tage, und hinterher war ich fast erleichtert. Wir hatten ja die Proben fürs Passionsspiel bereits unterbrochen. Bei bis zu tausend Leuten auf der Bühne kann man sich nicht aus dem Weg gehen. Da sind Kinder genauso wie Alte dabei. Sie alle und ich wurden immer nervöser, je mehr Corona-Infizierte es in Bayern gab. Und wir haben ja ab der für den 16. Mai geplanten Premiere täglich 4500 Zuschauer aus aller Welt erwartet. 

Als schließlich der Landrat und das Gesundheitsamt von Garmisch meinten, dass wir absagen müssen, sind trotzdem Tränen geflossen. Auch bei mir. Weil wir zwei Jahre gearbeitet haben. Weil wir acht Wochen vor der Premiere völlig unter Strom waren, und plötzlich wurde das Kabel gekappt. Deswegen haben wir auch sofort die Verschiebung der Premiere beschlossen – auf den 14. Mai 2022.

Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters und Leiter der Passionsspiele.
Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters und Leiter der Passionsspiele.

© HRSchulz/imago

Menschen suchen auch im Unglück nach Sinn: Hat Sie der Corona-Ausfall irgendetwas gelehrt?
Damit bin ich vorsichtig. Wir haben solche Situationen in Oberammergau schon vorher gehabt. 1870 musste das Passionsspiel ausfallen, weil der Krieg zwischen Preußen und Frankreich losgebrochen ist und Oberammergauer Darsteller in den Krieg ziehen mussten. Dann haben wir 1871 nachgespielt. 

Vor hundert Jahren, 1920, wütete in ganz Europa die Spanische Grippe, und die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs wogen schwer, da wurde das Spiel auf 1922 verschoben. 1940 verhinderte der Zweite Weltkrieg die Aufführung. Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir durch die Coronakrise kommen. Ich muss neue Sachen lernen, Kochen zum Beispiel. Habe ich vorher nie gemacht. Für Lehren ist später noch Zeit.

Sie sagen ja sowieso gern, dass Gott am meisten über Pläne lacht.
Natürlich bin ich jemand, der immer denkt, er hat alles im Griff. Das Passionsspiel, mein Theater in München. Und dann merkt man plötzlich, dass man nichts im Griff hat. Dann muss man versuchen, nicht mit hängendem Gesicht herumzulaufen, und sich sagen: Der Advent geht diesmal länger, aber Weihnachten kommt trotzdem.

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Mit dem Spiel vom Leiden und Sterben Jesu Christi alle zehn Jahre erfüllen Sie ein Gelübde von 1633. Es sollte die Pest aus Oberammergau fernhalten. Nun löste eine moderne Seuche die Absage aus: Wie verkraftet das Dorf die fiese Ironie?
Das Weltbild des 17. Jahrhunderts war ganz anders. Da hat man jede Katastrophe, jedes Hochwasser, jede Seuche als Strafe Gottes begriffen. So denken heute die allerwenigsten. Auch für frühere Absagen hat uns Gott ja nicht bestraft.

Dass die Passionsspiele erstmals in ihrer fast 400-jährigen Geschichte mit 22 Millionen Euro versichert waren, haben Sie welchem siebten Sinn zu verdanken?
Das Landratsamt Garmisch hatte die Idee. Die Versicherung wird uns aber bestimmt nicht die ganze Summe auf den Tisch legen, sondern vielleicht die Mehrkosten, die durch die Verschiebung entstehen.

Wie kommen Sie mit dem Erstatten und Umbuchen von 450.000 Tickets voran?
Wir kriegen Hunderte von Briefen, in denen steht, dass die Leute ihre Karten nicht zurückwollen, sondern auf 2022 umbuchen. Das ist die eine Hälfte, aber die andere möchte schon das Geld zurück.

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Bekommen Sie persönlich auch Briefe?
Oh ja.

Was steht drin?
Meistens Beileidsbekundungen. Manchmal denke ich schon, ich bin gestorben. Aber es ist schön zu sehen, dass die Leute sich auf die Passion gefreut haben und nun Mitleid mit uns haben. Einer hat auch geschrieben: Bitte spielt unbedingt, damit – wie vor 400 Jahren – die Seuche weggeht.

Wie hätten Sie normalerweise Ostern gefeiert? Die Passionsgeschichte erzählt ja von Jesu Kreuzigung am Karfreitag bis zu seiner Auferstehung, spielt also genau in dieser Woche vor 2000 Jahren.
Das wären keine Feiertage, sondern ganz große Probentage geworden. Trotzdem hängt in der Dorftradition das Passionsspiel ganz eng mit dem kirchlichen Fest zusammen. Die Musik, die im Spiel zur Grablegung von Jesus erklingt, die wird bei uns Karfreitag in der Kirche aufgeführt. 

Auch in der Osternacht wird das Halleluja aus dem Passionsspiel gesungen und am Palmsonntag schon das Einzugslied. Dieses Jahr fallen ja auch die Gottesdienste aus. Der Pfarrer hat mich schon gefragt, ob er die Grabmusik vom Kirchturm spielen kann mit großen Lautsprechern, damit sie überm Dorf zu hören ist. Für uns wird das genauso ein abgespecktes Ostern wie überall in Deutschland.

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Sie glauben, dass die Spiele den Zustand der Gesellschaft spiegeln und deswegen mal weltlicher und mal frömmer ausfallen? Seit 2010 hat sich die Stimmungslage verdüstert, wozu jetzt auch die Pandemie beiträgt: Was für einen Christus zeigen Sie?
Mein Bild für 2020 hat sich schon stark verändert, erst recht für 2022. Ich will die sozialen Aspekte von Jesus zeigen. Ich bin bei der Textarbeit immer wieder auf Stellen wie „Ich bin fremd, ihr gebt mir keine Herberge“ gestoßen, also auf Themen wie Migration und Armut. Es geht mir um den Christus, der an die Ränder der Gesellschaft geht. Wir sind in der Krise sehr mit uns selbst beschäftigt. 

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Zusammenhalt und Entschleunigung ist das eine. Aber was uns hinterher zu schaffen machen wird, sind die Leute, die dadurch noch mehr abrutschen. Am Internet-Schulunterricht können sicher nicht alle Kinder teilnehmen, weil zu Hause die Technik fehlt. Kaum ein Mensch redet im Augenblick über die Situation auf Lesbos. Auch die Arm-Reich-Schere wird größer werden.

Abgesehen von Theologen und Künstlern befasst sich niemand so intensiv mit der Passionsgeschichte wie Sie: Was kann Ostern auch Atheisten lehren?
Wenn man in die ganzen alten Schriften schaut – Altes und Neues Testament, die Psalmen –, dann stößt man immer wieder auf dunkle Täler, in denen der Tod regiert. Ostern ist der Moment, in dem das Licht zurückkommt. 

Genauso inszeniere ich die Osternacht im Passionsspiel – ein starkes Bild, das Mut macht. Jesus ist den Passionsweg konsequent gegangen und hat gelehrt, dass die Angst vor dem Tod nicht das Schlimmste ist, sondern dass es weitergeht und wir die Welt verändern können.

Wird die Passionsspiele erst 2022 zeigen: Das Theater in Oberammergau.
Wird die Passionsspiele erst 2022 zeigen: Das Theater in Oberammergau.

© Andreas Gebert/Reuters

Für Sie als Theatermann ist die Kreuzigung am Karfreitag sicher ergiebiger als die schwer darstellbare Auferstehung.
Auf unserer Israel-Reise mit den Hauptdarstellern habe ich gemerkt, dass die alte Theologie, nach der Jesus für unsere Sünden stirbt, keinen jungen Menschen mehr interessiert. Stattdessen haben sie nach Jesu Leben gefragt. Wieso liebt der seine Feinde? Wir haben in Yad Vashem einen Holocaust-Überlebenden getroffen, der sagte: Kinder, ich habe nicht die ganzen 70 Jahre Hass auf Deutsche gespürt, denn mit Hass lebt sich’s schlecht. Da konnten wir sehen, wie einer Feindesliebe praktiziert. 

Und Jesu Weg in der Karwoche wurde in unseren Diskussionen mit Sophie Scholl verglichen, die sich im Nationalsozialismus gewehrt und dafür ihr Leben gelassen hat. Sein Leben hat uns heute mehr zu sagen als sein Tod. Deswegen finde ich es wenig ergiebig, die Kreuzigung brutal genau darzustellen wie Mel Gibson in „Die Passion Christi“. Da ist mir Jesu Leben samt seiner Osterbotschaft lieber.

Die da lautet?
Farbe bekennen. Wie auf den Ostereiern. Die zurückweisen, die andere niedermachen. Und nach schwierigen Situationen wieder aufstehen. Bei uns lebt seit vier Jahren ein Flüchtling in der Familie, ein junger Mann aus Afghanistan, der mit dem Begriff Auferstehung nichts anfangen konnte. Er sagte: ja, klar, aufstehen. Nun wohnt er in Oberammergau, macht eine Ausbildung zum Tourismuskaufmann und verkauft Karten fürs Passionsspiel.

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