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Das Messemännchen steht in der leeren Glashalle der Leipziger Messe. (Archiv)

© dpa / Jan Woitas

Leipziger Buchmesse wegen Corona abgesagt: Eindrücke aus der Stadt ohne Messe

Eigentlich stünde gerade in Leipzig alles im Zeichen der Messe. Nicht so in Tagen von Corona. Literatur findet trotzdem Raum.

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, an diesem Freitagmorgen mit der Straßenbahnlinie 16 von Leipzigs Hauptbahnhof zum Messegelände in den Norden der Stadt zu fahren. Zu Buchmessezeiten ist es unerträglich voll in dieser Linie, da hilft kein Zwei-, Dreiminutentakt. Jetzt ist es bloß ein durchschnittlicher Leipziger Freitag, Alltag. An Stationen wie denen in Eutritsch, am Hornbach Baumarkt oder am St. Georg Krankenhaus steigt kaum jemand zu.

An der Endhaltestelle vor den Messehallen verlassen gerade einmal zwei Personen die Bahn und laufen hoch Richtung Sachsenparkgelände hinter dem Congress-Center. Die Leipziger Buchmesse hat auf dem Weg zur großen Glas- und Haupthalle ein paar rote Informationsschilder aufgestellt, darauf der Hinweis, dass Buchmesse, Antiquariatsmesse und Manga Convention abgesagt sind: „Nähere Informationen erhalten sie an der Rezeption im Messehaus“.

Zur Sicherheit steht trotzdem seit Donnerstagmorgen, dem Zeitpunkt, an dem die Messe beginnen sollte, ein Mitarbeiter einer Wachschutzfirma vor dem Eingang, um darüber zu informieren, dass hier wegen der Coronapandemie nichts stattfindet: „Es waren gestern ein paar Leute hier, die wussten von nichts, man wundert sich“, sagt der Mann. „Deshalb ist bis Sonntag immer jemand da von uns“.

Oben im Sachsenpark beim McDonalds scheint es zuzugehen wie immer an einem Wochentag um diese Zeit; die Angestellten aber sagen, dass es so ruhig wie nie sei, „Wenn Messe ist, geht es hier um sieben Uhr früh los, dann ist bis abends hier die Tür nicht mehr zu, da stehen die Leute Schlange“.

Auf dem Weg zurück zur Straßenbahn sieht man im kalten Märzwind schön die vielen Flaggen aus aller Welt vor dem Eingang zur Messegesellschaft Wehen. Ein gutes Sinnbild dafür, dass sich die ganze Welt in heller Corona-Aufregung befindet, bis hin nach Südamerika, wo nun auch Argentinien 30 Tage lang einen Einreisestopp für alle Europäer erlassen hat und Chile für Einreisende aus Italien und Spanien.

Straßenzüge wie ausgestorben

Es ist ganz sicher leerer in Leipzig als zu Buchmessezeiten. Ob es nun wegen der Corona-Gefahr auch sonst ruhiger zugeht? Schwer zu beurteilen. Ein Stadtteil wie Gohlis wirkt in manchen Straßenzügen wie ausgestorben. Das Schillerhaus ist dicht, das Gohliser Schlösschen genau so.

Das Kaffeehaus Riquet im Schumachergässchen ist am Donnerstagnachmittag auf beiden Etagen sehr gut besucht, kaum ein Platz zu finden. Auch die Max-Klinger-Ausstellung gegenüber im Museum der Bildenden Künste hat ihr Publikum, außer in den Etagen mit den Sammlungen des Hauses. Hier steht man angenehm allein vor den Gemälden etwa von Caspar David Friedrich im ersten Stock des Hauses.

Am Freitag dann wird das Haus wie viele Museen im Land geschlossen, zunächst bis zum 10.April. In Lehmanns Buchhandlung in der Grimmaischen Straße, ebenfalls im Zentrum der Stadt, heißt es an der Information, man würde den Messeausfall nicht bemerken, das Geschäft laufe wie immer gut. Auf den Buchpreisentscheid hat die Buchhandlung wie üblich schnell reagiert. Am Stand mit den Nominierten für die Belletristik prangt ein Extralese- und Gewinnerzeichen in Lutz Seilers Roman „Stern 111“.

Im Shop der Thomaskirche sagt die Verkäuferin, sie spüre es auffällig, wie viel weniger Menschen gerade in der Stadt sind. Bei ihr im Laden und auch in der Kirche, in der sich das Grab von Johann Sebastian Bach befindet, sei deutlich weniger los. Trotzdem, die geplanten Veranstaltungen in den weitverzweigten Räumlichkeiten der Thomaskirche finden weiterhin statt. So zum Beispiel die Reihe „Biographien im Gespräch“ mit Pfarrerin Anne Turre, dieses Mal über Sachsens letzte Königin Carola.

Es gibt trotzdem Lesungen

Tatsächlich gibt es trotz der abgesagten Messe noch ein paar Lesungen in Leipzig; bei den sich täglich überstürzenden Ereignissen vor allem am Donnerstag. Der Thriller- und Bestsellerautor Sebastian Fitzek trat vor ausverkauftem Haus im Central Kabarett auf, Josef Haslinger las in der Universitätsbibliothek aus seinem Missbrauchsbuch.

Die Veranstaltung mit Ulla Lenze hingegen, die am Freitag ihren Roman „Der Empfänger“ im Apothekenmuseum vorstellen wollte, wurde kurzfristig abgesagt. Genauso wie am späten Freitagnachmittag Ingo Schulzes Lesung in der Connewitzer Buchhandlung: „Wir haben uns darauf geeinigt, dass diese etwas größer als klein angedachte Veranstaltung doch ein falsch verstandenes Zeichen setzen könnte“, so die Buchhandlung auf ihrer Website. In der Stadt aber war Ingo Schulze, am Donnerstag las er noch im Haus des Buches, dem Sitz des Leipziger Literaturhauses, aus seinem Roman „Die rechtschaffenen Mörder“. Gut dreihundert Menschen sind gekommen, um Schulze zu sehen und lesen zu hören. Doch zuerst heißt es am Eingang: Hände desinfizieren. Die jungen Leute an der Kasse des Literaturhauses tragen alle Handschuhe.

Wie so häufig in diesen Tagen hat man das Gefühl, dass das alles sehr gut gemeint, aber unzureichend und lückenhaft ist. Die Luft im großen Lesesaal ist nicht die beste, kein Wunder bei so vielen Menschen, gehustet und geschnupft wird nur wenig. Die Begrüßung fällt knapp aus, von den aktuellen Ereignissen soll nicht die Rede sein, hier sende jetzt die Literaturstadt Leipzig ein deutliches Zeichen.

Moderator ist Thorsten Ahrend, der Geschäftsführer und Programmleiter des Literaturhaus Leipzig. Ahrend ist schon lange mit Schulze befreundet, seit 1994, erfährt man an diesem Abend. Ahrend wollte damals, da war er Lektor beim Gustav Kiepenheuer Verlag, den aus Altenburg stammenden Schriftsteller mit dessen Debüt „Simple Stories“ zu Kiepenheuer holen. Der Berlin Verlag aber sei schneller gewesen.

Wohltuende Ablenkung

Es ist wohltuend, an diesem Abend einmal anderthalb Stunden nichts vom Coronavirus zu hören, sich ganz auf Schulzes Roman und dessen Hauptfigur, den Buchantiquar Norbert Paulini konzentrieren zu können. Es macht viel Laune, so wie Schulze Passagen aus dem ersten großen Kapitel liest.

Nur erweckt das Gespräch, das Ahrend schließlich mit Schulze führt, den Eindruck, als sei die gemeinsame Freundschaft doch hinderlich. Ahrend steckt zu sehr in dem Roman drin.

Er traut sich nicht, auch nur einmal einen Schritt herauszutreten und die Pegida-, AfD- und Rechtsruck-Gegenwart sowie die vielen jüngsten rassistischen Morde als Folie für Schulzes Antiquar mit hereinzuholen.

So ist es der Schriftsteller selbst, der mehr und mehr versucht, weg von Paulini zu kommen. Der auf seine Erzählkonstruktion mit dem im zweiten Teil ins Geschehen eingreifenden Ich-Erzähler verweist, auf einen gewissen Schultze, mit tz: „Was ist mein Anteil an der Welt, von der ich erzähle, deshalb gibt es den Schultze.“

Schließlich verfügt Ingo Schulze, dass „wir nicht so viel vom Inhalt erzählen sollten“. Doch ist es da schon zu spät, die Lesung fast zu Ende. Draußen begibt man sich dann auf die Gerichtsstraße Richtung City, vorbei am LKG-Carré, dem Gebäude des ehemaligen Leipziger Kommissions- und Großbuchhandels. An dessen Ende ist im zweiten Stock ein Schriftzug angebracht: „Wer liest, begreift die Welt und denkt selbst.“ Das klingt großartig, überzeugend, her mit der Literatur! Nur mit dem Begreifen ist das in Coronaviruszeiten gerade so eine Sache.

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