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Das große Gedränge. Auf der Buchmesse präsentierten mehr als 2500 Aussteller ihre Neuerscheinungen.

© imago images / Christian Spicker

Leipziger Buchmesse: Die erste Liebe bleibt für immer

Verärgerte Verlierer, Instagram-Poeten und latente Krisenstimmung: Eindrücke von der Leipziger Buchmesse.

Bei vielen Lesungen ist es Usus, dass im Anschluss der Autor oder die Autorin eigene Bücher signiert. In Leipzig auf der Buchmesse ist das wegen des Halbstundentakts, in dem die Veranstaltungen stattfinden, oft nicht möglich, kommt aber hier und da vor. So steht Feridun Zaimoglu am späten Freitagnachmittag nach seiner Lesung im Literaturcafé ganz hinten in der Halle 5 minutenlang vor vielen seiner Fans, zwanzig, dreißig Menschen, um schön der Reihe nach ein Exemplar seines neuen Romans „Die Geschichte der Frau“ zu signieren, ein paar Worte zu wechseln oder alte Bekannte wiederzutreffen. Zaimoglu ist ein etablierter, erfolgreicher Autor, wie der Andrang nach seiner Lesung beweist. Doch gesteht er am Rande, dass es ihn ziemlich geärgert habe, wieder nicht den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen zu haben.

Kaum geschlafen vor Aufregung

Am Tag zuvor schon hatte er auf dem Blauen Sofa gesagt, dass er die Nacht zuvor kaum geschlafen habe, ihm immer schlecht werde, wenn er nur dran denke, und die Entscheidungsverkündung wie eine Erlösung sei. Nun ist er enttäuscht, ärgert sich auch darüber, enttäuscht zu sein und sich in Gedanken zu sehr mit der Kritiker-Jury zu beschäftigen. Man hätte das nicht gedacht, so entspannt und cool Zaimoglu meistens wirkt. Doch gibt es eine Vorgeschichte, die zumindest ein Hauch von Tragik umweht: Zaimoglu saß zum siebenten Mal bei so einer Verleihung in der Erwartung, einen Preis zu gewinnen, entweder in Frankfurt, wo alljährlich der Deutsche Buchpreis vergeben wird, oder hier in Leipzig.

Das darf tatsächlich irgendwann ärgern (aber Leonardo Di Cabrio brauchte acht Anläufe für einen Oskar!). Grundsätzlich gram schien Zaimoglu trotz der Nominierung noch anderen, vor allem männlichen Kritikern gewesen zu sein nach Veröffentlichung von „Die Geschichte der Frau“. Auf dem Blauen Sofa sagte er, dass man ihm sein Pathos nicht verzeihe bei der Kritik, dass er mit den Mitteln der Literatur eindeutig Partei ergreife für die Frau, dass er den hohen Ton, die schöne Sprache, das schöne Wort benutze, um damit den Frauen gerecht zu werden. „Das hat mich sehr erstaunt. Wie Internet-Trolle haben die sich an mir abgearbeitet. Das klang fast so, als hätte ich mit diesem Buch einen großen Betrugsversuch unternommen.“

Enttäuscht von den Kritikern

Die Literaturkritik hier, dort die Leser und Leserinnen, die sich nicht immer an der Kritik orientieren, dazwischen die Autoren und Autorinnen, um die es geht, die wirklich Kreativen, die natürlich ein großes Publikum haben wollen, aber eben genauso die Anerkennung der Kritik: Es ist eine schwierige, komplizierte Verbindung. Wer weiß das besser als Takis Würger, obwohl er gerade mal 33 Jahre alt ist und mit „Stella“ erst seinen zweiten Roman geschrieben hat? „Stella“ hatte Anfang des Jahres für eine ausgewachsene Literatur-Debatte gesorgt, nachdem er heftigst verrissen worden war, was wiederum dem Erfolg des Romans keinen Abbruch tat.

Würger zieht auch in Leipzig von Stand zu Stand. Souverän sitzt er inzwischen auf den Podien und lässt sich befragen, wartet immer mal wieder auf den Applaus aus dem Publikum, wenn er selbst mal keine Antwort auf bestimmte Fragen zu seinem Roman hat, winkt Leuten zu, die er im Publikum kennt.

Er ist aber auch selbst als Moderator unterwegs. Am Freitagmittag sitzt Würger am Stand des Deutschen Taschenbuch Verlages (dtv), genauer an dem von bold, einem dtv-Sublabel, das sich mit Büchern von social-media-affinen Autorinnen an eine junge Leserzielgruppe wendet, speziell die digital natives, und befragt hier einen Autor, der wie der Rapper Cro nur mit einer silbernen Maske auftritt. Atticus heißt der Maskenmann, er wurde in Kanada geboren, lebt an der US-Westküste und ist das, was man heutzutage einen „Instagram-Poeten“ nennt. Seine Gedichte sind zuerst bei Instagram erschienen, wo er inzwischen eine drei Viertel Millionen Abonnenten hat; Gedichte, die jetzt in einem schönen Buch erschienen sind, solche wie dieses: „Das Wunderschöne an der ersten Liebe/ist die Gewissheit/in unseren Herzen/dass sie für immer ist.“ Oder: „Zu lieben ist mir viel zu riskant,/ sagte der junge Mann./Nein, sagte der Alte,/es ist viel zu riskant, es nicht zu probieren.“

Sehnsucht nach dem Analogen

Viele sind hübsch, manche ein bisschen kitschig, Gebrauchslyrik. Man bemerkt aber, trotz Maske, trotz Instagram, die Sehnsucht nach dem Analogen bei Attikus. Vor ihm und Würger ist eine große alte Schreibmaschine zu sehen, auf welcher Attikus Gedichte und Zeilen für seine Fans schreibt, auf dass diese sie einrahmen und in ihr Jungs-oder Mädchenzimmer hängen können. Es ist die Rückübertragung des Digitalen ins Analoge, soviel Haptik und Fan- und Erinnerungsfetischismus muss sein. Man sieht es auf dieser Messe an vielen Ständen, wie die Jugend umworben wird, gerade bei den literarischen Verlagen wie eben dtv oder Fischer mit seinem Sci-Fi-Fantasy-Label Tor oder bei Piper, wo die Verlegerin Felicitas von Lovenberg sich mit ihren All-Age-Fantasy-Autorinnen Laura Kneidl und Nina MacKay ablichten lässt. Für Piper sind das unverzichtbare Einnahmen, jenseits der anspruchsvollen Literatur, die hier natürlich auch verlegt wird, aber gerade in Krisenzeiten ökonomisch nur am Rand von Bedeutung ist.

Und von Krisenstimmung kann man sprechen, auch wenn das wie üblich auf einer Messe sich nicht so bemerkbar macht. Aber wie sagte es Britta Jürgs, die Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung bei der Verleihung des Kurt-Wolff-Preises an den Merlin Verlag und des Förderpreises an die edition.foto.Tapeta, angesichts der Insolvenz des größten Buchlieferanten im deutschsprachigen Raum, der KNV-Gruppe: „Viele kleine Verlage verlieren einen großen Teil ihres jährlichen Umsatzes dadurch. Sie werden Schwierigkeiten haben dieses Loch zu füllen und nicht sogar selbst insolvent zu werden.“

Kleinverlage geraten ins Schlingern

Bislang hat man zwar von schlingernden Kleinverlagen angesichts der KNV-Insolvenz noch nichts gehört, schlingern tun diese Verlage ja immer, sie sind das gewohnt. Aber das Ausmaß lässt sich ermessen, wenn ein Verlag wie Voland & Quest einfach mal Zahlen nennt: Er hat 65 000 Euro offene Rechnungen wegen dieser Insolvenz, das sind bei ihm 12 Prozent des Jahresumsatzes. Trotz diverser Probleme wie etwa dem mit der KNV-Gruppe ist dieses Jahr in Leipzig business as usual angesagt gewesen – Aufreger gab es nicht, so wie in den vergangenen Jahren der Umgang mit den rechten Verlagen, wirkliche Höhepunkte oder erhöhtes Promi-Aufkommen genau so wenig, und am Ende ist das vielleicht das beste, was einer Messe wie der Leipziger passieren kann. Auch Bücher sind schließlich immer dann die besten, wenn sie nicht auf Spektakel aus sind.

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