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In Istanbul protestieren Demonstranten nach dem Mord an Jamal Khashoggi gegen den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.

© Yasin Akgul/AFP

Lehren aus dem Fall Khashoggi: Eine Revolution macht noch keinen Frühling

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman ist kein Reformer. Über verlorene Hoffnungen und neue Illusionen im Umgang mit der arabischen Welt.

Wieder wird eine Hoffnung enttäuscht. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman ist kein Reformer. Als „vorsichtigen Liberalisierer“ hatten europäische Medien ihn porträtiert. Sie ahnten wohl, dass der Spross eines absolutistischen Herrscherhauses sich nicht als geborener Demokrat entpuppen werde. Gewünscht haben sie es dennoch. Immerhin ist er mit seinen 33 Jahren der Repräsentant der jungen Generation und hat das Fahrverbot für Frauen gelockert. Und brauchen wir nicht Hoffnung, gerade in einer so von Enttäuschung geprägten Weltregion wie den arabischen Staaten?

Doch nun hat MBS, wie sein Name gern abgekürzt wird, mutmaßlich einen unliebsamen Journalisten ermorden lassen: Jamal Khashoggi. Zudem stellen er und seine Handlanger sich ausgesprochen dämlich an, erst bei der Tat und nun, nachdem die Geheimaktion aufgeflogen ist, bei ihren Erklärungsversuchen. US-Präsident Trump spricht von „einem der schlechtesten Vertuschungsversuche aller Zeiten“. Der Thronfolger ist nicht nur kein Reformer, er ist auch noch ein Dilettant an den Schalthebeln der Macht.

Soll das heißen: Wenn schon Mord, dann bitte professionell? Das wäre eine brutale und zynische Perspektive. Und doch sollte man sich auf sie einlassen. Denn sie öffnet eine weitere widersprüchliche Facette im westlichen Blick auf Arabien. Was durfte man denn erwarten von einem Geheimdienst, der es nicht gewohnt ist, dass sein Handeln öffentlich diskutiert werden könnte – und von einem autoritären Herrscher, der es nicht gewohnt ist, sich rechtfertigen zu müssen?

Den gleichen Dilettantismus offenbart MBS als saudischer Verteidigungsminister in der Kriegsführung im Jemen. Dort leiden Millionen Menschen unter der Unfähigkeit zu professioneller Konfliktaustragung. Da helfen auch keine westlichen Waffen, um die militärischen Operationen des saudischen Königreichs vom Mittelalter in die Moderne zu katapultieren. Nicht die Ausrüstung ist das Problem, sondern die Vorstellung in den Köpfen. Die Jemeniten werden nicht als Bürger mit den Grundrechten der UN-Charta betrachtet, sondern als rechtlose Untertanen. Ein Generationswechsel, lehrt diese Erfahrung, bringt noch keinen Fortschritt. Auch diese Hoffnung war früher in Deutschland verbreitet.

Die Hoffnung, dass sie etwas bessert wird ständig wiederlegt

So steht der Fall Khashoggi/MBS für ein grundsätzliches Problem im Umgang Europas und Deutschlands mit der arabischen Welt. Herz und Kopf ringen miteinander. Wir brauchen beim Blick auf den Krisenbogen von Marokko im westlichen bis zu Syrien im östlichen Mittelmeer die Hoffnung, dass sich etwas bessern kann. Der analytische Blick widerlegt diese Hoffnung jedoch ein ums andere Mal.

Im Arabischen Frühling 2010 und 2011 haben die Deutschen mit den Trägern der Bewegung mitgefiebert, von Tunesien bis zum Tahrir-Platz in Kairo. Bald aber schlug die Stimmung in Erschrecken um, als die Revolutionen außer Kontrolle gerieten, bewaffnete Reiter und andere finstere Gestalten die Demonstranten angriffen und Frauen auf dem Tahrir-Platz sexuell belästigten, als Fundamentalisten Wahlen gewannen und schließlich die Konterrevolutionen der Anciens Regimes als geringeres Übel erschienen.

Diese Enttäuschung hatte zwei Ursachen: die Entwicklungen dort und unsere unrealistischen Erwartungen. Die orientierten sich weniger am nüchternen Blick auf die realen Bedingungen, Entwicklungsmöglichkeiten und Begrenzungen am Ort des Geschehens und mehr am eigenen Erfahrungshorizont. Die friedlichen Revolutionen gegen die Diktaturen in Ostmitteleuropa waren noch in Erinnerung.

Die Freiheit schien ganz nah

Im Dezember 2010, als die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohammed Bouazizi im Landesinneren Tunesiens zum Fanal wurde, gab es unter den Fernsehzuschauern in Deutschland wenig Zweifel, welche Seite ihre Empathie verdiente. Binnen weniger Tage breiteten sich die Proteste auf das ganze Land aus. Vier Wochen später floh das Staatsoberhaupt Zine el Abidine Ben Ali nach 23 Jahren autokratischer Herrschaft aus dem Land. Wieder einmal hatte die Freiheit gesiegt, das war der erste Befund.

Das Narrativ handelte von technischem und sozialem Fortschritt, der die alte Ordnung verdrängt. Die noch relativ neuen sozialen Netzwerke hatten den Demonstranten geholfen, sich zu organisieren und ihre Botschaft zu verbreiten. Der hohe Anteil junger Menschen an der Bevölkerung und das Missverhältnis zwischen ihrer oft guten Ausbildung und ihren schlechten Anstellungsaussichten ließen die Überwindung der überkommenen Herrschaftsstrukturen zwangsläufig erscheinen. Wer damals auf die strukturellen und historischen Unterschiede zwischen der arabischen Welt und den Völkern Ostmitteleuropas hinwies – die Prägung durch die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution sowie den Umstand, dass die Ostmitteleuropäer bereits Erfahrungen mit dem Aufbau und dem Scheitern ihrer kurzlebigen Demokratien gemacht hatten, was ihre Aussichten im zweiten Anlauf verbesserte –, riskierte, als Spielverderber dazustehen.

Die Arabische Revolution gab Mut, dann folgten Bürgerkriege

Die USA regierte Barack Obama. Seine Botschaft von „Hope“ und „Change“ war noch nicht diskreditiert. In seiner Kairoer Rede hatte er der muslimischen Welt im Juni 2009 einen neuen Umgang angeboten. Kein Land solle einem anderen das Gesellschaftsmodell aufzwingen. Er betonte zugleich, dass auch viele Muslime sich mehr Demokratie wünschen und islamische Frauen Rechte haben.

Von Tunesien breiteten sich die Arabischen Revolutionen rasch aus: nach Algerien, Libyen und, psychologisch wichtig, nach Ägypten, die potenzielle Führungsnation Arabiens. Der Tahrir-Platz in Kairo wurde zum zentralen Schauplatz. Hosni Mubarak, der seit 30 Jahren herrschte, musste nach dem „Tag des Zorns“ am Freitag, 28. Januar 2011, Macht abgeben. 14 Tage später trat er zurück, auch dank US-Druck. Obama setzte auf Machtwechsel.

Über diesen Mut machenden Bildern wurde leicht übersehen, dass die Proteste in anderen Staaten rasch erstickt wurden: in Algerien, im Irak, in Bahrain, dort übrigens mit saudischer Hilfe. In Libyen und im Jemen eskalierte das Aufbegehren in einen Bürgerkrieg. In Jordanien und Kuwait gelang es den Herrschern, den Unmut durch ein Auswechseln der Regierungen zu besänftigen.

Saudi-Arabien reagierte mit einer Doppelstrategie. Der Herrscher erließ ein Demonstrationsverbot und setzte es gewaltsam durch. Und er verteilte soziale Wohltaten aus den Öleinnahmen und gestand den Frauen das Wahlrecht für die Kommunalwahl 2015 zu.

Die Revolution endete mit Konterrevolution

Bewusstseinsprägend wurden die Entwicklungen in Ägypten und Syrien. Nach Mubaraks Rücktritt gewannen die Muslimbrüder und andere islamische Parteien die Wahl in Ägypten. Ihr Vorsitzender Mohammed Mursi wurde Präsident. Die verfassungsgebende Versammlung beschloss eine neue Verfassung, die auf dem islamischen Recht, der Scharia, basierte. Das führte zu Massenprotesten der liberaleren Kräfte und zum Putsch des Militärs, ermuntert von den USA. Die Revolution endete mit Konterrevolution.

Ebenso in Syrien. Baschar al Assad, dessen Herrschaftssystem sich nur auf eine Minderheit der Stämme und Religionsgemeinschaften stützt, unterdrückte die Proteste gewaltsam und setzte eine neue Regierung ein, konnte das Aufbegehren aber so nicht eindämmen. Soldaten desertierten und bildeten die „Freie Syrische Armee“. Der Bürgerkrieg begann.

Syrien zeigt es - auch moderne Herrscher bringen nicht den Wandel

Ausgerechnet Baschar al Assad. Als er ein Jahrzehnt zuvor, im Jahr 2000, mit 35 Jahren die Nachfolge seines diktatorischen Vaters Hafiz al Assad antrat, war er im Westen als Hoffnungsträger begrüßt worden. Der Generationswechsel wurde als Bruch mit einer brutalen Vergangenheit interpretiert. Baschar hatte keine militärische Ausbildung. Er war seinen Neigungen gefolgt, hatte Medizin studiert, war in London zum Augenarzt ausgebildet worden, galt also als einer, der durch die Erfahrung westlicher Demokratie geprägt ist. Als First Lady hatte er Asma an seiner Seite: eine in Großbritannien geborene Syrerin, die Finanzwissenschaftlerin war und zudem bildhübsch. Schon damals gewannen die Hoffnungen die Oberhand über die nüchterne Analyse. Mit dem modernen wie mondänen Herrscherpaar werde die Aufklärung Einzug halten. Dabei hatte sich an den Herrschaftsstrukturen und den Interessen der Clans, die das Regime stützten, nichts geändert.

Sanfte Reformen, statt blutige Revolution?

Es muss nicht immer blutig kommen. Auch in Jordanien und Marokko hatten 1999 junge Monarchen den Thron bestiegen. Auch sie waren westlich geprägt und hatten moderne, fotogene Frauen. In Jordanien König Abdullah II., 38 Jahre, ausgebildet in Oxford und Washington DC, mit Königin Rania (29 Jahre) an seiner Seite. In Marokko der 36-jährige Mohammed VI. König mit der 21-jährigen Informatikerin Lalla Salma.

Was immer sich der britisch geprägte Arzt Baschar al Assad für Syrien vorgenommen hatte – die Struktur der Gewalt erwies sich als stärker: Setz dich durch. Oder stürze, weil du als schwach giltst.

Andererseits muss die Hoffnung nicht trügen. Abdullah II. in Jordanien und Mohammed VI. in Marokko regieren vergleichsweise moderat und haben mit Reformen dem „Wind of Change“ des Arabischen Frühlings getrotzt. Ist das nicht besser als eine Revolution, die die Monarchie beendet, aber zu Blutvergießen führt?

Und Saudi-Arabien? Worauf gründete die Hoffnung auf „vorsichtige Liberalisierung“? Mohammed bin Salman hat nicht einmal im Westen studiert. Er wurde sein junges Leben lang durch die Regeln und Privilegien eines absolutistischen Herrscherhauses geprägt. Wir in Europa wollen hoffen dürfen, dass sich auch in Saudi-Arabien etwas zum Besseren wenden kann. Die Wendung im Fall MBS/Kashoggi jedoch sollte nicht überraschen.

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