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Kultur: Leb wohl, meine Bienenkönigin!

Honig vom Dach: 500 Imker gibt es in der Stadt, es werden immer mehr. Eine Bewegung hin zu mehr Nachhaltigkeit.

Berlin ist eine blühende Landschaft – zumindest für Bienen. Um die 400 000 Bäume stehen in der Hauptstadt, 20 Prozent der Fläche sind mit Wald bedeckt. Da kann so eine Großstadtbiene ihre Emsigkeit voll ausleben. Tut sie auch: Seit ein paar Jahren versuchen Imker und Imkerinnen in Berlin, beim urban beekeeping die Bienenvölker aufzustocken, und den Prozentsatz an heimischem Honig zu vergrößern. Die 3000 Völker, die hier momentan von ungefähr 500 Imkern betreut werden, haben es wie im Paradies: Jede Menge leckerer Linden, im Durchschnitt ein paar Grad Celsius mehr als auf dem Land, und keine Pestizide, an denen in den letzten Jahren viele Bienen, die auf den Feldern leben, eingegangen sind.

Annette Mueller, die die Imkergemeinschaft „Berliner Honig“ gegründet hat, kann Fakten und Informationen über ihre Lieblingstiere so leidenschaftlich herunterbeten, dass man sofort Lust bekommt, ein kleines, fleißiges Völkchen auf dem Balkon aufzustellen. In ihrem Laden in einem der beeindruckenden Hochhäuser am Platz der Vereinten Nationen, in dessen Hinterräumen der ungefilterte Honig der Mitglieder abgefüllt wird, riecht es süßlich und frisch. „Wir gehen jetzt den Weg des Honigs“, sagt Mueller, und zeigt Fässer, in denen der Honig geliefert wird, und verschiedene Abfüllungsmaschinen. Am Ende stehen die Paletten mit den Gläsern, auf denen neben der Blüte vor allem auch der Name des Imkers steht.

Das sind nicht ausschließlich Hauptstädter, die Mitglieder stammen teilweise aus dem Umland und lassen ihre Völker auf Brandenburger Feldern fliegen. „Die Biene ist nach Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier“, erklärt Mueller, und frischt die Bienenvolkfakten, die über die Jahre schon mal ein wenig verloren gegangen und durch zu viel Biene-Maja-Gucken verdreht worden sein können, anhand eines großen Bienenkorbmodells auf, in dessen Fenstern lächelnde Bienenplastikfiguren stehen. Königin, Arbeiterinnen, Drohnen, der Königinnenfuttersaft Gelée Royale, bis zu 40 Kilo Honig kann ein Volk bestenfalls pro Jahr produzieren. Und dann das große Bienensterben: In den letzten zehn Jahren sind 30 Prozent des Bienenbestands Deutschlands verschwunden, die Gründe sind die Verschmutzung durch Pestizide, die Überalterung der Imker und Bienenkrankheiten.

Mueller und die angeschlossenen Imker und Imkerinnen arbeiten dagegen. Die meisten als Hobby, selten kann jemand vom Imkern leben – die einzelnen Vereinsmitglieder haben zu wenige Völker, um genug Honig für ein ernst zu nehmendes Auskommen zu produzieren. Der Berliner Honig ist kein zertifizierter Bio-Honig, aber er ist naturbelassen, stammt aus fairem Handel, und seine Regionalität ist der größte Vorteil: Nachhaltiges Imkern beginnt mit dem Vermeiden von langen Wegen. Man versuche bewusst, den Honig – neben Feinkostgeschäften und Delis – in Supermarktketten zu verkaufen, sagt Mueller, um auch Menschen anzusprechen, für die Nachhaltigkeit noch kein relevantes Thema ist.

Dass man für ein Glas Robinienhonig von echten Großstadtbäumen ziemlich viele Euro mehr als für die Quetschflasche von Langnese hinblättern muss, irritiert aber viele Kunden, erzählt Mueller. Der Konsum von einheimischem Honig kratze ohnehin nur geringfügig am Verkauf des industriell hergestellten, in vielen Fällen durch Erhitzung und Strecken verlängerten Produkts, das auf den Frühstückstischen steht. „80 Prozent des in Deutschland gegessenen Honigs kommt aus dem Ausland“, sagt Mueller, übrigens auch bei Bio-Honig ein Problem: „Mischung aus EU- und Nicht-EU-Ländern“ steht meistens auf den Gläsern, und das bedeutet lange, unnütze Wege, vielleicht sogar aus Übersee.

Erika Mayr hat ihre Kästen auf dem Dach eines Fabrikgebäudes in Kreuzberg. Sie führt gerade eine Studentengruppe aus Detroit hinauf, die eine Menge Grundwissen über urbanes Imkern mitbringen: In fast allen Großstädten der Welt ist die Szene in den letzten Jahren explodiert. Die Bienenkästen sehen aus wie große Call-a-Pizza-Isolierschachteln in Weiß, sie beherbergen fünf Völker, die, wie Mayr erzählt, auch immer genau wissen, wo ihre Königin wohnt, und nicht aus Versehen vor der falschen Haustür herumsummen.

Am gleichen Tag hat sie die Lindentracht geerntet, um die zwölf Kilo Honig könnten es werden. Eigentlich kann man mehr ernten“, sagt Mayr, aber in diesem Jahr schaffe das keiner. Die Bienen sind damit beschäftigt, das Klima im Stock aufrechtzuerhalten. Nach dem Ernten muss der Honig zwei Wochen lang ruhen, dann setzt sich oben Wachs ab, den man „absieben“ muss. Mayr hat ihr Handwerk beim Imkerverein Charlottenburg gelernt, mit einem „Imkerpaten“, der ihr zur Seite stand, ehrenamtlich natürlich.

Sie erzählt vom „schwachen Gesundheitszustand“ der Honigbiene, die mit der Varroamilbe zu kämpfen hat, ein Parasit, der sich an der Biene festbeißt und den Bestand schwächt, vor allem, wenn noch Krankheiten und Pestizide dazukommen. Gesunde Bienenstöcke sind also, wie die Zeigerpflanzen, ein Indikator für eine intakte Umwelt. Trotz hoher Neuimkerzahlen steigt die Anzahl der Völker, die eh regelmäßig alle sechs Wochen (jedenfalls im Sommer) sterben, nicht so rasant, weil die jungen Imker und Imkerinnen oft nur ein oder zwei Völker betreuen. „In Deutschland gibt es momentan 750 000 Bienenvölker“, sagt Mayr, „1920 gab es zwei Millionen.“ Wenn man mehr Menschen hätte, die die Völker betreuen, könnte man jede Menge neue machen, sagt Mayr, denn die Bienen reagieren auf den Imker: Nimmt man eine Königin weg, füttern die Bienen eine oder mehrere neue Larven mit dem Zauberzeug Gelée Royale. Die erste, die schlüpft, bringt die anderen Königinnenlarven dann schnell um die Ecke: Vor Stichen braucht man sich nicht zu fürchten, aber Kuscheltiere sind Bienen nicht.

Nützlich aber sind sie allemal: Für die vielen geplagten Pollenallergiker in Deutschland gibt es mit steigendem Honigkonsum den Vorteil, dass man sich angeblich mit regelmäßigem Verzehr ab Herbst selbst desensibilisieren kann: Jeden Tag einen Löffel – und dann mal gucken, ob im nächsten Frühling noch die Augen tränen, wenn die Linde blüht.

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