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Der Mann mit der Ledertasche. Leander Haußmann liest sich selbst. Foto: Hannibal/dpa

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Leander Haußmanns Autobiografie „Buh“: Einfach loofen lassen

Anekdoten aus dem Leben eines Regisseurs: Leander Haußmanns Autobiografie „Buh“.

„Buh“ heißt also das literarische Erstlingswerk jenes Mannes, den der FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier zu „Deutschlands fröhlichster Regienull“ adelte und den das Berliner Ensemble auf seiner Website rührend als „schillernde Figur“ und „ewiges Enfant terrible“ vorstellt. Logisch, dass da bei der Buchpremiere Montagabend im BE-Rangfoyer erst mal ordentlich Werktitel-Exegese betrieben werden muss. Anders als in der Presse kolportiert, spricht also die schillernde Figur, während sie ihr Werk – „Ich versuche hier gerade, angemessen schrullig zu wirken“ – aus einer braunen Buchhalteraktentasche herausfingert, sei „Buh“ nämlich mitnichten automatisch negativ aufzufassen. Vielmehr könne es, grinst das Enfant terrible jetzt aus seinem grauen Underdog-Strickpullover hinter dem Stehlesepult hervor, auch allerhöchstes Lob bedeuten; jedenfalls aus den entsprechenden Mündern. Zustimmendes Gelächter im Publikum, wo sich viele Kollegen und andere Fans des Schauspielers, Film- und Theaterregisseurs Leander Haußmann versammelt haben.

Nun ist Haußmann ja bekanntlich ein Künstler, über den sich außer diversen Theatertreffen-Einladungen bis dato überdurchschnittlich viele „Buhs“ ergossen haben. Der Titel geht also in geradezu dokumentarischer Weise in Ordnung; selbst wenn nicht jeder Zwischenruf wirklich wahnsinnig differenzierungsbedürftig war. Wie dem auch sei: Haußmann referiert seine Pleiten mit souveräner Selbstironie, was das autobiografische Buch ziemlich sympathisch macht. „Mitten unter den sich prügelnden Premierengästen“, notiert er zum Beispiel zum legendären „Fledermaus“-Fiasko 1997 an der Bayrischen Staatsoper München, „befindet sich auch der Intendant der Wiener Staatsoper, Herr Holländer“ – mit dem Haußmann seinerzeit bereits einen Folgejob verabredet hatte. „Noch auf dem Briefpapier seines Hotels ’Vier Jahreszeiten’“, heißt es im Buch weiter, „verfasst er folgende Nachricht an mich: ’Herr Haußmann, Sie können es nicht. Bitte nehmen Sie Abstand von der Inszenierung ,Lustige Witwe‘ an der Wiener Staatsoper.’“

Anspruch auf Vollständigkeit erhebt „Buh“, das seinen Holzhammer-Ironie-Untertitel „Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück“ gar nicht nötig hätte, dankenswerterweise nicht. Haußmanns Party- und Karrierestationen – Druckerlehre, mehr oder weniger künstlerisch motivierte Besäufnisse in der ersten eigenen Friedrichshagener Bude, Schauspielausbildung, Vor-Mauerfall-Engagements in Gera und Parchim, der Ausreiseantrag oder die Bochumer Intendanz inklusive ihres lautstarken Endes – werden weniger chronologisch ausgewalzt als assoziativ aneinandergestrickt: Man muss sich den 272-Seiter als eine Art Anekdotensammlung vorstellen, die des öfteren an die Haußmann-Verfilmungen von „Sonnenallee“ und „Herr Lehmann“ denken lässt und der die knackige Pointe erwartungsgemäß näher liegt als Detailtreue und Tiefenanalyse – woraus sie natürlich auch keinen Hehl macht. Im Grunde charakterisiert der Autor sein Verfahren in einem veritablen Genieanflug, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, selbst: „Als ich einmal meinen Freund Frank Castorf fragte“, so Haußmann im Prolog des Buches, „wie er denn das alles hinbekomme mit den Freundinnen, über die er in einem fort jammert, und den vielen Kindern, ... und ob das nicht, vor allem organisatorisch, schwierig sei, musste er nicht einmal nachdenken, um mir zu antworten: ,Weeste Leander, ick lass et einfach loofen.‘“

Relativ nahtlos lässt et Haußmann also loofen zwischen bizarren Nachwende-Psychotherapiesitzungen, denen er sich wegen eines Burnout-Verdachts unterzog und in deren Verlauf er dem behandelnden Arzt dezidiert auseinandersetzte, warum „Das Leben der Anderen“ ein „Scheißfilm“ sei, und nicht minder bizarren Karl-Marx-Feierlichkeiten, die die Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“ in den Achtzigern zu veranstalten pflegte. „Nicht nur“, schrieb damals ein empörter Kommilitone seine „Meinung zum Studenten Haußmann“ in einem äußerst lesenswerten Bericht für das MfS nieder, „dass er während der Vorstellung im Foyer der Schule störend war, er qualifizierte das Programm und die Leistung seiner Mitstudenten als ,Scheiße‘ ab.“

Weiter lässt et Haußmann loofen von frühjugendlichen optischen Nickelbrillen-Maßnahmen, die „einen vergeblichen Versuch darstellten, visuell in die Nähe John Lennons zu kommen“, bis hin zu Einlassungen über seine berühmte Sippschaft: Der Großvater hat ein Taschenmesser erfunden, die Großmutter war mal mit Hermann Hesse verheiratet, und die Großkusine heißt Meret Oppenheim. Dann läuft et lässig weiter vom Gratis-Chemiedrogenkonsum in der volkseigenen Druckerei für staatstragende DDR-Printprodukte hin zu den „Don-Carlos“-Proben, auf denen sich der Vater des Regisseurs – der Schauspieler Ezard Haußmann – als König von Spanien hartnäckig weigerte, „ans Geschlechtsteil zu fassen“.

Bei der Leseperformance im BE, durch die „Buh“ gewinnt, weil Haußmanns Selbstironie, mit der er seine offensiv präpotenten Jungsergüsse vorträgt, live noch deutlicher zutage tritt, konzentriert er sich auf Theater-Passagen. Das Buch enthält Peymann-, Heiner-Müller- oder Edward-Bond-Anekdoten en masse. Besonders lustig ist das Kapitel über den ob Haußmanns spärlicher Heimbibliothek gründlich schockierten Botho Strauß, vom Autor bei der Lesung eingeleitet mit dem gut gelaunten Satz: „Als ich der hottest Director in Deutschland war, so mit 29, erreichte mich der Anruf, dass ich eine Strauß-Uraufführung machen soll – was mich schon deshalb nicht beeindruckte, weil ich gar nicht wusste, wer das ist.“

Grund zu guter Laune haben nach der Lektüre übrigens auch wir Theaterkritiker – sind doch zwischen all den Anekdoten auch grundsolide Haußmann’sche Selbstreflexionen zu entdecken! „Damals hatte ich viele lustige Ideen“, sinniert der Regisseur etwa über eine frühe Schaffensphase. „Heute bin ich für jede lustige Idee, die ich nicht habe, dankbar.“ In diesem Punkt sind wir absolut d’accord – auch im Vorfeld zu Haußmanns „Hamlet“-Premiere am BE im November!

Leander Haußmann: „Buh“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 272 S., 18,99 Euro

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