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Verzweifelter Poet. Piolo Pascual in der Rolle des Hugo.

© Giovanni D. Onofrio

Lav Diaz’ „Season of the Devil“ im Wettbewerb: Gesungene philippinische Geschichte

Strapaze und Offenbarung: Lav Diaz’ zeigt in dem Berlinale-Wettbewerbsfilm „Season of the Devil“ philippinische Gewaltgeschichte als Musical.

Von Andreas Busche

Der philippinische Dschungel ist kein Paradies. Menschen verschwinden spurlos, in der grünen Hölle treibt eine folkloristische Teufelsgestalt mit Entenschnabel ihr Unwesen. In der exzessiven Natur, die die Tonspur von Lav Diaz’ „Season of the Devil“ dominiert, lauert der Tod. Eine der Armee unterstellte paramilitärische Einheit verbreitet Ende der siebziger Jahre ein Regime des Terrors, ganze Dörfer werden ausgelöscht. Schwerbewaffnete Männer patrouillieren den entlegenen Landstrich, in dem das Dorf Ginto liegt. Angeführt wird die Miliz von einer Söldnerin, deren Brutalität der ihrer Mitstreiter in nichts nachsteht. In der kleinen Gemeinde am Rand des Dschungels lebt auch die Ärztin Lorena (Shaina Magdayao), sie kümmert sich um die verarmte Landbevölkerung und setzt sich, unterstützt vom Dorfweisen, gegen die Willkür der Soldaten zur Wehr.

Der philippinische Regisseur Lav Diaz ist mehr als ein Chronist seines Landes, in seinen Filmen betreibt er eine regelrechte Archäologie der philippinischen Geschichte. Vor zwei Jahren lief im Wettbewerb sein achtstündiges Epos „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“, das die gescheiterte Revolution gegen die spanischen Kolonialisten Ende des 19. Jahrhunderts behandelt. Der Mysteryhistorienfilm „From What Is Before“, in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet, spielt im Jahr der Machtübernahme von Ferdinand Marcos 1972. Vor zwei Wochen startete in Deutschland der Löwen-Gewinner „The Woman Who Left“, der ein düsteres Licht auf die Phase zwischen der Ära Marcos und der Schreckensherrschaft des aktuellen Präsidenten Rodrigo Duterte wirft. In der Chronologie der philippinischen Geschichte ist „Season of the Devil“ einige Jahre nach „From What Is Before“ angesiedelt: Das Marcos-Regime hat sich gefestigt und sein Gewaltmonopol in den Provinzen an paramilitärische Truppen delegiert, die gewaltsam gegen die Bevölkerung vorgehen.

Erbe des postkolonialen „Dritten Kinos“

Mit seinem umfangreichen Œuvre hat sich Lav Diaz heute als legitimer Erbe des postkolonialen „Dritten Kinos“ der sechziger Jahre etabliert. Doch wie alle seine Filme ist auch „Season of the Devil“ kein politisches Traktat. Schon ihre Längen erfordern ein höheres Bewusstsein als das einer bloßen politischen Botschaft. Es geht immer auch ums Aus- und Durchhalten, physisch wie psychisch: eine zeitliche Erfahrung, die Diaz’ Arbeiten so formal rigoros und gleichzeitig erzählerisch offen gestaltet. Mit knapp vier Stunden gehört „Season of the Devil“ zu seinen kürzeren Filmen, aber es reicht immer noch für eine gründliche Immersion in die Leidensgeschichte der Philippinen.

Diaz’ männlicher Protagonist, der bekannte Dichter Hugo Haniway (Piolo Pascual), ist bereits zu Beginn innerlich an seinem Land zerbrochen. Er schwört der Kunst ab, die keine Heilung verspricht, kein Bewusstsein schafft. Und da die Landesgeschichte poetisch nicht mehr erzählbar ist, wählt auch Diaz einen anderen Übermittlungsweg, eine Art gesungene Oral History. 33 Lieder hat er geschrieben, sie ersetzen in „Season of the Devil“ die gesprochenen Dialoge. Diaz nennt seinen Film eine „Rock Oper“, aber korrekterweise müsste man sagen, dass es sich musikalisch eher um ein „Folk Musical“ handelt. Wie der Musikanthropologe Alan Lomax hat Diaz die Geschichten seiner Landsleute gesammelt und in einfache Protestlieder verwandelt, in denen die Gewalt, der Schmerz und gelegentlich sogar Hoffnung durchscheint.

Seine Gewaltgeschichte erzählt Diaz durch ein Prisma menschlicher Schicksale. Hugo macht sich auf den Weg nach Ginto, um seine Frau Lorena zu finden. In den Wäldern lebt Sinta (Pinky Amador), von den Soldaten nur „Eule“ genannt. Die Milizen haben ihre Familie ermordet, nun spukt sie durch den Dschungel. Sinta verkörpert die heidnische Folklore, die das Militär mit aller Gewalt auslöschen will. Der mythisch überhöhte Herrscher der Region hat auch zwei Kurzauftritte, er ist ein grotesker janusköpfiger Tyrann, der als einziger im Film nicht singt. Seine Worte sind ein einziges Keifen, keine Sprache; jedenfalls haben sie keine Untertitel.

Die letzte Stunde, wenn alle Figuren zusammenkommen, ist der Höhepunkt von „Season of the Devil“. Durch das noch stärker expressionistische Licht wird die physische Dimension der Gewalt betont. Die Figuren von Lav Diaz bis hierhin zu begleiten ist eine emotionale Strapaze. Aber seine vierstündige Moritat ist auch eine Offenbarung.

21.2., 12.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast ) und 18.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 22.2., 9.30 Uhr (HdBF)

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