zum Hauptinhalt
Krone der Schöpfung. Lars Eidinger als Hamlet in Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung. In der Reihe „Backstage“ erscheint im Verlag Theater der Zeit ein Band mit Interviews, die Michael Eberth mit Eidinger führte (150 Seiten, 15 €). Wir drucken daraus einen Auszug. Buchpremiere ist am 20. März in der Schaubühne.

© Claudia Esch-Kenkel/dpa

Lars Eidinger: „Ich suche die totale Verwandlung“

Proben, Partnerinnen, Männerposen: Ein Gespräch mit dem Schauspieler Lars Eidinger.

Eine junge Regisseurin hat vor kurzem darüber geklagt, dass unser Theaterbetrieb nur noch aus Kalkül und Routine besteht. Siehst du das auch so?

Die Gefahr der Routine sehe ich bei mir überhaupt nicht.

Was tust du dagegen?

Nichts. Ich gehe ins Theater, spreche mich auf der Bühne kurz ein, versuche mich unmittelbar vor dem Auftritt zehn Sekunden lang zu nullen und dann trete ich auf.

Du fängst den Tag nicht damit an, dass du sagst: Ich spiele heute Hamlet, ich muss mich auf die Figur konzentrieren?

Nein. Ich gehe auch erst eine Stunde vorher zu Hause los. Und im Theater gehe ich nicht in die Maske. Ich bin einer der wenigen Schauspieler, die nie in die Maske gehen.

Weil du dich selber schminkst?

Ich mache überhaupt nichts.

Suchst du nicht die Verwandlung?

Ich suche die totale Verwandlung! Aber übers Spielen, nicht über Schminke.

In einem Interview sagst du, du würdest immer mit Maske spielen.

Da hat sich bei mir einiges verändert. Früher habe ich mich in der Tradition des Puppenspiels gesehen und habe in dem Bewusstsein gespielt, dass ich die Figur vor mir hertrage. Es hat mich fasziniert, dass sich die Puppenspieler als schwarze Menschen hinter den Puppen bewegen. Bei denen sieht man ja immer, wie es gemacht ist, weil es ihnen nicht um die perfekte Illusion geht. Beim Drehen hab ich aber gemerkt, wie reizvoll es ist, mit der Figur eins zu werden. Früher fand ich es faszinierend, mich hinter der Figur zu verstecken und ab und zu vorzugucken.

Vergisst der Schauspieler manchmal, dass er nur spielt?

Dahin hat es sich bei mir entwickelt. Beim Hamlet hab ich’s zum ersten Mal so empfunden. Ich hab gemerkt, dass ich mehr erlebe, wenn ich mich beim Spielen mehr aussetze. Vor zwei, drei Jahren hätte ich mich das nicht getraut.

Bekommst du dafür mehr zurück?

Wenn ich den Leuten zeige, dass ich ohne Schutz spiele, kriegt das eine andere Intensität. Dass ich mich angreifbar mache, ist auch für die Zuschauer ein Erlebnis.

Wieso angreifbar? Du kannst die Puppe jederzeit vor dich hinhalten.

Ich will die Leute aber dazu verführen, mit mir mit zu leiden.

Und wenn sie sich verstockt geben?

Es gibt Tricks, wie man sie kriegen kann. Man kann den Rhythmus wechseln. Man kann unorganische Pausen machen.

Wie beim Sex.

Genau.

Und die Maske, die der Alltag dir aufdrückt, schüttelst du in den Sekunden des Nullens ab?

Das Nullen ist wichtig.

Wie machst du’s?

Ich denke an nichts.

Augen zu?

Ich mache die Augen zu und lege den Daumen und den Zeigefinger drauf. Das bringt mich in den Moment. Als Protagonist hat man’s natürlich leichter, weil man bei null anfangen kann. Es gibt Rollen, da trittst du auf und musst auf 180 sein. Als Hamlet kann ich im Nullzustand auf die Bühne gehen.

Und schauen, was läuft?

Ich vergleiche das manchmal mit „Second Life“. Das ist ein Computerspiel, bei dem man sich auf eine Figur einlässt, in der man ein anderes Leben lebt. Das Tolle an dem Spiel ist, dass alles, was du machst, Reaktionen von anderen Figuren auslöst, und dass du auf diese Reaktionen wieder reagieren musst. Auf der Bühne ist es genauso. Mit dem Unterschied, dass die Reaktionen der Partner im Theater festgelegt sind.

In den Computerspielen sind sie’s doch auch.

Du weißt aber nie, wann was kommt. Dass ich es auf der Bühne immer schon weiß, kann ich dadurch unterlaufen, dass ich nicht stur wiederhole, was wir auf den Proben festgelegt haben, sondern gucke, ob ich meine Partner dazu provozieren kann, sich auf etwas Neues einzulassen. Dass ich die Möglichkeit habe, Verabredungen zu brechen, gibt mir beim Spielen eine ganz andere Freiheit. Der Schauspieler muss sich in jedem Augenblick darum bemühen, das Vereinbarte so zu spielen, als sei es ihm gerade eingefallen. Selbst wenn es nur darum geht, von einem Stuhl aufzustehen. Auf dieser Höhe von Konzentration zu spielen, ist natürlich anstrengender, als sich dem Trott zu überlassen. Bei Hamlet spiele ich mich in einen Zustand der Erschöpfung, der mir nicht mehr erlaubt, mein Spiel zu 100 Prozent zu steuern.

Wo nimmst du die Kraft dafür her?

Es gibt diese Jump-and-Run-Spiele, bei denen ein Männchen von links nach rechts über den Bildschirm läuft. Dabei kann man Bonuspunkte einsammeln, die neue Energie bringen. Daran denke ich manchmal beim Spielen. Die Reaktionen des Publikums sind meine Credits. Wenn ich so fertig bin, dass ich das Gefühl hab, ich falle gleich tot um, spring ich hoch und hol mir ein Extraleben.

Löst es bei deinen Kollegen Aggressionen aus, dass du versuchst, sie aus dem Trott zu bringen?

Ich bringe sie nicht aus dem Trott. Ich hole sie ins Spiel zurück. Ich zwinge sie, sich mit mir auseinanderzusetzen. Das hat auch Sepp Bierbichler so beschrieben. Nach Hamlet hat er gesagt, der Eidinger ist ein Schauspieler, der seine Kollegen immer wieder in die Situation holt. Das erlebe ich auch beim Drehen. Kollegen kommen manchmal nach einer Szene zu mir und sagen: „Wenn ich dich anschaue, muss ich nichts spielen. Ich kann alles aus dir nehmen.“ Darum gewinnen meine Partnerinnen auch immer die Preise. (lacht)

Birgit Minichmayr, Anne Tismer, Katharina Schüttler – die Amazonen und der Narziss.

Deshalb war der Hamlet für mich so wichtig und ich habe die anderen so überrannt. Ich wollte kein Supporting Act mehr sein. Ich hab mir gesagt, jetzt bin endlich mal ich dran.

Die Kerle, die du in „Nora“ und „Hedda Gabler“, aber auch in dem Film „Alle anderen“ spielst, hast du extrem passiv angelegt. Damit riskierst du eine Unscheinbarkeit, die deinen Partnerinnen den Raum gibt, sich auf deine Kosten in Szene zu setzen.

Die Leute, die mich vom Theater kennen, wissen zu schätzen, was ich in „Alle anderen“ einbringe. Die anderen gehen davon aus, dass ich so bin wie Chris in dem Film, dass also das, was ich spiele, keine besondere Leistung ist. Das macht mir auch bei Castings manchmal zu schaffen. Es gibt ja das Phänomen des Type Casting. Die Leute sagen: Der hat in diesem Film super funktioniert, den besetzen wir im nächsten Film wieder so. Das ist ein Handicap, mit dem ich klarkommen muss. Die Leute denken, ich bin, was ich spiele – was überhaupt nicht der Fall ist. Darum bin ich so froh, dass ich jetzt den Film machen kann, in dem ich Georg Trakl spiele. Das hat mich in eine ganz andere Richtung geführt.

Im „ZEIT-Magazin“ heißt es in einem Porträt über dich, du seist ein Schauspieler, der „das Elend des modernen deutschen Mannes“ wie kein andrer verkörpern kann. Du legst die Masken der Männlichkeit ab, mit denen sich Schwäche oder Ratlosigkeit zudecken lässt.

An dem Film „Alle anderen“ hat mich fasziniert, dass ich eine Figur spielen konnte, die ihrem Partner diese Schwäche offenbart. Diese Art Offenheit wird von Männern heute verlangt. Gleichzeitig setzt es sie der Gefahr aus, ihre Attraktivität einzubüßen. Wenn ich es zu weit treibe, laufe ich sogar Gefahr, als Schlappschwanz dazustehen.

Du entlarvst ein Geschlecht, das seine Schwächen gern mit den Posen der Gescheitheit und Kompetenz überspielt.

Das Besondere an mir ist, glaube ich, dass ich beides spielen kann: die Masken und Posen, aber auch die Entblößung.

Das Gespräch führte Michael Eberth.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false